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Die Gartenlaube.

Beilage zu No 19. 1896.


Viktor Tilgner †. Wenige Tage vor der feierlichen Enthüllung seines bedeutendsten Werks, des Mozart-Denkmals, das nun seit dem 21. April eine der schönsten Monumentalzierden von Wien bildet, ist der Bildhauer Viktor Tilgner einem Herzschlag erlegen. Die Verkettung beider Ereignisse hat den Verlust, welchen das Wiener Kunstleben durch diesen Tod erlitten, der österreichischen Kaiserstadt mit erschütternder Wirkung nahe gebracht, und die Trauer um den in Wien selbst aufgewachsenen Künstler war eine außerordentliche und allgemeine. In einer stetig aufsteigenden Linie hatte sich seine Entwickelung vollzogen, die gerade jetzt ihren Höhepunkt erreicht zu haben schien. Am 25. Oktober 1844 in Preßburg als Sohn eines Häuptmanns beim Sappeurcorps geboren, war er in frühem Kindesalter schon mit den Eltern nach Wien gekommen. Er besuchte hier die Realschule, und als der Trieb, Künstler zü werden, sich in ihm regte, fand er seitens der Eltern nur Förderung; er kam auf die Kunstakademie und ward Atelierschüler bei dem Bildhauer Joseph Gasser. Noch als solcher sah er sich an der Ausschmückung des neuen Wiener Opernhauses beteiligt, für das er eine lebensgroße Büste von Bellini schuf. Eine Marmorstatue des Herzogs Leopold VI. von Oesterreich für das Arsenal war sein nächstes Werk. Hatte er bei seinen bisherigen Lehrern neben akademischen Preisen und Lobsprüchen den Tadel erfahren, daß er für einen Bildhäuer zu malerisch in der Anschauung sei, was besonders auch bei seiner viel Aufsehen erregenden Büste der Tragödin Charlotte Wolter der Fall war, so verursachte diese Eigenschaft in der Folge gerade, daß er in Deloye einen für ihn Richtung gebenden Meister fand und für sich und sein Schaffen Makarts Interesse erregte. An Makarts Seite machte er auf Kosten des Wiener Kunstmäcens Baron Leitenberger 1874 eine größere Studienreise durch Italien, und in Makarts Atelier schuf er dann das Modell jenes Brunnens mit der Gruppe eines Tritons und einer Najade, den Kaiser Franz Joseph kaufte und für den Wiener Volksgarten in Bronze ausführen ließ. Auch für die kaiserliche Villa in Ischl, diejenige im Tiergarten bei Wien und ebenda für das Palais Schwarzenberg hat er Monumentalbrunnen geschaffen. Gerade seine Art, die auf dekorative Wirkungen und malerischen Reiz im Plastischen ausging, fand dann auch beim Ausschmuck der großen Wiener Neubauten, wie der Hofmuseen und des neuen Hofburgtheaters, vielfältige zweckentsprechendste Verwendung. Für das letztere schuf er die Nischengruppe „Wiener Hanswurst“ und die Kolossalfiguren der Phädra und des Falstaff. Auch die Rubens-Statue vor dem Wiener Künstlerhause ist von ihm. Besonders fruchtbar war er im Porträtfach. An Denkmälern stammen von Tilgner unter anderen das des Komponisten Hummel in seiner Vaterstadt Preßburg, dasjenige Franz Liszts in Oedenburg, das Werndl-Denkmal in Steyr und das größte und hervorragendste Werk seines Lebens, das nun enthüllte Marmorstandbild Mozarts in Wien, dessen Abbildung die „Gartenlaube“ bereits im Jahrgang 1892, S. 220, gebracht hat. Auch außerhalb Wiens hat es dem genialen Künstler nicht an Ehren gefehlt; auf der Berliner Jubiläumsausstellung 1886 war er der einzige Bildhauer, der die Große goldene Medaille erhielt, und auch in München wurde er ähnlich geehrt. Persönlich war Tilgner von echt wienerischer Liebenswürdigkeit. Das Herzleiden, dem er am 16. April erlag, hatte ihn schon seit längerer Zeit gepeinigt.

Viktor Tilgner.
Nach einer Photographie von V. Angerer in Wien.

Die Bevölkerung Europas. Im Jahre 1885 wurden in Europa 337 526 700 Einwohner gezählt, im Jahre 1895 belief sich aber laut einer statistischen Zusammenstellung die Zahl derselben auf 367 449 500. Somit betrug die Zunahme in diesen 10 Jahren rund 30 Millionen Einwohner. Rußlands Zuwachs bezifferte sich auf 12½ Millionen oder 1,46% im Jahre, während die Bevölkerung Deutschlands um 4½ Millionen oder 0,96% jährlich gestiegen ist. Die verhältnißmäßig größte Zunahme weist die Türkei mit 2,4% im Jahre auf, die geringste Frankreich, wo sich die Bevölkerung nur um 0,17% im Jahre vermehrt hat.

Die neue Oderbrücke in Frankfurt a. O. Frankfurt a. O. ist eine der ältesten deutschen Städte im Osten. In uralter Zeit beherrschte die Siedelung einen der wichtigsten Oderübergänge, durch den der rege Handel nach Polen seinen Weg nahm. Hier sammelten sich die Oderschiffe, hier wurden blühende Messen abgehalten; kein Wunder also, daß in der Stadt schon frühzeitig eine hölzerne Brücke über die Oder geschlagen wurde, die bereits im Jahre 1280 erwähnt wird. Wiederholt vom Hochwasser zerstört und vom Feinde in Kriegszeiten verbrannt, wurde sie erneuert und genügte lange den Ansprüchen des Verkehrs. Die Neuzeit brachte jedoch gesteigerte Anforderungen, und als ein durch Fäulnis zerstörter Teil der Holzbrücke wieder aufgeführt werden sollte, entschloß man sich, lieber eine neue steinerne Brücke zu bauen. Dieselbe wurde nach den Plänen des dortigen Stadtbaurates Malcomeß errichtet und bietet nunmehr nach ihrer Vollendung einen imposanten Anblick. Sie überschreitet den Oderstrom mit acht Flachbogenspannungen zwischen zwei massiv gemauerten Widerlagern und sieben mit Granit verkleideten Strompfeilern. Die Länge der Brücke beträgt 260 m und die Breite etwa 13 m. Die Höhe der mittleren Bogenspannungen ist so bemessen, das selbst beim Eintritt von Hochwasser die Schiffahrt auf der Oder nicht zu stocken braucht. Die Baukosten der Brücke beliefen sich auf 1½ Millionen Mark, wozu der Staat einen Zuschuß von 360 000 Mark gewährte. Auf unserem Bilde sehen wir im Hintergrunde die am linken Stromufer gelegene Stadt, von den Türmen der Reformierten Kirche überragt.

Die neue Oderbrücke zu Frankfurt a. O.
Nach einer Photographie von Oskar Mellenthin in Frankfurt a. O.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 324 a. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0324_a.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2023)