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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

noch ausreichen. Keine Einwendung, Reinhart! Einer ist verloren bei solcher Fahrt, zwei haben wenigstens die Möglichkeit des Gelingens, also muß ich der Zweite sein.“

Ehrwald zögerte noch einen Augenblick, dann streckte er ihm die Hand hin. „Nun, wenn Du willst – ich lasse das Boot fertig machen.“

„Ich folge Dir sogleich, ich will nur noch meiner Frau Lebewohl sagen. Geh voran!“

Sie wechselten noch einen kurzen festen Händedruck, dann eilte Reinhart nach dem Landungsplatz hinunter und Lothar ging zu seiner Frau, die ihm entgegenkam und hastig fragte: „Nun, wie steht es? Glaubt Ihr, daß das Boot verloren ist?“

„Noch nicht,“ erwiderte er ruhig. „Man wird versuchen, ihm zu Hilfe zu kommen.“

Elsa erbleichte, sie hatte vorhin den Händedruck gesehen, den die beiden Männer tauschten, jetzt erblickte sie Ehrwald unten bei den Booten und verstand nun alles.

„Lothar, Du willst –?“

„Ja, es giebt kein andres Mittel. Sei mutig, Kind! Es ist ja nicht die erste Gefahr, die ich bestehe – Elsa, ängstigst Du Dich so um mich?“

Die letzten Worte klangen in stürmisch aufwogender Freude. Er sah die Todesangst in dem Gesicht seines jungen Weibes und die mußte ihm doch gelten, ihm allein, er hatte ja gar nicht von einem Gefährten gesprochen. Elsas Auge irrte über die tobende schäumende Flut und kehrte dann zu dem Landungsplatze zurück, wo man eben das Boot herabzog an den Strand. Sie machte keinen Versuch, ihren Gatten zurückzuhalten, aber ihre Stimme klang halb erstickt, als sie fragte: „Lothar – muß es sein?“

„Ja, es muß sein!“ entgegnete er ernst. „Es gilt drei Menschenleben. Reinhart wollte es allein unternehmen, aber das ist unmöglich, also gehe ich mit ihm, und meine Elsa wird nun zeigen, daß sie die Frau eines Weltfahrers ist, und nicht mehr bangen, als nötig ist. Versprich mir das!“

Er schloß sie in die Arme; eine Gefahr bedeutete allerdings nicht viel für Lothar Sonneck, aber als er jetzt seine junge Gattin zum Abschied küßte, wurden ihm doch die Augen feucht, er riß sich schnell los.

„Leb’ wohl – sei tapfer, meine Elsa! – Auf Wiedersehen!“

Inzwischen stand Ehrwald unten bei den Booten, umgeben von den Schiffern und einer Menge von Leuten, die herbeigeeilt waren, als sie hörten, um was es sich handelte, und nun mit Warnungen und Abmahnungen auf ihn eindrangen. Es war ja die bare Tollheit, jetzt hinauszufahren auf den tobenden See. Keiner von ihnen hätte das gewagt, und sie verstanden doch ihr Handwerk, und nun wollte es der fremde Herr wagen! Das Boot da draußen war verloren, das stand fest, und ein kleines Schiff, das ihm zu Hilfe kommen wollte, war es erst recht!

Der Herr solle doch Vernunft annehmen und nicht blindlings in das Verderben gehen, das dürfe man ja gar nicht zulassen!

Reinhart hörte das alles ruhig mit an, während er die Instandsetzung des Bootes überwachte, und zuckte höchstens von Zeit zu Zeit die Achseln. Als jedoch der Schiffsmeister sagte: „So, jetzt wären wir fertig. Aber ich sage es Ihnen noch einmal, Herr, lassen Sie es bleiben, Sie kommen nicht lebendig zurück“ – da fuhr er auf: „Hört endlich auf mit eurem Geschwätz und laßt mich in Ruhe! Wenn euch euer bißchen Leben so kostbar ist, ich habe es wohl schon um Geringeres in die Schanze geschlagen. Wir haben die Stromschnellen des Kongo gezwungen, da werden wir wohl auch euren See noch meistern. – Ist das Steuer in Ordnung? – Gut!“

Die Leute schwiegen ganz verdutzt und schauten den fremden Mann an, der so verächtlich von dem Leben sprach und ihren See meistern wollte, aber er imponierte ihnen doch, und sie wagten keine Einwendung mehr.

„Das Segel auf!“ befahl Ehrwald. „Es wird zwar nicht lange halten bei dem Sturme, aber es muß uns helfen, schnell vorwärts zu kommen, sonst wird es zu spät. Und nun vorwärts!“ schloß er, den heraneilenden Lothar schweigend begrüßend.

Er sprang in das Boot, Sonneck folgte ihm auf dem Fuße. Die Blicke der beiden Männer flogen noch einmal zurück und mit ihnen ein letzter Gruß zu der jungen blonden Frau, die dort oben stand; dann hieß es, Auge und Sinn von allem anderen losreißen und nur auf die Fahrt richten. Das Boot war kaum abgestoßen, da erfaßten es auch schon die Wellen und rissen es hinaus. Es erschien plötzlich hoch oben auf dem Wogenkamme und glitt dann wieder hinab in die Tiefe, das Segel blähte sich und flatterte im Sturme, und als habe er es auf seine Schwingen genommen, so schoß das kleine Fahrzeug dahin.

Elsa stand noch am Ausgange der Veranda, weit vorgebeugt. Sie weinte nicht und regte sich kaum. Ihr war es nun einmal nicht gegeben, wie Zenaide Schmerz und Qual in leidenschaftlichen Ausbrüchen auszuströmen, aber sie litt vielleicht mehr unter dieser stummen Todesangst, die sich nicht einmal in Thränen Luft machen konnte. Nur ihre Augen waren mit einem unsagbaren Ausdruck auf das gebrechliche kleine Fahrzeug gerichtet, das ihren Gatten hinaustrug auf die tobende Flut, ihn – und noch einen andern!

Der Regen hatte für den Augenblick aufgehört, so daß es klarer wurde; man sah es jetzt auch mit bloßem Auge, daß das Boot da draußen wie ein Ball umhergeschleudert wurde, von einem Lenken, einer Richtung war keine Rede mehr und der Sturm schien an Heftigkeit noch zuzunehmen. Immer höher schlugen die Wellen über das Ufer, der See selbst war nur noch eine wild gärende Masse von dunkler Flut und spritzendem weißen Gischt und darüber hing schwarzgraues Gewölk, aus dem Blitz auf Blitz niederzuckte, während der Donner rollend in hundertfachem Echo von den Bergen zurückkam. Die ganze Natur war im Aufruhr.

Das kleine Schiff hielt doch besser aus, als man gedacht hatte. Wie ein Sturmvogel schoß es durch die schäumenden Wellen, verschwand in ihnen und kam immer wieder zum Vorschein, und immer näher kam es dem gefährdeten Boote, das schon fast ganz auf der Seite lag. Die Insassen bemühten sich offenbar, es von den Trümmern des Mastes und des Takelwerkes zu befreien, die es in die Tiefe zu ziehen drohten. Das gelang ihnen auch endlich; doch die Gewalt des Stoßes, mit der die ganze Masse über Bord ging, wurde verhängnisvoll. Man sah auf einmal nur hochaufspritzenden Schaum und dann nichts mehr an der Stelle, wo eben noch das Boot sichtbar gewesen war. Als es nach einigen Minuten wieder auftauchte, trieb es – den Kiel nach oben – dahin.

Da war aber auch schon das kleine Schiff herangekommen und einer von den beiden Männern, die es führten, stand oben auf der Ruderbank. Es war der größere, der jüngere, er hatte den Rock abgeworfen und stürzte sich nun plötzlich mitten hinein in das Flutgebraus. Da entlud sich wieder das tief niederhängende Regengewölk mit voller Macht und in den stürzenden Wassermassen und dem jagenden Nebel verschwand für die Augen der bang am Ufer Harrenden alles andere. – – –

Als Lady Marwood durch eine Seitenthür das Hans verließ, war das Unwetter teilweise vorüber. Der Regen hatte nachgelassen, der Donner grollte fern und dumpf und durch das sich lichtende Gewölk zuckte nur noch hin und wieder ein Blitz. Aber der See tobte noch mit derselben Wildheit wie vorhin, wenn auch der Sturm bedeutend abgenommen hatte, und am Ufer befand sich eine Menge von Leuten, die hin und her liefen und einander zuschrieen. Zenaide achtete nicht darauf, es war nicht ihre Absicht gewesen, ihr Vorhaben in der Nähe des Hotels auszuführen, wo man es zu früh entdecken und dann verhindern konnte. Eine Strecke seitwärts lag ein kleines Gehölz, das sich dicht am Ufer hinzog; dort war sie sicher vor fremden Augen, und langsam wandte sie sich jener Richtung zu.

Der hochgelegene Strandweg war sonst noch eine ganze Strecke vom See entfernt, jetzt schäumte die Flut bis unmittelbar an den Rand. Wie ein Heer von sich bäumenden, zischenden Schlangen kamen die Wogen heran und stürzten sich auf alles, was sie erreichen konnten. Ein Gebüsch, das sie entwurzelt hatten, wurde in einem Augenblick hinausgerissen und verschwand in dem Strudel. Zenaidens Blick folgte ihm mit düsterer Befriedigung. Es war die rechte Stunde; ein kurzer Anlauf dort hinter den Bäumen und es war geschehen!

Da hörte sie hinter sich ihren Namen rufen, eine Frauengestalt eilte ihr nach und dann sah sie Elsa neben sich und hörte deren Stimme: „Zenaide, um Gotteswillen, wie hast Du es erfahren? Wir wollten es Dir ja verschweigen, um Dir die Angst zu ersparen! Hat ein Zufall es Dir verraten?“

Zenaide war stehen geblieben und sah sie groß und starr an. Sie verstand die Worte nicht, sie fühlte nur, daß sie aufgehalten wurde, aber in ihrem Gesichte lag etwas, was Elsa erschreckte, so daß sie beide Arme um die bleiche Frau schlang.

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