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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Kind, hatte indessen auch nicht einen einzigen Zug von seinem Vater. Das tiefschwarze Haar und die großen dunklen Augen gehörten nicht dem blonden, helläugigen Geschlechte der Marwoods an, und so kindlich das Gesicht auch noch war, es verriet doch schon eine unverkennbare Aehnlichkeit mit dem der Mutter. Man hatte es dem Kleinen wohl gesagt, daß man ihn zu seiner Mutter führe, aber er schien keine Erinnerung mehr an sie zu haben, denn er blickte scheu und fremd zu ihr hinüber und schmiegte sich fest an den Vater.

Zeuaide aber vergaß beim Anblick ihres Sohnes alles andere. Mit dem Aufschrei: „Percy, mein Percy!“ stürzte sie auf ihn zu, riß ihn in ihre Arme und bedeckte ihn mit heißen Küssen. Der Knabe, überrascht und bestürzt, duldete das im ersten Augenblick, dann aber sträubte er sich gegen die Liebkosungen.

„Laß mich!“ rief er und versuchte sich loszumachen. „Laß mich los! Du sollst mich nicht küssen, ich leide es nicht!“

Zenaide zuckte schmerzvoll zusammen bei diesem Tone und dieser Abwehr; aber freilich, das Kind hatte sie ja so lange nicht gesehen, die Mutter war ihm fremd geworden!

„Percy, kennst Du mich denn nicht mehr?“ schmeichelte sie mit stürmischer Zärtlichkeit. „Ich bin’s ja, Deine Mama, die Dich so grenzenlos lieb hat. O, das sind noch Deine großen Augen, das ist Dein süßes, süßes Gesichtchen! Mein Kind, mein Alles, endlich habe ich Dich wieder! Willst Du Deine Mama nicht lieb haben?“

Sie schloß ihn von neuem in die Arme und überströmte ihn mit leidenschaftlichen Liebkosungen. Die zärtlichen Schmeichellaute schienen in der That in dem Kinde eine Erinnerung an frühere Zeiten zu erwecken, wo die Mutter noch bei ihm weilte, es schaute sie groß an und wandte dann den Kopf fragend nach dem Vater zurück.

Lord Marwood stand einige Schritte entfernt, ohne das Wiedersehen zu stören, und jetzt sagte er, wie zur Antwort auf die stumme Frage: „Gewiß, Percy, es ist Deine Mama. Du weißt es ja, daß sie so lange fort gewesen ist.“

Die Worte klangen schneidend scharf und sie mußten wohl eine Bedeutung für den Knaben haben, denn er riß sich plötzlich ungestüm los.

„Nein, ich will Dich nicht lieb haben!“ rief er zornig. „Du hast mich auch nicht lieb. Du hast mich und den Papa allein gelassen und bist fortgegangen, weit fort. Du bist so bös! Ich will bei meinem Papa bleiben; geh wieder fort, ich mag Dich nicht!“

Zenaide war totenbleich geworden, ihr Auge suchte ihren Gatten, der scheinbar ganz unbewegt dastand, aber sie sah den Triumph in seinen Zügen und mit halb erstickter Stimme stieß sie hervor: „Das ist Ihr Werk!“

„Was, Mylady?“ gab er eisig zurück. „Daß Percy seinen Vater liebt, der ihn erzog, und nicht die Mutter, die ihn verließ? Ich meine, das ist nur natürlich.“

„Percy, komm zu mir!“ rief Zenaide außer sich. „Du sollst zu mir kommen, Du mußt mich lieben! Percy, hörst Du nicht?“

Es lag eine Todesangst in dem verzweifelten Ausruf, aber der Knabe hörte nur das Gebieterische darin und jetzt flammte sein ganzer Trotz auf.

„Nein – nein!“ schrie er mit einer Leidenschaftlichkeit, die nur zu sehr an die Mutter erinnerte, „ich will nicht zu Dir! Komm mir nicht nahe!“ Und als sie trotzdem versuchte, sich ihm zu nahen, schlug er nach ihr und floh zu seinem Vater, an den er sich anklammerte.

Marwood legte den Arm um seinen „Sohn und Erben“ und um seine Lippen spielte wieder dasselbe grausame Lächeln wie vorhin, als er ging, ihn zu holen. Er hatte ja den Verlauf der Sache vorausgewußt.

„Ich glaube, das erledigt unsern Streitpunkt,“ sagte er. „Sie werden schwerlich wünschen, daß sich derartige Begegnungen wiederholen. Es muß ja peinlich sein für Sie, und Percy leidet auch darunter. Ich bin überzeugt, jetzt werden Sie auf meine Bedingung eingehen, und dann – ich wiederhole es Ihnen – sind Sie frei und können ganz Ihren Neigungen leben!“

Er hatte kein Erbarmen mit der gequälten Frau und ersparte ihr selbst in diesem Augenblick nicht den hämischen Spott; aber das wurde nicht mehr gefühlt. Zenaide war verstummt, seit sich die kleine Hand dort gegen sie gehoben hatte. Nur ein Blick voll Todesqual fiel noch auf das Kind, dann brach sie zusammen und die furchtbare Erregung machte sich in einem Weinkrampf Luft.

War es jener Blick oder das verzweiflungsvolle Weinen, Percy schien jetzt erst zu fühlen, daß er der Mutter wehegethan hatte. Er blickte erst zu dem Vater empor, dann zu ihr hinüber und sagte endlich scheu und leise: „Mama weint!“

Der Lord runzelte die Stirn; Krämpfe und vielleicht gar Ohnmachten, das fehlte nur noch! Wollten die Scenen denn gar kein Ende nehmen? Er trat zu seiner Gemahlin.

„Ich bedaure, Mylady. Ich hatte gewünscht, Ihnen diesen Auftritt zu ersparen, aber Sie haben ihn erzwungen. Ich fürchte, daß meine Nähe Ihnen jetzt peinlich ist, und will Sie davon befreien. Komm, Percy!“

Er nahm die Hand seines Sohnes und wollte ihn hinausführen, aber Percy zögerte. Er blickte noch immer zu der Mutter hinüber und wiederholte fast bittend: „Mama weint so sehr!“

Die Falte auf der Stirn Marwoods vertiefte sich, er zuckte die Achseln.

„Mama ist unwohl, wir werden ihr Hilfe senden,“ sagte er kurz und zog den Knaben mit sich fort; dieser folgte auch, aber auf der Schwelle wandte er sich noch einmal um und sah zurück. Es war, als habe das Kind eine Ahnung von der Grausamkeit, die bis auf den Tod verwundete Frau jetzt allein zu lassen. –

Es war Nachmittag geworden. In Malsburg war man soeben vom Tische aufgestanden, Mistreß Hartley hatte sich zurückgezogen und die beiden Herren gingen auf der Terrasse auf und nieder, während Percy mit dem großen Bernhardiner spielte. Bei Lord Marwood hatte die erregte Scene, die vor einigen Stunden hier stattgefunden, anscheinend gar keinen Eindruck hinterlassen, er gab sich mit voller Behaglichkeit dem Genuß seiner Cigarre hin. Hartley dagegen war ernst und nachdenklich und es lag ein Vorwurf in semer Stimme, als er jetzt sagte: „Ich fürchte, Du bist sehr hart gewesen, Francis. Lady Marwood sah furchtbar aus, als ich sie zum Wagen geleitete.“

„Ich bin nur fest geblieben und das ist solchen excentrischen Naturen gegenüber eine unbedingte Notwendigkeit,“ erklärte Francis gelassen. „Diesem ewigen Stürmen und Drängen nach dem Kinde mußte endlich einmal ein Ende gemacht werden.“

Hartleys Miene verriet, daß er mit seinem Freunde nicht einverstanden war, aber er schwieg und hob erst nach einem kurzen Stillschweigen wieder an: „Du willst also die Scheidung jetzt unverzüglich einleiten?“

„Gewiß, sobald ich nach England zurückgekehrt bin. Jetzt brauche ich mir den Alleinbesitz Percys nicht erst gerichtlich zu erstreiten und die Scheidung vollzieht sich ohne jeden Skandal – das ist die Hauptsache.“

Für Lord Marwood schien dies wirklich die Hauptsache zu sein. Er sah ungemein befriedigt aus, als er die blauen Wölkchen seiner Cigarre in die Luft blies, und ruhig zu einem anderen Thema übergehend, fuhr er fort: „Wie steht es denn mit unserer Bootsfahrt? Es wird nun wohl Zeit dazu, die Hitze hat ja nachgelassen und jetzt macht sich der Wind auf, gerade recht zum Segeln.“

Hartley blickte nach den Bergen hinüber, die sich immer mehr verschleierten, dann entgegnete er etwas bedenklich: „Da drüben scheint sich ein Wetter zusammenzubrauen, und wenn der Wind umspringt, faßt es uns gerade auf dem See.“

„Thorheit! Das Wetter droht schon den ganzen Tag und hier auf dem friedlichen Alpensee hat es doch überhaupt keine Gefahr.“

„Unser See ist nicht so harmlos wie Du glaubst. Du hast ihn noch nicht im Sturme gesehen; dann ist er so tückisch und gefährlich wie das Meer. Indessen, wenn Du Lust hast, ich bin bereit; aber ich denke, wir lassen Percy diesmal zu Hause.“

„Weshalb? Er freut sich immer so auf die Bootsfahrt.“

„Aber wenn sie stürmisch wird –“

„Nun, dann lernt er das eben kennen. Ich will keinen Weichling aus meinem Sohn machen, er hat ohnehin Anlage dazu, von der Mutter her.“

„Es wird auch nichts zu sagen haben,“ meinte Hartley, mit einem nochmaligen prüfenden Blick auf das Gewölk, „und im Notfall können wir anderswo anlegen.“

„Ich werde nach dem Boote sehen,“ sagte Marwood. „Geh hinauf, Percy, und laß Dich fertig machen, wir fahren bald.“

Er schritt die Stufen hinunter und ging nach dem Strande, wo das Boot lag. Hartley folgte ihm, blieb aber noch einen Augenblick bei dem kleinen Percy stehen, der heut’ ungewöhnlich still war.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0343.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2022)