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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

weißt, ich ertrage von Dir jede Härte, jede Bitterkeit, aber meinen Vater laß ruhen in seinem Grabe. Sprich nicht in diesem Tone von ihm, ich kann und will das nicht hören.“

„Sieh, wie energisch!“ höhnte der Professor. „Du willst nicht? Hast ja viel Selbständigkeit gelernt bei Deinem Manne. Sonst kanntest Du überhaupt keinen eigenen Willen; aber freilich, wenn man den ganzen Tag lang angebetet wird, dann wird man übermütig. Ich hätte Lothar für vernünftiger gehalten. Ich glaubte Dich einem ernsten Manne zu geben, der über solche Narrheiten längst hinaus ist, und nun verliebt er sich in Dich und treibt eine förmliche Abgötterei mit Dir. Es ist lächerlich!“

Elsa antwortete nicht, sie beugte sich ruhig nieder, um die Decke aufzuheben, die herabgeglitten war, und breitete sie sorgfältig wieder über die Kniee des Kranken; aber gerade ihr Schweigen schien diesen noch mehr zu reizen, er führ in dem gleichen Tone fort: „Der gute Lothar! Da freut er sich über Dein sogenanntes ‚Erwachen‘ und staunt es wie ein Wunder an – fürchten sollte er es! Da erzählt er Dir den ganzen Tag lang von seinen Zügen und Fahrten, rollt die ganze Welt vor Dir auf und weckt die alte unbändige Sehnsucht, die mir in Deinen Kinderjahren schon so viel zu schaffen machte. Ist der Mann denn mit Blindheit geschlagen? Die Elsa, die er aus meiner Hand empfing, hätte er behalten, denn die wußte, was Pflicht und Gehorsam heißt, aber sein ‚angebetetes Weib‘, das er nicht schnell genug freimachen konnte von den Fesseln meiner ‚Tyrannei‘, das wird er verlieren, hat er vielleicht schon verloren und er merkt es nicht einmal!“

„Du bist ungerecht gegen Lothar und mich,“ sagte Elsa ruhig. „Aber Du bist krank, Großpapa –“

„Und deshalb verzeihst Du mir großmütig, nicht wahr? Nimm Dich in acht, die Augen des Kranken sehen schärfer als die der Gesunden, sehen mehr als Dir lieb ist!“ Er faßte plötzlich mit hartem Druck ihre Hand, die sich noch an der Decke zu schaffen machte. „Was hast Du gesprochen mit diesem Ehrwald, vorhin, als er so dicht an Deine Seite trat? Antworte, ich will es wissen!“

„Wir haben von Lothar gesprochen.“

Der Professor ließ ein heiseres Lachen hören. „Wirklich? Spielt er Dir noch Komödie vor? Ich habe ihn von Anfang an nicht leiden können, den Burschen mit den schwarzen Feueraugen, der immer so stolz und gebieterisch dreinschaut, als hätte er der ganzen Welt zu befehlen, aber Dir gefällt er wohl um so besser?“

„Großpapa, laß mich,“ bat die junge Frau beklommen und versuchte sich loszumachen, aber die Hand des Großvaters lag feucht und eiskalt auf der ihrigen und hielt sie gewaltsam fest, während er ihr in drohenden: Tone zuraunte: „Hast Du es noch nicht begriffen oder willst Du es nicht begreifen? Verliebt ist er in Dich! In das Weib seines Freundes!“

Elsa bebte zusammen bei den Worten, die so jäh und erbarmungslos den Schleier von einem Unheil rissen, dessen Nahen sie wohl dunkel und angstvoll gefühlt hatte, das ihr aber nie zum klaren Bewußtsein gekommen war. Entsetzt, keines Wortes mächtig, blickte sie den alten Mann an, dessen unheimlich glühende Augen sich förmlich einbohrten in ihr Antlitz.

„Was wirst Du denn auf einmal so totenbleich?“ fragte er. „Brauchst Dich ja nicht darum zu kümmern, wenn Du weißt, was Ehre und Pflicht heißt. Oder kümmerst Du Dich vielleicht doch darum? Denkst Du, ich habe es nicht gesehen, wie Ihr nebeneinander standet, als ob die ganze Welt um euch versunken wäre, wie er Dir minutenlang ins Auge sah und Du ihm nicht wehrtest? Freilich, wo wäre auch Ehre und Treue zu finden bei dem Bernriedschen Geschlecht! Lothar hat schon einmal das Unheil über meine Schwelle geführt, ohne es zu ahnen, jetzt führt er es in sein eigenes Haus mit dem vielgeliebten Freunde. Damals war es Ludwig Bernried, dieser Schurke, und heut’ –“

Ein Aufschrei der jungen Frau unterbrach ihn, sie riß ihre Hand aus der seinigen und trat mit einer stürmischen Bewegung zurück. „Sage das nicht noch einmal! Nenne meinen Vater nicht mit solchem Namen – oder ich vergesse, daß Du krank bist, daß ich Dich schonen muß – vergesse alles! Ich ertrage das nicht!“

„Willst Du es mir vielleicht verbieten?“ rief Helmreich, aufs äußerste gereizt durch den Widerspruch. „Du weißt ja jetzt vieles, nahezu alles von Deinem Vater – Lothar hat es Dir erzählt – hast auch gerade Ursache, stolz auf ihn zu sein! Nachdem er sich und sein Weib zu Grunde gerichtet hatte, überließ er Dich meiner Barmherzigkeit. Ich, den er bis auf den Tod beleidigt hatte, mußte sein Kind erziehen. Nichts hat er auf Dich vererbt als dies leidenschaftliche Wesen, das sich so rebellisch aufbäumt gegen alles, was Pflicht und Gehorsam heißt. Ich habe es ausrotten wollen bei dem Kinde und habe es doch nur unterdrücken können. Sobald ich die Hand von Dir lasse, bricht es wieder hervor. Es wird noch das Unglück Deines Lebens werden!“

Weder er noch Elsa bemerkten es in der Erregung, daß die Thür sich öffnete, daß Ehrwald auf der Schwelle stand, bereit zum Schutze der jungen Frau; allein sie bedurfte keines Schutzes mehr. Als würfe sie eine lange getragene Last ab, so richtete sie sich jetzt empor und brach mit vollster Heftigkeit aus: „Das Unglück meines Lebens bist Du gewesen – ja Du, Großvater, mit Deiner erbarmungslosen Härte! Als ich zu Dir kam, eine kleine, verlassene Waise, die nichts auf der Welt hatte als Dich allein, da hätte ein jeder andere verziehen und das Kind an sein Herz genommen, wenn er auch die Eltern verstieß – Du hast mich gehaßt um meines Vaters Willen, jawohl, gehaßt! Ich habe es gefühlt vom ersten Augenblicke an, wenn ich es auch erst viel später erkennen lernte. Es hat Dir Freude gemacht, mich zu quälen und alles, was von Kraft und Leben in mir war, zu brechen. Du hättest mich am liebsten zum geistigen Tode verdammt. Ich bin schon einmal hinaus gelaufen in Nacht und Schnee, beinahe in den Tod, nur um Dir zu entfliehen, und jetzt möchte ich Lothar auf den Knieen danken, daß er mich Deiner Macht entrissen hat. Mein armer Vater hat eine Jugendsünde, zu der ihn doch nur die Liebe trieb, so schwer büßen müssen, aber Du hast zehnfach mehr gesündigt an ihm und an mir, Du, der keine Liebe und kein Verzeihen kennt. Und Du willst ihn jetzt noch im Tod beschimpfen, vor seinem Kinde beschimpfen? Versuche das nicht noch einmal, oder ich gehe von Dir und lasse Dich allein in Deiner Sterbestunde!“

Sie stand vor ihm, in glühender, leidenschaftlicher Empörung, und schleuderte ihm drohend all die Anklagen ins Antlitz, und der alte Mann, der seiner ganzen Umgebung ein Tyrann ohnegleichen war, der nicht den geringsten Widerspruch ertrug, er verstummte vor diesem jähen Ausbruch und sank scheu davor zusammen. Er hatte Furcht vor seiner Enkelin, vielleicht auch vor ihrer Aehnlichkeit mit dem toten Vater, die in diesem Augenblick in fast erschreckender Weise hervortrat.

Aber noch einem anderen drängte sich diese Aehnlichkeit auf. So hatten Ludwig Bernrieds Augen geflammt bei jenem Todesritte, als er den Gegner maß, der ihm den Sieg entriß. Ehrwald hatte eintreten wollen, aber er stand wie festgewurzelt an der Schwelle und sein Auge hing mit dem Ausdruck leidenschaftlicher Bewunderung an der jungen Frau. Da hatte eine grausame Erziehung nichts vernichten, sie hatte nur fesseln können und jetzt wurde die letzte Fessel abgeworfen! Das war wieder das schöne wilde Kind, das so lieblich schmeicheln, so maßlos trotzen konnte und es gerade mit diesem Trotz dem jungen Landsmanne angethan hatte, als er es emporhob in seine Arme und den versagten Kuß erzwang!

Das starre, entsetzte Staunen Helmreichs dauerte freilich nur Sekunden, dann kam ihm mit dem Zorn auch die Sprache zurück. Er lachte auf, so heiser und höhnisch wie vorhin.

„Und Du willst Lothars Frau sein? Dich hat der Mann gewählt, der sich nur nach Ruhe sehnt, den Du pflegen sollst in seinem stillen Heim? Wenn er Dich jetzt sähe, es würde ihm klarwerden, was er gethan hat. Zu dem anderen gehörst Du, dem das Feuer auch so aus den Augen sprüht wie Dir jetzt. Der ist Deinesgleichen, er wird Dich an sich ketten mit jener dämonischen Gewalt, die auch Dein Vater hatte, und Du – Du wirst früher oder später thun, was Deine Mutter that, als sie aus meinem Hause floh. Aber ehe es dahin kommt, ehe ich das zum zweitenmal erlebe, eher mochte ich Dich mit eigener Hand –“

Er vollendete nicht, aber seine zuckende Hand griff nach dem schweren Leuchter, der neben ihm auf dem Tische stand, und mit dem letzten fieberhaften Aufflammen der Lebenskraft schleuderte er ihn nach der jungen Frau. Doch in demselben Augenblick stand auch schon Ehrwald da und riß sie zurück. Der Leuchter fiel schmetternd zu Boden, gerade da, wo sie gestanden hatte.

„Sie sind von Sinnen, Herr Professor!“ sagte Reinhart in jenem strengen, gebieterischen Tone, in dem man zu einem Wahnsinnigen spricht, der gebändigt werden soll. „Sie hätten Ihre Enkelin getötet ohne mein Dazwischentreten!“

Dies Dazwischentreten war das Schlimmste, was geschehen konnte, es erregte den Kranken aufs äußerste. In seinen Augen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0326.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)