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Blätter & Blüten.



Das Nahrungsbedürfnis der Kinder. Vielfach herrschen über das Nahrungsbedürfnis der Kinder ganz falsche Vorstellungen. Man bemißt dasselbe nach dem Nahrungsbedürfnis der Erwachsenen, während dies doch weder in Bezug auf Menge noch auf Zusammensetzung der Nahrung zutrifft. Physiologische Untersuchungen haben darüber folgendes ergeben. Das Nahrungsbedürfnis der Kinder bis zum Alter von 16 Jahren ist verhältnismäßig größer als das der Erwachsenen, weil die Ernährung bei ihnen nicht nur den Bestand des Körpers erhalten, sondern auch das Material für das Wachstum liefern muß. Auf 1 Kilo Körpergewicht berechnet ergiebt sich der Bedarf für Erwachsene: Eiweiß 1,8 g, Fett 1,2 g, Kohlehydrate 5,2 g. Ein Kind von 10 bis 12 Jahren braucht aber auf 1 Kilo Körpergewicht 2,6 g Eiweiß, 2,2 g Fett und 8,7 g Kohlehydrate. Daraus folgt, daß die Nahrnng der Kinder in ihrer Zusammensetzung reicher an Eiweiß und Fett sein sollte. Eine reichlichere Beigabe von Fleisch und Butter im Verhältnis zu Brot, Kartoffeln, Gemüse etc. ist den Kindern nützlich; das Fleisch kann auch zum Teil zweckmäßig durch frischen weißen Käse ersetzt werden. Für unser nervöses Zeitalter ist die Zufuhr von Fett von Bedeutung, da die Nervensubstanz viel Fett verbraucht. Wenn die Kinder also gut gestrichene Butterbemmen so gern haben, so ist das nur die Aeußerung eines ganz gesunden Instinktes. *      

Bestrittene Jagdbeute. (Zu dem Bilde S. 325.) Schon öfters ist es mir auf der Jagd begegnet, daß ich, während meine Hunde suchend Rüben -oder Kartoffelbreiten nach Hühnern abrevierten, unerwartet Jagdgesellschaft bekam, indem ein Raubvogel in meiner Nähe kreiste, der auch wohl, wenn ein schlecht getroffenes Huhn schwerfällig mit plustrigem Gefieder fortstrich, blitzschnell dasselbe schlug und mit seinem Raube das Weite suchte.

Einst jagte ich in der Nähe der Weser und hatte schon stundenlang gesucht, aber nichts erlegt. Die Hühner hatten, wie der Weidmann sagt, das Wetter im Kopfe – sie hielten nicht, liefen rasch und standen so weit vor meiner Flinte auf, daß ich entweder nicht schießen konnte, oder, wenn ich auch ’mal hinhielt, um sie auseinander und dadurch zum Halten zu bringen, doch keins herunter holte – der Galgen an meiner Jagdtasche blieb leer. Endlich strich eine Kette nach einer größeren Rübenbreite hin und kaum hatte ich die Hühner in der Ferne verschwinden und dann noch einmal für eine Sekunde erscheinen sehen, als sie mit senkrecht gegen die Flugrichtung gestemmten Schwingen ihre Schnelligkeit stoppten. Da stand auch schon eine zweite Kette 80 Schritte vor mir auf und strich in derselben Richtung davon. Jetzt hatte ich Hoffnung, zu Schuß zu kommen, denn es war nicht ausgeschlossen, daß die Hühner in der guten Deckung vor dem Hunde auseinanderliefen und dann hielten. Mein Wunsch sollte erfüllt werden, und zwar mehr noch als es mir lieb war. Ebenso wie ich den Hühnern nachgeblickt, hatte es auch ein Konkurrent von mir gethan, den ich bislang nicht gesehen hatte – ein roter Milan, eine Gabelweihe, die es zwar nicht vermochte, die streichenden Hühner einzuholen, jetzt aber über den Rüben kreiste, damit sie vielleicht das eine oder andere unter den Blättern eräugte, wo es sich ängstlich fest an die Erde drückte, um den scharfen Sehern und Fängen des befiederten Räubers zu entgehen.

Bald war auch ich mit meinem Setter dort, der in rascher Zickzacksuche die Rübenbreite abrevierte und auch nach kurzer Zeit plötzlich, als hätte der Blitz vor ihm eingeschlagen, starr und unbeweglich, wie ein aus Erz gegossenes Bildnis – die Nase weit vorwärts in den Wind gestreckt – fest vorstand. Er hatte die Hühner – und zwanzig Fuß über ihm glitt durch die Lüfte der mächtige Vogel, raubgierig zur Erde spähend, und regelte mit dem tief gegabelten, breiten Stoß (Schwanz), wie mit einem Steuer, sein kreisendes Schweben.

Langsam ging ich zu meinem „Wild-Joke“ hin – als beachtete ich den befiederten Raubgesellen gar nicht – aber seine Kreise brachten ihn genau so rasch zurück als ich vorwärts kam – er kannte die Gefahr und blieb außer Schußweite. Ich liebelte meinen Hund: – „Vorwärts!“ Allein so weit er auch nachzog, so rasch und sicher er sich bemühte, die laufenden Hühner festzumachen – keines stand auf – sie wußten augenscheinlich, daß über ihnen ein gefiederter Feind Wache hielt. Endlich hatte sich aber doch eins fest gedrückt, der Hund stierte vor sich schräg zur Erde – ich „trat“ es heraus und unmittelbar über den Rüben strich es pfeilschnell dahin – da knallte mein Schuß und es war in den Rübenblättern verschwunden. Im selben Augenblicke fuhr auch schon der Milan schräg herab, um die Beute zu greifen – doch ein zweiter Schuß verhinderte ihn, mit dem Huhn in den Fängen das Weite zu suchen; ich hatte ihm die Schwingenspitze zerschossen.

Der englische Vorstehhund ist zu „weich“, um rücksichtslos einen Raubvogel zu packen, und gerade wie auf unserm Bilde der Setter und Pointer vor dem angeschossenen Rauchfußbussard, so war auch wenige Sekunden später mein irischer „Wild-Joke“ dicht beim Milan und drückte sich ebenso wie jene vorsichtig vor Fang- und Schnabelhieben des befiederten Räubers. Karl Brandt.     

Eine elektrische Eisenbahn im Wasser. Die beiden englischen Seebäder Brighton und Rottingdean am Kanal, welche durch eine Meeresbucht von 5 km Breite getrennt sind, erhalten mit der kommenden Saison eine eigentümliche Verbindung, welche gewiß schon der Merkwürdigkeit halber stark benutzt werden wird. Die trennende Bucht enthält zur Ebbezeit nur ganz flaches Wasser, welches bei der Flut plötzlich 10 Fuß und mitunter 16 Fuß hoch ansteigt; der Meeresgrund ist jedoch ganz eben. Hier ist nun ein breites vierfaches Geleise gelegt worden, über welchem an hohen Pfosten eine elektrische Leitung von einer Stadt zur anderen läuft. Das Fahrzeug aber, welches auf diesem ungewöhnlichen Wege verkehren soll, ist ein mächtiger, plattformartiger Wagen, der für 150 Personen Raum bietet und deshalb eine Fläche von 120 qm besitzt; seine Länge beträgt über 16 m. Um gänzlich dem Bereich der Wellen entzogen zu sein, steht dieses Gefährt auf einem Gerüst von 10 m hohen Stahlröhren, die unten von einem Gestell mit acht Rädern getragen werden. Letztere laufen also im Wasser, werden aber vom Verdeck des Fahrzeuges aus durch zwei starke Dynamomaschinen angetrieben, so daß der Wagen sich wie eine Lokomotive durch die Meeresbucht bewegt. Kontaktrollen schleifen während der Fahrt an der längs der Strecke angebrachten Luftleitung und vermitteln den elektrischen Antrieb. Die Geschwindigkeit der sonderbaren Eisenbahn soll nur 10 km pro Stunde betragen, so daß man in 30 Minuten von Brighton nach Rottingdean gelangen wird. Bw.     

Der stürmische Verlobungstag. (Zu dem Bilde S. 328 und 329.) Wir sehen in das Schlußkapitel einer Schwarzwälder Dorfgeschichte hinein. Mit harter Mühe und langen Kämpfen hat das Liebespaar samt den verbündeten Müttern den alten reichen Bauern soweit gebracht, daß er in den „Verspruch“ seines Aeltesten mit dem ärmeren Mädchen willigte. Aber nun, wo die eigentliche Verhandlung beim Sonntagskaffee losgehen soll, nun reut ihn der Handel plötzlich so sehr, daß er am liebsten die verschüchterte Witwe samt ihrem mit den Thränen kämpfenden Töchterlein aus dem Hause werfen möchte. Seine Alte ist dem unwirsch vom Tisch Auffahrenden gefolgt und redet beschwörend auf ihn ein. Der Sohn steht stumm, aber er wirft einen bösen Blick nach dem alten Hartkopf hinüber, während die entsetzte Brautmutter wie schützend ihrem Kinde näher rückt. Eine kritische Situation! Man könnte für den Ausgang bange sein ohne die alte Erfahrung, daß die gröbsten Männer am Ende doch meistens so thun, wie die unterwürfigsten Frauen es haben möchten. Und mit dieser tröstlichen Aussicht kann man sich ruhig der Hauptsache zuwenden, nämlich der Einzelbetrachtung des lebensvollen Kurzbauerschen Bildes und seiner Figuren, die so charakteristisch echt sich von dem Hintergrund einer alten, gemütlich anheimelnden Schwarzwälderstube abheben.

Der Maispaziergang. (Zu dem Bilde S. 337.) Wer erinnert sich nicht noch gerne in späteren Jahren des glücklichen Mainachmittags, an welchem man mit anderen fröhlichen Kindern in Reih’ und Glied aus dem Schulhofe zog, um in Begleitung der Lehrer durch Feld und Wald einem Vergnügungsort der Umgegend zuzumarschieren! Die schöne Sitte hat sich erhalten, wie unser Bild gar lebensvoll vergegenwärtigt. Lustig glänzen die bunten Fahnen in der Maiensonne, lustig singen die kleinen Burschen ihr Wamderliedchen, sie „fühlen sich“ gehörig, die Herren Abcschützen, die heute zum erstenmal als „Schüler“ in der Welt auftreten dürfen! Das alte Mütterchen am Wegrande sieht voll Anteil auf die junge lärmende Schar: so zog sie einst selbst und dann ihre Kinder und Enkel … ’s ist hübsch lange her, aber sie hat sich ein freundliches Herz bewahrt und die Kinder lieb behalten. Gute Fahrt, ihr kleinen Wandervögel, und volle Milchschüsseln, große Kuchenstücke und lustiges Spiel in eurem Dörfchen, bis das späte Abendrot euch heimleuchtet und ihr vor lauter Müdigkeit kaum mehr beim Zubettgehen der Mutter sagen könnt, wie wunderschön es heute gewesen! Bn.     

Abseits betitelt sich eine Sammlung anmutiger Erzählungen von Ernst Lenbach, welche soeben im Verlag der Cottaschen Buchhandlung Nachfolger in Stuttgart erschienen ist. Die Mehrzahl derselben ist auf denselben liebenswürdig behaglichen Grundton gestimmt, welcher auch den gemütvollen humoristischen Geschichten, die der Autor bisher in der „Gartenlaube“ veröffentlichte, ihren eigentümlichen Reiz verleiht. Der Titel der Sammlung ist bezeichnend für die ganze Art des rheinischen Humoristen. Abseits von der breiten Heerstraße liegen die Pfade, auf denen er mit nachdenklichem Sinn die Poesie sucht und findet, abseits von der lärmenden Welt des öffentlichen Lebens treiben die kreuzbraven Käuze und kernguten Sonderlinge, mit denen er es so gern hält, ihr Wesen, erblüht das idyllische Glück, dessen Wert er gegenüber den Glücksidolen der großen Menge preist. Auch die größeren historischen Novellen „Weltfern“ und „Lucas Heylandt“ entsprechen in ihrem Charakter dem Gesamttitel. Sie zeigen, wie Vorurteile und Glaubenszwietracht in finsteren Zeiten einzelne Menschen hinausstieß in die Einsamkeit als Verfemte und wie die Sehnsucht nach dem Glück, das nur die Liebe von Herz zu Herzen gewährt, das Schicksal selbst solcher Verfemten bestimmt. Viele unserer Leser, welche den gemütvollen Erzähler in der „Gartenlaube“ liebgewonnen haben, werden uns für den Hinweis auf dieses neue Lenbachsche Buch dankbar sein.


Inhalt: Fata Morgana. Roman von E. Werner (19. Fortsetzung). S. 325. – Bestrittene Jagdbeute. Bild. S. 325. – Der stürmische Verlobungstag. Bild. S. 328 und 329. – Im Wandel der Zeiten. Von F. G. Ad. Weiß. S. 330. – Im Ulmen-Laubgang. Gedicht von Emil Rittershaus. Mit Randzeichnung. S. 333. – Vor der Berufswahlt. Warnungen und Ratschläge für unsere Großen. Das Kunstgewerbe. Von F. Luthmer. S. 333. – Ein unbedachtes Wort. Novelle von M. Misch. S. 336. – Der Maispaziergang. Bild. S. 337. – Blätter und Blüten: Das Nahrungsbedürfnis der Kinder. S. 340. – Bestrittene Jagdbeute. Von Karl Brandt. S. 340. (Zu dem Bilde S. 325.) – Eine elektrische Eisenbahn im Wasser. S. 340. – Der stürmische Verlobungstag. S. 340. (Zu dem Bilde S. 328 und 329.) – Der Maispaziergang. S. 340. (Zu dem Bilde S. 337.) – Abseits. S. 340.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0340.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2023)