Seite:Die Gartenlaube (1896) 0340 a.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

0


Die Gartenlaube.

Beilage zu No. 20. 1896.


Heinrich v. Treitschke †. In dem am 28. April in Berlin verstorbenen Historiker Heinrich v. Treitschke hat die deutsche Geschichtswissenschaft einen ihrer namhaftesten Vertreter verloren. Von den Historikern großen Stils, die, wie Ranke und Sybel, die Entstehung und Gründung des Deutschen Reichs als die Erfüllung der eigenen patriotischen Wünsche miterlebt und dann vom Standpunkt eines weiten historischen Ueberblicks dargestellt haben, ist der nun auch dem Tod Verfallene am meisten von patriotischer Begeisterung und politischem Ueberzeugungseifer erfüllt gewesen. Das gab seiner Rede, vom Katheder des Universitätslehrers wie von der Tribüne in politischer Versammlung herab, ihren feurigen, namentlich in früheren Zeiten hinreißenden Schwung; das gab seinen historischen Schriften den großen Vorzug innerer Wärme und Frische, packender Darstellungsform und aus tiefster Ueberzeugung schöpfender Vortragsweise. Das schmälerte aber andererseits den objektiven wissenschaftlichen Wert seiner Werke; der Trieb, für seine persönlichen Ansichten kämpfend einzutreten, machte sich oft auch da geltend, wo es das Amt des Historikers ist, das abgeklärte Urteil leidenschaftsloser Wahrheitserforschung zu fällen.

Kapitän W. Willigerod.
Nach einer Photographie von W. Sander & Sohn in Geestemünde.

Heinrich v. Treitschke.
Nach einer Aufnahme von Hofphotograph W. Höffert in Berlin.

Das Ideal einer Wiederherstellung der deutschen Reichseinheit unter starker preußischer Führung besaß in ihm bereits einen leidenschaftlichen Vorkämpfer, als das Bekenntnis zu ihm Mut und Opfer verlangte. Am 15. September 1834 zu Dresden als Sohn eines sächsischen Generals geboren, ließ er sich nach Abschluß seiner Studien zwar in Leipzig als Dozent nieder, fühlte sich aber im inneren Gegensatz zu den in der engeren Heimat geltenden politischen Anschauungen. Seine erste Professur erhielt er 1863 im badischen Freiburg, gab sie jedoch bereits im Juni 1866 wieder auf infolge der Stellung Badens zur deutschen Frage. Er ging nun auf kurze Zeit nach Berlin, übernahm dort die Redaktion der „Preußischen Jahrbücher“, deren eifriger Mitarbeiter er bereits war, und folgte bald danach einem Rufe an die Universität Kiel. Hier (1867), in Heidelberg (bis 1874) und dann in Berlin hat er in der Zeit der Gründung des Reichs und seines inneren Ausbaus im nationalen Sinne ungemein begeisternd auf viele Tausende damals Studierender gewirkt; von 1871 an hat er auch als Mitglied des Reichstags an diesem inneren Ausbau thätigen Anteil genommen. Trugen seine älteren Schriften, wie das Buch „Zehn Jahre deutscher Kämpfe 1865–74“ und die glänzend geschriebenen „Historisch-politischen Aufsätze“, einen mehr publizistischen Charakter, so raffte er gegen Ende der siebziger Jahre seine Kräfte zur Ausführung seines groß angelegten, rein historischen Lebenswerkes zusammen, das 1879 unter dem Titel „Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert“ zu erscheinen begann und von welchem bisher 5 Bände, der letzte erschien 1894, vorliegen. 1886 wurde er als Nachfolger Rankes zum Historiographen des preußischen Staates ernannt. Seine parlamentarische Laufbahn fand 1888 ihr Ende. Zunehmende Schwerhörigkeit verkümmerte ihm die Freude am öffentlichen Auftreten als Redner. Sein Berliner akademisches Lehramt hat er jedoch bis zu der Erkrankung nicht aufgegeben, die seinen Tod herbeiführte.

Nassr-ed-din, Schah en Schah, König der Könige von Persien, ist in Europa besser bekannt als viele andere der Fürsten im fernen Orient; hat er doch wiederholt, in den Jahren 1874, 1878 und 1889, Reisen nach Europa unternommen, wobei sein buntes Gefolge in unseren Großstädten ein nicht geringes Aufsehen erregte. Er stand im Rufe eines für asiatische Verhältnisse aufgeklärten Mannes, der in seinem Reiche einige Fortschritte der Kultur fördern wollte, aber seine Pläne nur in geringem Maße verwirklichen konnte, da er auf den Widerstand seiner sehr konservativen Unterthanen stieß. Nun kommt aus der persischen Hauptstadt die Kunde, daß religiöse Fanatiker aus der Sekte der Babi, die schon einmal im Jahre 1852 nach dem Leben des Schahs getrachtet hatten, diesmal ihr Ziel erreichten. Nassr-ed-din wurde am 1. Mai von einem dieser Fanatiker ermordet. Der Attentäter feuerte den Schuß in dem Augenblicke ab, als der Schah die Grabmoschee des Wallfahrtsortes Schah-Abdul-Asim, 10 Kilometer südlich von Teheran, betrat. Die Pistolenkugel traf in die Herzgegend, und zwei Stunden darauf verschied der Schah. – Geboren am 17. Juli 1831, bestieg Nassr-ed-din am 10. Oktober 1848 den Thron seiner Väter. Besonders folgenreiche äußere Verwickelungen blieben Persien unter seiner Regierung erspart; schwer aber litt das Land unter inneren Unruhen, welche durch die Habsucht der einzelnen Gouverneure angezettelt wurden. Daß es dem aufgeklärten Schah nicht gelungen ist, die alten Unsitten auszurotten, darüber hat erst vor kurzem der Artikel „Auf den Trümmern von Kutschan“ (vgl. Jahrg. 1895, S. 767) unsere Leser belehrt, in welchem die traurigen Zustände in Persien geschildert wurden. Nassr-ed-din war auch litterarisch thätig; er hat einen „Diwan“, d. h. eine Liedersammlung, und mehrere Beschreibungen seiner Reisen herausgegeben. S.     

Nassr-ed-din, Schah von Persien.
Nach einer Photographie von Sophus Williams in Berlin.

Ein Jubilar auf dem Atlantischen Ozean. Am 22. April d. J. trat der Schnelldampfer „Spree“ seine Reise von Bremen nach New York an, die für den Kapitän des Schiffes, Willigerod, eine Jubelfahrt war. Der bewährte Seemann vollbrachte damit eine That, die vor ihm noch niemand ausgeführt hatte: zum zweihundertstenmal legte er als Kapitän des Norddeutschen Lloyd den Weg nach New York zurück! Fürwahr, eine großartige Leistung ist es, vierhundertmal als verantwortlicher Führer eines großen Passagierdampfers ohne nennenswertes Mißgeschick den Nordatlantischen Ozean durchquert zu haben! Dazu bedurfte es einer eisernen Pflichttreue und zähen Ausdauer, einer jahrelangen angestrengten Arbeit. – Wilhelm Willigerod wurde am 16. Juni 1839 zu Verden in Hannover geboren. Die Lust zu Abenteuern regte sich in ihm frühzeitig; er verließ das Gymnasium zu Celle und ging am 10. Juni 1855 auf die See. Er besuchte alle Weltmeere und machte sogar eine Expedition in das Innere Australiens mit, die mit großen Entbehrungen verknüpft war. Im Juli 1866 legte [e]r das amerikanische Kapitänsexamen ab, und am 21. Juli 1868 trat er in den Dienst des Norddeutschen Lloyd. Im Laufe seiner Fahrten bewährte er sich als ein ganzer Mann, der für seine Nächsten ein warmes Herz hatte. Groß ist die Zahl der Schiffbrüchigen, denen er das Leben rettete, und hohe Orden schmücken die Brust, die so oft dem Sturm getrotzt hat; die wertvollsten dieser Auszeichnungen sind aber zweifellos die goldenen Rettungsmedaillen verschiedener Gesellschaften zur Rettung Schiffbrüchiger. Geachtet von seinen Vorgesetzten, geliebt von seinen Untergebenen, steht Kapitän Willigerod noch in rüstiger Kraft da. Möge sie ihm noch lange beschieden bleiben, mögen ihm auch ferner glückliche Sterne auf seinen weiten Fahrten leuchten!

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 340a. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0340_a.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)