Seite:Die Gartenlaube (1896) 0376.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„Reinhart, um Gotteswillen, was heißt das? Sie suchen den Tod da draußen?“

„Nein,“ sagte er finster, „aber ich werde ihm auch nicht mehr aus dem Wege gehen. Sonst, wenn ich mir mein Leben wieder einmal zurückerobert, wenn ich es all den feindlichen Mächten abgekämpft hatte, dann flammte die Lust am Dasein so heiß und freudig wieder auf! Das ist vorbei – vor mir liegt für immer die Wüste.“

„O, Reinhart, nicht so!“ bat die junge Frau mit gefalteten Händen. „Gehen Sie nicht hinaus mit dieser wilden Bitterkeit und Verzweiflung! Ich muß es ja auch tragen, das ganze, lange, furchtbare Leben, und muß lächeln dabei. Lothar darf ja nichts ahnen, er ist mein Gatte –“

„Und mein Freund!“ ergänzte Ehrwald mit schwerer Betonung.

„Das macht mich wehrlos gegen das Geschick. Als ich zurückkehrte, waren Sie ja noch nicht sein Weib, Elsa, der Schwur am Altare war noch nicht geleistet! Ich hätte Sie der ganzen Welt abgekämpft, hätte Heil und Leben dafür eingesetzt – mit ihm konnte ich nicht kämpfen, ihm nicht sein Glück entreißen, es war ein Verhängnis.“

Elsa hatte sich erhoben, sie fühlte es ja, daß sie diese Sprache nicht hören durfte, allein sie war wieder im Bann seiner Stimme, seiner Augen, und anstatt zu gehen, blieb sie und lauschte den Worten, die gedämpft und doch so leidenschaftlich von seinen Lippen kamen: „Dies Verhängnis hat ja schon damals über uns gewaltet, in jener glühenden Mittagstunde, unter den Palmen des Nils, als wir die Fata Morgana erblickten. Es erschien uns beiden, das leuchtende Zeichen, und ich ahnte nicht, daß das Glück, das es mir verhieß, an meiner Seite stand. Aber so oft mir das geheimnisvolle Wüstenbild wieder auftauchte, im Traume wie im Wachen, immer schwebten darüber die großen blauen Kinderaugen, die es mit mir geschaut hatten. Ich bin ihm nachgejagt durch Länder und Meere, ich habe es gesucht in der brennenden Wüste, in den Tiefen des Urwaldes, auf steilen Bergesgipfeln und habe es nie gefunden. Da kehrte ich zurück und da stand es an der Schwelle meiner Heimat, das große, das grenzenlose Glück, von dem ich so oft geträumt, und sah mich an mit jenen leuchtenden Kinderaugen. Da fand ich es – um zu erfahren, daß es mir auf immer verloren sei!“

Er stand noch immer an ihrer Seite, ohne auch nur ihre Hand zu berühren, aber in jedem Worte bebte der mühsam verhaltene Sturm seines Inneren, und diese Sprache fand ein nur zu lautes Echo in der Brust des jungen Weibes. Dort klang es ja auch wie ein Aufschrei nach Glück und Liebe! Doch Elsa war nicht umsonst in der strengen Schule der Pflichten und der Entsagung aufgewachsen. Das hatte ihr die Jugendfreude genommen, aber auch ihre Kraft gestählt und die hielt stand, selbst in dieser schweren Stunde; sie entriß sich dem gefährlichen Bann.

„Nicht weiter, Reinhart! Hören Sie auf mit diesen Geständnissen, die ich nicht hören darf. Denken Sie an Lothar!“

„Nun, wenn es ein Unrecht ist gegen ihn, dann wird es gesühnt durch die Qual dieser Stunde,“ brach Reinhart mit wilder Heftigkeit aus. „Ich will Dich ja nicht besitzen, Elsa, Dich ihm nicht nehmen, aber eines darfst Du mir nicht verweigern! Sage es mir, daß Du mich liebst, laß es mich von Deinen Lippen hören! Es ist ja nur ein Wort und ich nehme es mit mir hinaus in die Ferne, in den Tod vielleicht. Denke, es ist ein Abschied für das Leben!“

Er war vor ihr niedergestürzt und sein Blick flehte noch heißer als seine Worte. Ein Abschied für das Leben! Das wußte auch Elsa und da beugte sie sich über ihn.

„Ja, Reinhart, ich liebe Dich grenzenlos! – Nun weißt Du es – nun geh!“

„Elsa!“ Er sprang auf, es lag Seligkeit und Verzweiflung zugleich in dem Rufe. „Und nun sollen wir uns nie, niemals wiedersehen! Kannst Du es denn tragen – ich kann es nicht.“

„Du mußt,“ sagte sie leise. „Ich muß es auch. Geh! Du hast es mir versprochen.“

Da fühlte sie sich von Reinharts Armen umschlossen, an seine Brust gerissen. Es war nur ein einziger Augenblick, dann brach ein glühendes, halb ersticktes „Lebewohl!“ von seinen Lippen und er stürzte davon.

(Schluß folgt.)




Werkthätige Nächstenliebe in Amerika.

Von Helene Bonfort.


Wohl in keiner anderen Weltstadt mag eine so große Zahl auf ihren Erwerb angewiesener Frauen täglich die Straßen durcheilen als in New York. Self supporting woman – „sich selbst erhaltende Frauen“ – nennt der amerikanische Sprachgebrauch die Tausende, welche aus allen Teilen der Union wie auch aus Europa hierher kommen, um Verdienst und Stellung zu finden.

Es kann daher nicht wunder nehmen, daß hier auch Einrichtungen zum Schutze und zum Wohl dieser Frauen anzutreffen sind, wie sie in solcher Großartigkeit nirgends in Europa bestehen. Die verschiedenartigsten Anstalten bieten arbeitenden Frauen die Ausrüstung an Kenntnissen und Fertigkeiten, sie unterstützen sie im Wettbewerb und bereiten ihnen ein behagliches Asyl zur Erholung von der aufreibenden Tagesthätigkeit. Die Einzelheiten dieser Veranstaltungen sind in Deutschland noch nicht so bekannt, als es im Interesse der Nachfolge zu wünschen wäre. Wir geben daher nachstehend ein gedrängtes Bild von Zweck und Mitteln der amerikanischen „charity“ auf diesem Gebiete, welche vor allen Dingen darauf abzielt, die Selbsthilfe zu kräftigen und demjenigen Beistand zu leisten, der sich selbst rührt, und nur durch solche Veranstaltungen, die der Einzelne nicht zu treffen vermag. Diese werden dann aber auch mit einer in Europa unbekannten Großartigkeit ins Leben gerufen, großenteils von begüterten, geistig hochstehenden Frauen, die sich verpflichtet fühlen, ihren arbeitenden Schwestern werkthätige Hilfe zu leisten. Eine Erscheinung dieser Art ist das „Margaret Louisa Home“ in New York; es ist das Werk von Mrs. Elliott F. Shepard, geb. Vanderbilt.

In der 16. Straße am Union Square zwischen Broadway und der Fünften Avenue, also im Mittelpunkt des Verkehrs und doch in einer ruhigen Seitenstraße, erhebt sich seit Januar 1891 das schlichte, aber architektonisch ansprechende Gebäude aus braunem Sandstein im romanischen Stil, welches unsere Abbildung auf Seite 380 veranschaulicht. Das sechs Stockwerk hohe Haus hat eine 50 Fuß breite Front bei 190 Fuß Tiefe. Selten wird man in einer Großstadt ein praktischen Zwecken gewidmetes Gebäude finden, das so reichlich Luft und Licht einläßt wie dieses; kein Raum in demselben ist dunkel oder halbdunkel, keiner entbehrt der unmittelbaren Verbindung mit der freien Luft durch ein großes Fenster. Die Mauern, Wände und Fußböden sind aus Cement und feuerfesten Steinen hergestellt, die zugleich den Schall dämpfen und dazu beitragen, daß im Innern die wohlthuendste Ruhe herrscht. Die Treppen sind von Stein und haben eiserne Geländer. Die Ausstattung ist durchweg reich und geschmackvoll. Das Erdgeschoß des „Margaret Louisa Home“ umfaßt zwei große Wohnräume und zwei Speisesäle sowie mehrere Bureaus, alle aufs zweckmäßigste und gefälligste eingerichtet. Der hier zu Lande unerläßliche Teppich durchzieht alle Räume; in den Wohnzimmern, deren Wände mit schönen Stichen geschmückt sind, stehen bequeme Diwans und Sessel, große Tische mit Zeitschriften, ein guter Schreibtisch und ein Klavier.

Man hat beim Eintritt in diese wohligen, abends elektrisch beleuchteten Räume durchaus nicht den Eindruck einer Zufluchtsstätte für arbeitende Fremde, sondern den eines mit edlem Geschmack und reichlichen Mitteln ausgestatteten Familienheims. Er wird noch verstärkt durch den Anblick herrlicher Blumensträuße, welche Mrs. Shepard aus ihren Treibhäusern von Zeit zu Zeit herschickt. Andere Landhausbesitzer senden Kasten voll geschnittener Blumen zur Verteilung in die Hospitäler und in die Wohnungen der ärmeren Klassen. Diese feinfühlige Sorge für die edleren Bedürfnisse der Menschennatur scheint nicht „amerikanisch“ und ist es doch so sehr. Denn nirgends zündet ein Appell der Presse in solchen Dingen so rasch als hier zu Lande, wo das Geld leicht ausgegeben wird und wo sich immer gleich Leute finden, die eine neue Anregung bereitwillig ins Werk setzen. Daß auch der Arme Sinn und Liebe für die Schönheit der Natur besitzen möge, scheint niemand zweifelhaft, deshalb teilen die glücklichen Besitzer von Parks und Treibhäusern reichlich von ihrem Ueberfluß mit. Die Wohnungen kleiner Leute, die Rekonvalescentensäle der Hospitäler erhalten ihren Blumenschmuck, ihre Insassen betrachten ihn mit

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0376.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)