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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

einer!“ In Kummer schüttelte er über sich selbst den Kopf, und mit Nicken und Humpeln fiel er in hurtigen Gang.

Purtscheller, der seit der kleinen Schlittenfahrt, die er mit dem gleitenden Rasen gemacht hatte, merkwürdig still geworden war, folgte zögernd, als trieben ihn Mitleid und Neugier wider Willen hinter dem Alten her. Aber Michel kam immer weiter voraus, und als Purtscheller die Hecke der Haselnußstauden erreicht und eine Lücke des Buschwerkes durchschritten hatte, war von dem Alten nichts mehr zu gewahren.

Betroffen verhielt Purtscheller den Fuß und blickte um sich. Sonst hatte man das Häuschen des Simmerauer von dieser Stelle aus doch immer gesehen, schmuck und freundlich, mit dem hübschen Gärtlein und dem sauber gehaltenen Schuppen? Und jetzt war alles verschwunden! Nur ein niederes Gewirre von Apfelbaumzweigen mit welken Blättern ragte über eine nahe, scharf gezogene Bodenkante empor – und zwischen dem grauen Astwerk schimmerte das Gesims eines weiß getünchten Rauchfangs.

„O du lieber Herrgott!“ stotterte Purtscheller. „Das Häusl muß ja schon um fünf, sechs Meter g’sunken sein!“

Er eilte vorwärts. Nun hielt er vor einem fast senkrecht abfallenden Erdrutsch und ihm zu Füßen lag das kleine Heimwesen des Simmerauer, das noch vor einem Monat mit der Wiese, auf welcher Purtscheller stand, in gleicher Höhe gelegen hatte.


2.

Der ganze Grund, welcher Michels Häuschen mit Garten und Scheune, mit einem abgeernteten Getreidefeld und einem schmalen Kartoffelacker trug, hatte sich im Umkreis von ein paar hundert Schritten vom höheren Berghang losgelöst und war der „laufenden“ Erde des tiefer liegenden, vom Wasser unterhöhlten Wiesengehänges nachgesunken. Das hatte sich nicht gewaltsam vollzogen, sondern ganz allmählich, mit schleichender Bewegung. An der Abrißstelle, über welche Purtscheller niederblickte, war oben die kahle Erde schon ausgetrocknet, während sie unten noch frisch und feucht war. Ein plump gefügter Verhau aus Baumstämmen und verflochtenem Astwerk stützte die Böschung und sollte ein Nachgleiten des höheren Bodens verhindern – ein Rettungsversuch, welcher anzusehen war, als wollte eine Kinderhand den tollen Lauf eines scheu gewordenen Pferdegespanns aufhalten.

Am Fuß der Böschung sickerte durch das Rutengeflecht ein schlammiges Wasser hervor, das den sonst so freundlich gepflegten Garten mit seinen Kohlbeeten und Blumenrabatten versumpfte, sich in breiten Pfützen um die Wurzeln der trauernden Obstbäume sammelte und den Hofraum, das Stoppelfeld und den Kartoffelacker in zähen Morast verwandelte. Doch all diese Verwüstung hatte ein lächelndes Gesicht. Der blaue Himmel spiegelte sich in dem stehenden Wasser, das Sonnenlicht übergoldete mit seinen zitternden Reflexen den nassen Schlamm – und wohl gefährdet, doch scheinbar noch unberührt von der schleichenden Zerstörung, erhob sich inmitten dieses leuchtenden Grundes das kleine, schmucke Haus. Die weißgetünchten Mauern schimmerten wie frische Leinwand, die Glasscheiben blitzten zwischen den grüngestrichenen Läden, rot blüten die Nelkenstöcke auf allen Fenstergesimsen und auf der kleinen, schon altersgrauen Holzgalerie des Giebelstübchens, an allen Kanten des Daches glitzerten die angeflogenen Fäden, und auf der Höhe des Firstes glomm ihr Schein wie ein Elmsfeuer, das bei Tage brennt.

Doch diesem freundlich stillen Anblick widersprach das unruhige Leben, von dem das kleine Haus umgeben war. Die Hühner, welche das Waten im Schlamme satt bekommen hatten, waren auf die Obstbäume geflogen, saßen mit erregtem Gackern im Gezweig oder putzten das durchnäßte Gefieder; zwei Ziegen, das zottige Fell mit Kot behangen, schleiften meckernd ihre langen Stricke durch die Pfützen, und eine braune Kuh, welche neben der Scheune angebunden war, stand mit gespreizten Füßen, hielt den Schweif gestreckt und brüllte. Ahnte das Tier die Gefahr, die unter ihm in der sinkenden Erde drohte? Oder war es nur in scheue Unruh’ geraten durch den Hall der wuchtigen Schläge, mit denen ein junger Bursch, der die blaue Soldatenhose trug, einen schweren, übermannshohen Pfahl in den Boden trieb?

Das war der Mathes – eine hager und sehnig aufgeschossene Gestalt, an der nichts Weiches und Schmiegsames war, alles herb und eckig; kurzgeschnittenes Blondhaar umschimmerte den Kopf, und stille, blaue Augen glänzten in dem ernsten, schmalen Gesicht, welches glatt rasiert war, jetzt gerötet von der anstrengenden, rastlosen Arbeit, Stirne, Wangen und Hals überronnen von glitzernden Schweißperlen. Wie wenig er seiner Schwester glich! Niemand hätte ihn für den Bruder des Mädchens gehalten, das nicht weit von ihm vor einem Holzblock stand und mit emsigen Beilhieben einen hohen Pfahl zuspitzte. Eine schmucke Dirn’ von strotzender Gesundheit und kräftiger Jugendfrische; alle Formen voll gerundet und schier ungebärdig unter dem Zwang der schon zu knapp gewordenen Kleidung; die Lippen von heißem Rot, die Wangen brennend, die dunklen Augen von hellem Feuer, und die schön gewölbte Stirn umringelt von den wirren Härchen, die aus dem aufgesteckten Nest der schweren, braunen Flechten losgesprungen waren. Unermüdlich schwang sie das Beil, warf den gespitzten Pfahl beiseite und griff nach einem anderen. Sie stand mit nackten Füßen im Schlamm, hatte das dunkelgrüne Röcklein geschürzt und – da ihr bei der Arbeit schwül geworden war – halb das gestrickte Leibchen geöffnet, dessen schwarze Wolle in Sonne und Regen schon zu einem bräunlichen Filz verwittert war. Der eine der beiden kurzen, straff gespannten Hemdärmel war bei einem ungestümen Hieb, den Vroni geführt hatte, zerrissen, und zwischen den Leinwandfetzen schimmerte der Oberarm mit reinem Weiß hervor, während die frei getragenen Unterarme dunkel gebräunt waren.

Wie Mathes dem Vater, so war Vroni der Mutter nachgeraten, die vor dreißig Jahren als das schönste Mädchen des Dorfes gegolten hatte. Von dieser einstigen Schönheit war freilich nicht mehr viel an dem gealterten Weiblein zu gewahren, das gebeugt vor dem Sägbock stand und frischgefällte Stangen zu langen Pfählen entzwei sägte. Die dünn gewordenen grauen Zöpfe hingen lose um das geduldige, bei Sorgen und Arbeit welk gewordene Gesicht, in welchem nur die guten, dunklen Augen noch einen letzten Schimmer vom Glanz der längst entschwundenen Jugend bewahrt hatten. Immer wieder seufzte Mutter Katherl, während sie die Säge zog. Die Arbeit ging ihr langsam und mühselig von der Hand – und wenn der abgesägte Pfahl zu Boden rollte, wenn sie keuchend eine neue Stange auf den Sägebock gehoben hatte, richtete sie sich auf, um den schmerzenden Rücken ein bißchen rasten zu lassen, und immer glitten dabei ihre Augen mit sorgenvollem Blick über das kleine Haus.

Nun zog sie wieder geduldig die in einer Gabel hängende Säge hin und her und war so vertieft in die Arbeit, daß sie ihren Mann nicht kommen hörte – sie fühlte nur plötzlich, wie er sie sanft beiseite schob, während er ihr die Säge aus der Hand nahm.

„Geh, Katherl, setz Du Dich ein bißl nieder! Laß mich wieder schaffen!“

Sie nickte nur und wollte zur Hausbank gehen; doch auf halbem Weg kehrte sie wieder um und fragte flüsternd: „Hast was g’hört von die Stadtherrn?“

Michel schüttelte den Kopf und sägte; erst nach einer Weile sagte er leis: „Nix! Gar nix! Allweil studieren s’ noch und graben dem Berg in die Darm’ nunter … und wissen net, was s’ sagen sollen.“

Seufzend ging Mutter Katherl zur Hausbank und säuberte die Hände an der blauen Schürze. Aus einem irdenen Krug, der auf der Bank stand, füllte sie ein Glas mit Milch. Das war seit Tagen das einzige Getränk in der Simmerau – Bier ist teuer und das Wasser, das eine Woche lang im Brunnen versiegt war, stand wohl seit zwei Tagen wieder hoch im Schacht, aber es war verschlammt und ungenießbar.

Ueber einen der Balken, welche kreuz und quer die aufgeweichte Erde durchzogen, ging Mutter Katherl zu Vroni hinüber und reichte ihr das Glas. „Da, Mädl, trink’ wieder ein Schlückl, es muß Dich ja dursten!“

„Ah na! Dank’ schön! Es is net so arg!“

„No freilich, brennt Dir ja ’s ganze G’sichtl! Geh, sei g’scheit und trink’!“

Vroni trieb mit festem Schwung das Beil in den Hackstock, um die Hand frei zu bekommen, und leerte das Glas. „Vergelt’s Gott, Mutterl!“

Da hörte sie vom Verhau herüber ein Geraschel der Aeste und das Kollern fallender Erdbrocken – Purtscheller, der über die steile Böschung niedersteigen wollte, war fehlgetreten und hatte sich nur durch einen raschen Griff nach den verflochtenen Zweigen vor einem Sturz in den Schlamm bewahrt. Nun kam er lachend aus dem Garten hervorgewatet und balancierte sich über einen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0394.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2023)