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Diejenigen kunstgewerblichen Zweige, deren Entwicklung nach oben hin unbeschränkt, bei denen also die Grenze gegen die „hohe Kunst“ ziemlich verwischt ist, sind die Dekorationsmalerei, die dekorative Bildhauerei, die Glasmalerei, die Arbeit des Graveurs, des Ciseleurs und Silberschmiedes und die Holz- und Elfenbeinschnitzerei. Wie das zu verstehen ist, werden wir am besten am Beispiel des Malers sehen. Ein begabter junger Mann, der eine Kunstgewerbeschule lange und fleißig genug besucht hat, um sich auch in der figuralen Komposition auszubilden, wird durchaus befähigt sein, den Auftrag eines Kunstfreundes, der sich seinen Musiksaal mit Figurenfriesen ausmalen will, zu übernehmen. Ja, er wird dieser Aufgabe günstiger gegenüberstehen als der akademisch gebildete Maler, den sein Studium auf die Herstellung inhalts- und stimmungsvoller Staffeleibilder gewiesen hat, weil ihm die Beherrschung der Technik, sei es Oel-, Tempera- oder Kaseinmalerei in großen Flächen schon von seiner handwerklichen Lehre her mehr im Blute sitzt. Aehnlich verhält es sich mit dem kunstgewerblich ausgebildeten Bildhauer, den sein Studium mit dem großen Gebiete des Ornamentes besser vertraut gemacht hat, als es die Akademien zu thun pflegen. Die mit reichem Figurenschmuck ausgestatteten silbernen Tafelaufsätze und sonstigen Ehrengeschenke, welche die Aufgaben des Ciseleurs von Ruf zu bilden pflegen, gehören ohne weiteres der Kunst an und sind von jeher – wir erinnern an Cellini, Eisenhoit und andere Meister der Vergangenheit – zu dieser gerechnet worden. Aber stets ist bei diesen Aufgaben eine sicherere Gewähr des Gelingens gegeben, wenn sie der mit der sogenannten Kleinplastik vertraute Ciseleur in der Hand hat, als wenn ein Bildhauer der Großplastik, der an Helden- und Siegesdenkmälern geschult ist, sich erst mit Mühe in den kleinen Maßstab einarbeiten muß. Selbstverständlich erfreuen sich derartige monumentale Aufgaben, die allerdings nur den hervorragendsten Vertretern ihres Fachs zuzufallen pflegen, auch einer entsprechenden Bezahlung. Aber auch bescheidenere Arbeiter dieser der hohen Kunst verwandten Fächer finden, wenn sie sich über das Maß des Handwerklichen erheben, in einigermaßen guten Zeitläuften regelmäßige und lohnende Beschäftigung.

Wir haben bisher den geraden und schwer zu verfehlenden Weg zu zeichnen versucht, auf dem ein begabter junger Mensch zuerst eine handwerkliche und darauf eine künstlerische Ausbildung erwirbt, um später das erlernte Handwerk in kunstgewerblichem Sinne und mit einer lohnenderen Ausnutzung seiner Fähigkeiten zu betreiben. Leider begegnen dem Leiter kunstgewerblicher Anstalten nicht selten Leute, die sich darauf verbeißen, den umgekehrten Weg zu gehen, die das Haus gleichsam beim Dach zu bauen anfangen möchten. Da stellt uns der Vater (in schwereren Fällen die Mutter!) einen Jungen vor, der solch großes Talent – „solch arges Schenie“ heißt’s oft wörtlich – zum Zeichnen habe. Zum Beweis bringen sie eine Kopie nach einem Holzschnitt aus der „Gartenlaube“ oder die Vergrößerung einer Photographie der Großmutter mit, die der Junge „ganz allein, ohne jede Hilfe“ gemacht hat; wir glauben es meistens gern! Eigentlich möchte man ja den Jungen Kunstmaler werden lassen, aber das kostet viel Geld und ist auch ein unsicheres Brot. Da wird denn das „Kunstgewerbe“ als solch anständiges Mittelding angesehen, das den Jungen nicht gerade verurteilt, mit dem Schurzfell oder dem Farbtopfe über die Straße zu gehen, das aber doch noch soviel von der Kunst hat, um das „Schenie“ zur rechten Verwertung zu bringen, und das ein hinreichend neuer und unklarer Begriff ist, um an dasselbe die Hoffnung auf eine sehr schnell zu erlangende Selbständigkeit zu knüpfen. Man will den Jungen gern zwei bis drei Jahre in die Schule schicken, damit er dann als „Kunstgewerbler“ sein gutes Brot finde.

Es ist meist außerordentlich schwer, die Eltern von der Verkehrtheit dieses Vorgehens zu überzeugen und sie auf den normalen Ausbildungsweg zu weisen, zumal die dringende Frage, ob es denn gar nicht möglich sei, auch auf die andere Weise zu einem Resultat zu gelangen, nicht unbedingt verneint werden kann. Gewiß, es giebt Menschen von solch ungewöhnlicher Begabung, besonders von einem gewissen instinktiven technischen Gefühl für die Besonderheiten der in den verschiedenen Handwerken zur Verarbeitung kommenden Materialien, daß unter einem tüchtigen Lehrer und bei eisernem Fleiß sich aus denselben brauchbare Zeichner für verschiedene Zweige des Kunstgewerbes bilden lassen! Weiter als zum Entwerfer wird es aber ein solcher kaum bringen, ein Beruf, der immerhin in einer industriereichen Stadt seinen Mann ernährt. Steht ihm von Hause aus Kapital zur Verfügung, so wird er auch wohl einen tüchtigen praktischen Handwerker finden, mit dem er ein kunstgewerbliches Geschäft, eine Möbel- oder Silberwarenfabrik, eine Glasmalerei, lithographische Anstalt oder dergl., gemeinschaftlich begründen kann. Aber immer wird man mit ziemlicher Bestimmtheit sagen können, daß derselbe begabte Mensch sicherer, d. h. unter Ersparung des ihm durch die Praxis später auferlegten Lehrgeldes, und selbständiger sein Ziel erreicht haben würde, wenn er die paar Jahre einer normalen Handwerkslehre nicht gescheut hätte.

Unter den Kunstgewerbezeichnern, welche ihr Ziel durch eine schulmäßige Ausbildung erlangen wollen, hat man zwischen denen zu unterscheiden, die ihre Dienste für alle Zweige des Kunstgewerbes anbieten, und denen, die sich auf ein bestimmtes Gebiet beschränken. Das im letzteren Falle am meisten bevorzugte ist das der graphischen Künste, was uns nicht wundern darf, da ein phantasiebegabter Mann, wenn ihm auch jede Fühlung mit dem praktischen Handwerk fehlt, sich am ersten imstande fühlen wird, eine ornamentale oder figürliche Komposition zu entwerfen, die um ihrer selbst willen da ist oder die vom Lithographen oder Lichtdrucker unmittelbar vervielfältigt wird. Im Verlage von A. Seemann in Leipzig ist kürzlich ein Adreßbuch der Kunstgewerbezeichner Deutschlands mit Leistungsproben der einzelnen Künstler erschienen. Unter den zweihundert Namen finden sich fast hundertfünfzig, die als ihre Spezialität „Diplome, Plakate, Adreß-, Tisch- und andere Karten“ angeben. Wenn nun auch der mit diesen Sachen beschäftigte Kunstdruck eine große Industrie darstellt, so muß man doch wohl zu der Ueberzeugung kommen, daß mit der genannten großen Zahl von Erfindern der Bedarf ziemlich gedeckt und die Konkurrenz auf diesem Gebiet einigermaßen scharf ist. Um so mehr, als gerade die größten Kunstdruckanstalten für den Export arbeiten und naturgemäß, um den Geschmack ihrer überseeischen Besteller sicher zu treffen, die Originale zu ihren Kunstdrucken aus dem Ausland, namentlich aus England, beziehen.

Ein anderer Zweig, auf dem man vielfach glaubt, mit einer ausschließlich schulgemäßen Ausbildung Erfolge erzielen zu können, ist der Beruf des „Dessinateurs“, des Musterzeichners für Webemuster, Zeug- und Tapetendruck und Stickerei. Besonders das weibliche Geschlecht, welches sich durch Besuch einer Kunstgewerbeschule einen Lebensberuf zu schaffen wünscht, glaubt ihn hier am ersten zu finden. Meist ist hier das Resultat eine arge Enttäuschung. Die Musterzeichnerei bildet ein geschlossenes Gewerbe; um Brauchbares in derselben zu leisten, bedarf es vielerlei: einer genauen Bekanntschaft mit der Webetechnik für Hand- und Maschinenbetrieb, für Wolle, Seide, Baumwolle und Leinen; ferner einer ununterbrochenen Fühlung mit der Mode. Der Eintritt in ein solches Atelier als bescheiden bezahlter Gehilfe muß durch eine lange Lehrzeit erworben werden. Selbst ein im Ornament gewandter Dekorationsmaler oder eine junge Dame, die eine Kunstgewerbeschule drei Jahre hindurch fleißig besucht hat, ist damit höchstens auf dem Standpunkt angelangt, als Lehrling angenommen zu werden. Aehnlich steht es mit der Stickerei; diese ist fast ganz von der Maschine in Anspruch genommen; auch die Muster für Handstickerei werden auf mechanischem Wege vervielfältigt und auf den Stoff übertragen.

Diese Betrachtungen führen uns zur Erörterung der Frage, ob und in welcher Weise das Kunstgewerbe für das weibliche Geschlecht in der Berufswahl in Frage kommt. Wir sehen immer wieder Versuche in dieser Richtung machen, zahlreiche Kunstgewerbeschulen den Mädchen Gelegenheit zur Ausbildung im Musterzeichnen und Blumenmalen geben, und dennoch sind praktische Fälle, in welchen ein Mädchen dem Kunstgewerbe eine selbständige Lebensstellung verdankt, verschwindend gering. Die Schuld dieser bedauerlichen Erscheinung tragen zum kleineren Teile die weiblichen Aspiranten des Kunstgewerbes selbst, zum größten unsere geschäftlichen und gesellschaftlichen Zustände. Auf dem normalen Weg zum Kunstgewerbe, den wir oben bezeichnet haben, findet man ein Mädchen fast nie. Was der begabte Junge in dreijähriger Lehrzeit und ebenso langem Schulbesuch erwirbt, das glaubt ein junges Mädchen, dem die Aussichten auf Verheiratung zu schwinden anfangen, in zwei Jahren durch den Besuch einer Kunstgewerbeschule zu lernen, der leider auch nur zu oft die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0335.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2021)