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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

bieten, die sie schon damals so gern, ach, so gern genommen hätte, als der junge, unbekannte Fremdling sie ihr bot. Diese Erinnerung allein hat mich ja festgehalten im Leben, in jener furchtbaren Zeit, wo ich an allem verzweifelte, sie allein hat mich bewahrt vor der Versuchung, wenn ich sah, daß so viele mir zu Füßen lagen, und ich war so grenzenlos allein. Du glaubst der Verleumdung nicht, Reinhart, ich weiß es, Du glaubst mir, wenn ich Dir sage, daß ich es wert bin, Dein Weib zu heißen! Nun, so nimm mich hin! Ich habe ja nichts mehr auf der Welt als Dich allein – Dich und Deine Liebe!“

Durch das Zimmer zuckte ein greller Blitz und ein lang’ anhaltender Donner rollte über den See hin. Reinhart hatte sich emporgerichtet, noch ein tiefer, qualvoller Atemzug rang sich aus seiner Brust empor, dann sagte er fest: „Zenaide – ich kann nicht lügen!“

Was war das für eine seltsame Antwort? Zenaide bebte zusammen und sah ihn groß und fragend an. Er zögerte noch eine Sekunde lang, dann kam das Geständnis dumpf und leise von seinen Lippen:

„Ich weiß es, was Du mir mit Deiner Hand bietest, weiß, was ich zum zweitenmal verliere. Vielleicht sollte ich es trotz alledem an mich reißen und Dich in Deinem Wahn lassen, aber ich will Dich nicht mit einer Lüge erkaufen. Du forderst von Deinem künftigen Gatten die volle, heiße Liebe, und die kann ich Dir nicht geben – ich liebe eine andere!“

Nun war es ausgesprochen … Es folgte eine lange, schwere Pause, draußen zuckten die Blitze unaufhörlich und um das Haus tobte der Gewittersturm. Hier drinnen aber war es totenstill geworden. Zenaide fuhr nicht auf, regte sich nicht, sie stand da, als habe eine Eiseshand sie berührt und alles, was von Leben in ihr war, erstarren lassen.

„Nun weißt Du es,“ hob Ehrwald endlich wieder an. „Ich war Dir die volle Wahrheit schuldig, und wenn sie grausam ist Zenaide, hörst Du mich nicht?“

Sie strich langsam mit der Hand über die Stirn, als wollte sie die Gedanken zurückrufen, und wiederholte mechanisch, mit völlig ausdrucksloser Stimme: „Ja, ich höre – Du liebst eine andere – wer ist es?“

„Erlaß mir das, ich bitte Dich! Ich werde sie nie besitzen, sie ist unnahbar, unerreichbar für mich, und wenn ich jetzt hinausziehe in die Ferne, sehe ich sie niemals wieder. Verzeih’ mir dies Geständnis – ein Glück hast Du mir nicht zu verzeihen, es ist mir verloren wie Dir.“

Zenaide stand noch immer da und sah ihn an, als wollte sie in seinem Gesichte den Namen lesen, den er ihr verschwieg, auf einmal aber zuckte die Wahrheit vor ihr auf.

„Elsa!“ schrie sie auf. „Sie ist es!“

Er schwieg und senkte den Blick zu Boden.

„Sprich, ich will es wissen! Du liebst Elsa?“

„Ja – das Weib meines Freundes! Und schon der Traum von Glück ist Verrat an ihm. Ich muß fort, für immer.“

Zenaide raffte ihre ganze Kraft zusammen, sie wollte nicht zusammenbrechen vor seinen Augen.

„Geh!“ sagte sie kaum hörbar. „Laß mich allein!“

Er trat wie in aufflammender Reue einen Schritt näher.

„Hätte ich schweigen sollen? Bin ich denn dazu verdammt, Dir immer nur Weh und Schmerz zu bringen – es ist wie ein Verhängnis zwischen uns!“

„Geh!“ wiederholte Zenaide mit plötzlich ausbrechender Heftigkeit. „Verlaß mich! Ich kann nicht mehr! Sei barmherzig und laß mich allein!“

Reinhart sah es in der That, daß er ihr jetzt nicht nahen durfte. Gehorchen war die einzige Schonung, die er üben konnte; er wandte sich zum Gehen.

„Vergieb – ich konnte nicht anders – lebe wohl!“

Die Thür schloß sich hinter ihm, Zenaide war allein. Aber diesmal folgte kein leidenschaftlicher Ausbruch, dieser letzte, schwerste Schlag hatte zerschmettert, was noch von Kraft in ihr war.

Diese nie vergessene, nie überwundene Jugendliebe hatte sie wie ein Heiligtum in ihrem Innern gehütet, und so bitter sie auch Reinharts Stolz anklagte, der die Trennung verschuldet hatte, an seiner Liebe hatte sie nie gezweifelt, daran hatte sie fest und unverbrüchlich geglaubt. Nun lag auch das in Trümmern – sie fühlte es in diesem Augenblick, er hatte sie nie geliebt!

Also Elsa! Sie hatte ihn die Leidenschaft kennen gelehrt. Freilich, er hatte ja schon unbewußt das schöne wilde Kind geliebt, weil es ihm widerstand, weil es ihm trotzte, und jetzt liebte er die schöne herbe Gattin seines Freundes, die ihm so eisig kalt gegenüberstand. Sie war ihm verloren, aber er opferte ihr doch die Frau, die ihm mit so grenzenloser Hingebung ihr ganzes Dasein bot, er wollte kein anderes Glück.

Der Sturm riß plötzlich das nicht fest geschlossene Fenster anf, die Flügel schlugen klirrend auseinander und der Regen sprühte herein. Zenaide blickte auf, sie erhob sich langsam und schritt dorthin. Ihre großen, dunklen Augen leuchteten geisterhaft aus dem totenblassen Antlitz, als sie sich an das Fenster lehnte und hinausblickte auf den stürmenden See … Wie wild die Wogen brausten und schäumten! … Aber unter ihnen war die Tiefe – die Ruhe!

Es war nicht das erste Mal, daß Zenaide Marwood diesen zugleich lockenden und drohenden Stimmen Gehör gab. Sie raunten in ihr oft genug und suchten sie in einen Bannkreis zu ziehen, aus dem es kein Entrinnen mehr gab, aber sie verstummten immer wieder vor einer Erinnerung, die nie erloschen war. Das junge Mädchen hatte auch einst geträumt von einem großen, endlosen Glück, und es war ja auch erschienen, wie eine leuchtende Fata Morgana – und wieder entschwebt. Aber die Sehnsucht danach war geblieben und flüsterte immer wieder, daß es noch nicht zu Ende sei, daß das Glück wiederkehren werde mit dem, der es mit sich genommen hatte in weite Ferne. Nun war der Mann ihrer Liebe zurückgekehrt und mitten aus Weh und Schmerz tauchte das Traumbild wieder auf, goldig und verklärend. Sie streckte die Arme danach aus, sie wollte sich daran klammern – da zerfloß höhnend das Truggesicht und sie war allein, allein in der pfadlosen Wüste!

Zenaide richtete sich empor mit der Ruhe eines unabänderlichen Entschlusses. Sie fühlte in diesem Augenblick nichts mehr von der Qual der letzten Stunden, in ihr war alles leer und tot. Nur einmal noch zuckte ein dumpfes Weh auf, als sie nach Malsburg hinüberblickte, wo ihr Kind sich so ungestüm aus ihren Armen gerissen, wo seine Hand sich zum Schlage gegen sie erhoben hatte. Nun, Percy sollte seine Mutter nicht mehr hassen, man würde es ihm ja bald sagen, daß sie tot sei!

Sie holte aus dem Nebenzimmer ihren dunklen Reisemantel, hüllte sich darein, zog die Kapuze fest über den Kopf, um möglichst unerkannt zu bleiben, und trat dann den letzten Gang an.

(Fortsetzung folgt.)




Karl Goldmark und seine Oper „Das Heimchen am Herd“.

(Mit dem Bilde S. 353.)

Am Herde des Herrn Goldmark, der vor sechzig, siebzig Jahren die Stelle eines Gemeindeschreibers im kleinen ungarischen Städtchen Keszthely bekleidete, fehlte meistens weit mehr als nur ein – Heimchen.

Vierundzwanzig Kinder waren dem braven Manne nach und nach erwachsen. Das sagt alles! Der drittälteste aus der Schar, Karl Goldmark, ist der heutzutage weltbekannte Komponist. Dieser ist entweder 1830 oder 1832 geboren. Zwei Familienpapiere machen nämlich über das Datum verschiedene Angaben. Von den Mühen und Anstrengungen geregelten Schulunterrichtes fast gänzlich verschont geblieben, verlegte sich der Knabe schon frühzeitig auf das Violinspiel, nahm dann in Oedenburg – wohin er mit Geige und Noten zwei Stunden weit zu laufen hatte – ordentlichen Unterricht und konnte 1843 bereits als der beste Schüler in einem Musikvereinskonzerte daselbst öffentlich auftreten, bei welchem Anlasse er auch etwas ihm bisher völlig Unbekanntes sah – ein Klavier (Pirkhert aus Wien hatte ein Konzert gespielt). Bald nach diesem Ereignisse erhielt Goldmark auch die ersten, großen

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