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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

und fragte ihn, von wem er denn heute beschenkt würde. Zu einer andern Stunde hätte er unfehlbar geantwortet, derartige Albernheiten seien nur für Kinder. Statt dessen seufzte er und deklamierte in rührendem Ton, er sei ein einsamer Mensch und hätte nieinand auf der Welt, von dem er etwas erwarten könne. Es war reizend anzuschauen, wie das Gesicht des jungen Mädchens plötzlich wehmütig wurde und sie ihn hilflos zögernd betrachtete. Das arglose, weichherzige Ding ging offenbar mit sich zu Rate, ob sie dem armen Einsamen nicht ein Plätzchen an ihrem Weihnachtstisch anbieten könne und dürfe. Und wie ihr dann der Mut fehlte und sie ihm ganz traurig „Gute Nacht“ und „Vergnügte Feiertage!“ wünschte und in ihrem Mitleid die große Männerhand unbewußt innig drückte – er hätte sie küssen mögen!

Seitdem interessierte sich Wolf ernstlich für die junge Schauspielerin, saß Abend für Abend, so oft sie spielte, im Theater, suchte ihre Nähe, ging dahin, wo sie verkehrte, und bemerkte plötzlich zu seinem Schrecken, daß er unheilbar verliebt sei und sich nach ihrem Besitz sehne mit der ganzen wilden Leidenschaftlichkeit seines ungezügelten Temperaments.




Kurt Berlau hatte für den Beginn der Woche eine gemeinschaftliche Schlittenpartie verabredet. Der Märzwind mußte bald dem Wintervergnügen ein Ende machen, deshalb sagten alle Bekannten mit Freuden ihre Beteiligung zu. Der Sonntag hatte Schnee und starken Frost gebracht; also war bis Dienstag gute Schlittenbahn zu erwarten. Dieser Tag wurde von Berlau festgesetzt und die Teilnehmer wurden davon benachrichtigt.

Zuvor hatte er natürlich genaueste Erkundigungen bei Fräulein von Sindsberg eingezogen, ob sie an diesem Tage bestimmt, aber auch ganz bestimmt nicht im Theater beschäftigt sei; denn nur ihretwegen fände die Partie statt. Sie mußte es feierlich beschwören und versprechen, nur in seinem Schlitten zu fahren, was sie lächelnd zugestand. Berlau war selig.

Als er von ihr fortging, begegnete er Wolf von Schindler. Sie blieben voreinander stehen und schauten sich fragend an. Es war sehr kalt; der Hauch ihres Mundes hatte sich an den sonst so sorgfältig gepflegten Schnurrbärten in Eis verwandelt, so daß dieselben schwer und naß über die Lippen hingen. Jeder scheute sich, den Mund zu öffnen, und hoffte, der andere würde den Anfang machen.

„Wohin?“ fragte Schindler endlich durch die Zähne.

„Ins Kasino,“ murmelte Berlau, die Eiszapfen fortblasend.

„Ah so!“ Schindler nickte ihm in seiner blasierten Art zu und machte Miene weiterzugehen.

„War bei den Damen Sindsberg!“ stieß der andere kurz hervor.

Schindler blieb plötzlich wie gebannt stehen. „Wieso? Was wollten Sie da?“

Die Temperatur mußte sich wohl verändert haben, denn Wolf von Schindler wurde es auf einmal siedend heiß. Berlau lächelte so vergnügt und machte eine ganz geheimnisvolle Miene.

„Habe Fräulein von Sindsberg zur Schlittenpartie eingeladen. Sie fährt – mit mir! Zähle die Minuten bis Dienstag! Uebrigens, seien Sie pünktlich um elf Uhr beim Rendezvous, Schindler!“

Wolf wandte sich mit einem vernichtenden Blick und kurzem Gruße ab und ließ den vorläufig vor Kälte zitternden Liebhaber etwas verblüfft stehen. Aber er konnte sich nicht mehr beherrschen. „Dummkopf, Dummkopf, warte nur!“ knirschte er durch die Zähne und eilte mit großen Schritten davon.

Dienstag Vormittag um elf Uhr lief Berlau in hellster Verzweiflung in seinem Zimmer auf und ab. Schindler stand mit sardonischem Lächeln vor ihm; er hatte die Nachricht gebracht, daß Fräulein Sinders nicht frei sei und sich vielmals entschuldigen lasse. Eine plötzliche Probe verhindere sie zu ihrem Leidwesen, von der freundlichen Einladung Gebrauch zu machen.

Berlau war ganz außer sich. Er wollte sofort zu Marie eilen, zum Direktor, zum Regisseur; aber Schindler hielt ihn zurück.

Das sei Unsinn, meinte er, und würde dem Fräulein nur Unannehmlichkeiten bereiten; außerdem sei sie bereits vor einer halben Stunde zur Probe gegangen. Also keine Rettung! Die Sache zu verschieben war der anderen Teilnehmer wegen unmöglich; es mußte also gefahren werden. Ohne sie … unerträgliches Pech! Seufzend begab sich Berlau hinunter zu seinem prächtigen Schlitten, in welchem seine Mama bereits Platz genommen hatte.

Wolf von Schindler wartete die Abfahrt nicht mehr ab. „Ich muß noch einmal nach Hause, aber warten Sie, bitte, nicht auf mich, ich hole Sie alle leicht ein,“ rief er Berlau zu und lief eilenden Schrittes davon.

Vor seiner Villa hielt schon der Schlitten mit einem Paar feuriger Ungarfüchse bespannt, die ungeduldig stampften. „Sie kommen mit, Karl – nur vorwärts, setzen Sie sich!“ rief er seinem Diener ungeduldig zu und sprang in das elegante Gefährt, das die Form einer Muschel hatte.

Wenige Minuten später hielt er vor dem großen, altertümlichen Hause, in welchem Frau von Sindsberg mit ihrer Tochter zwei einfach möblierte Zimmer innehatte. Der prächtige Schlitten erregte Aufsehen in der kleinen Straße, und bald stand die ganze Nachbarschaft an den Fenstern. Wolf warf dem Diener die Zügel zu und stieg hastig die Stufen hinauf mit einem Gefühl, wie er es nur als Schuljunge empfunden hatte, einer Mischung von fröhlichem Uebermut und schlechtem Gewissen.

Frau von Sindsberg öffnete ihm. „Sie, Herr von Schindler?“ fragte sie erstaunt und etwas verlegen. „Treten Sie näher, Herr Baron!“ Entschuldigend fügte sie hinzu: „Wir wohnen recht einfach, aber wir wohnen eben in Miete, da geht es nicht anders.“

Marie stand vor einem Spiegel und knüpfte sich eben den Schleier um den Hut. Als sie Wolf erblickte, überflutete eine dunkle Röte ihr Gesicht. „Wo ist Herr Berlau?“

Wolf lächelte gezwungen. „Dieser glückliche Berlau, er wird schwer vermißt!“ sagte er ironisch. „Er ist zu seinem größten Schmerze verhindert. Da darf ich wohl nicht hoffen, daß Sie einen Platz in meinem Schlitten annehmen?“

„O gewiß, es ist außerordentlich liebenswürdig von Ihnen!“ rief Frau von Sindsberg lebhaft. „Marie braucht so notwendig Zerstreuung; sie überarbeitet sich noch, das arme Ding!“

„Es ist nicht so schlimm, wie Mama es macht,“ sagte Marie mit ihrer sanften Stimme und beugte ihr ernstes, bleiches Gesicht herab, um ihre Mutter zum Abschied zu küssen. Dann empfahl sich auch Schindler, lebhaft bedauernd, daß die gnädige Frau ihres Unwohlseins wegen nicht mitfahren wolle. Er schwebte dabei in Todesangst, daß sich die lebenslustige Dame etwa noch anders besänne, und atmete erst erleichtert auf, als er endlich neben dem jungen Mädchen allein im Schlitten saß. Den Diener hatte er nach Hause geschickt.

(Schluß folgt.)



Blätter und Blüten.



Stärket die Brust eurer Kinder! Zu den gesundheitlichen Schäden, welche das Stadtleben mit sich bringt, gehört die mangelhafte Entwicklung der Arm- und Brustmuskeln unsrer Jugend. Auf Spaziergängen und auch bei Bewegungsspielen werden hauptsächlich die Beine geübt, während die Arme zumeist müßig sind. Die Folge davon ist, daß die Muskulatur des Oberkörpers schwach bleibt und Engbrüstigkeit sowie Verkrümmungen der Wirbelsäule besonders leicht zustande kommen. Am meisten leiden darunter die Mädchen, denen man nicht erlaubt, zu klettern und zu ringen, wie es die Jungen thun. Wer darum den Körper seiner Kinder harmonisch und gesundheitsgemäß ausbilden will, sollte auch für die Stärkung von Brust und Arm Sorge tragen. Am zweckmäßigsten geschieht dies durch das Turnen an Geräten, das aber in der Schule noch immer nicht in genügendem Maße geübt wird. Das Haus muß also in dieser Hinsicht ergänzend eingreifen und Knaben und Mädchen Gelegenheit zu derartigen Uebungen geben. Für wenig Geld lassen sich zweckmäßige Apparate wie Schweberinge, Reck u. dergl. in der Wohnung anbringen. Im Laufe des letzten Jahrzehnts hat sich auch ein Apparat bewährt, den die „Gartenlaube“ gleich nach seinem Auftauchen (vgl. Jahrg. 1886, Nr. 27) nach Gebühr gewürdigt und auch abgebildet hat. Es ist dies ein Arm- und Bruststärker, den Dr. Largiadèr, jetzt Rektor an der höheren Töchterschule in Basel, erfunden hat. Derselbe besteht aus zwei der Länge nach durchbohrten Handgriffen von Holz, welche mit beiden Händen erfaßt werden. Von der inneren Seite des einen Handgriffes geht eine starke Schnur zum anderen. An den Enden der mittels Doppelösen leicht zu verkürzenden und zu verlängernden Schnüre befinden sich Gewichte, welche aus mehreren abnehmbaren eisernen Platten bestehen und nach Bedürfnis leichter und schwerer gemacht werden können. Dank dieser Einrichtung kann der Apparat von allen Familienmitgliedern, von Kindern verschiedenen Alters, von jung und alt, benutzt werden.

Unser verstorbener Mitarbeiter Prof. Dr. Nußbaum hat das Turnen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0371.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2023)