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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)


„Schön,“ meinte die Frau Collega, „der Zuname wäre auch zu lang. Also, Alfons, mauere Du ’mal ruhig weiter! Weißt Du denn auch, wer ich bin?“

Der Knabe lächelte verlegen. „Wenn Sie gestatten – man nennt Sie nur immer die Frau Collega.“

„Das genügt auch,“ erwiderte sie. „Aber hör’ ’mal, Alfons, wer mauert denn so? Halb auf halb mußt Du die Steine legen, nicht einen auf den andern. Und ordentlich Mörtel dazwischen. Schau her, so!“

Während sie zusammen arbeiteten, sagte der Prinz: „Ich habe eben an Mama geschrieben.“

„Wo ist denn Deine Mama?“

„In Wien.“

„Warum ist sie denn da?“

„Wegen der Güter in Böhmen,“ antwortete der Prinz. „Wir müssen darum mit Onkel Rudolf prozessieren, weil Mama nicht – nicht – ebenbürtig –“ Er verstummte und errötete sehr.

„Herr Gott!“ dachte die Frau Collega und klopfte heftig auf einen Ziegelstein, „also davon muß das Kind auch schon wissen!“ Laut sagte sie: „Wo ist denn Dein Hofmeister?“

„Der Herr Doktor schreibt eben seinen Bericht an die Mama. Nachher mache ich mit ihm zusammen mein lateinisches Skriptum für die Schule. Heute wird es wohl schnell gehen, denn er hat noch für sich zu arbeiten.“

„So?“ brummte die Frau Collega und horchte in eine Gartenecke, wo eben ein Huhn lebhaft zu gackern anfing.

„Hat das nun ein Ei gelegt?“ fragte der Prinz.

„Das ist je nachdem,“ erklärte die Frau Collega und sah ihn fest an. „Welche thun auch nur so und lassen die anderen das Ei legen. Weißt Du, Alfons, das ist wie mit dem lateinischen Skriptum.“

Als sie eben ausgesprochen, kam der Doktor Weichselreis um die Ecke und blieb beim Anblick der Gruppe sprachlos stehen.

„Guten Abend, Herr Doktor,“ sagte die Frau Collega. „Wir mauern hier zusammen, aber jetzt kann ich Ihnen wohl den Unterricht überlassen.“

Tags darauf vor der Lateinstunde meldete sich Alfons bei dem Lehrer. Er sah so fiebrig und erschöpft aus und seine Stimme klang so heiser, daß der Lehrer erschrak. „Herr Doktor,“ sagte er so laut, daß seine Mitschüler es hören konnten, „mein Gouverneur hat Ihnen heute früh ein Briefchen geschickt, ich hätte wegen Unwohlseins mein Skriptum nicht so gut machen können wie sonst. Das ist aber nicht wahr, wenn ich mich auch jetzt wirklich schlecht fühle. Ich habe mir sonst immer bei allen häuslichen Arbeiten von ihm helfen lassen, und ich wollte das nicht länger und habe es diesmal allein gemacht, und darum wird es wohl sehr schlecht geraten sein. Ich bitte um Verzeihung!“

Bei den letzten Worten fing er bitterlich an zu weinen. Der Lehrer sagte ein paar tröstende Worte, dann ließ er den Prinzen, da sein Wagen noch nicht vorgefahren war, durch zwei Mitschüler nach Hause geleiten, denn der Knabe war sichtlich krank. Die Klasse blickte ihm betreten und teilnahmvoll nach.

„Das ist ja eine verzweifelte Geschichte,“ sagte der Direktor, als ihm der Fall gemeldet wurde. „Uebrigens gedacht haben wir es uns ja alle. Nun, von dem Knaben freut es mich auf jeden Fall. Aber wissen Sie, dahinter steckt wieder die Frau Collega!“

*  *  *

Vierzehn Tage später saß die schöne Fürstin-Witwe von Rosenstein-Waldau in einem Zimmer ihrer Villa der Frau Collega gegenüber. Ihre Wangen, erblaßt und eingefallen in wenigen Tagen namenloser Angst, blühten wieder auf in einer seligen Gewißheit: ihr Kind war gerettet.

Als die Fürstin auf das dringende Telegramm des Doktors Weichselreis herbeigeeilt war, hatte sie an dem Lager des kleinen Kranken eine Wärterin getroffen, wie sie in allen Hospitälern Wiens keine bessere gefunden hätte. Die Frau Collega hatte die Pflege des Kindes mit derselben ruhigen Rücksichtslosigkeit an sich genommen, mit der sie die Hecken und Mauern menschlicher Eitelkeit zu überschreiten pflegte. Die Ansteckungsgefahr war ihr dabei ebenso gleichgültig wie der passive Widerstand des Doktors Weichselreis oder das Lob des alten Stadtphysikus, der ihren Beistand der Fürstin gegenüber als die beste Gewähr für einen günstigen Ausgang pries. Sie hatte sich wahrhaftig nicht geschont in diesen Tagen und Nächten. Nun aber, da ihr Pflegling, wie sie sagte, „nur noch ein paar Hühnersuppen brauchte, um wieder herumzulaufen,“ war sie wieder ganz Frau Collega und schenkte einer Fürstin so wenig etwas wie der jüngsten Lehrersfrau.

„Sehen Sie, Durchlaucht,“ sagte sie, „von den üblichen wilden Vorwürfen, dergleichen Sie sich ab und zu machten, davon sehe ich ab. Das ist so eine Art mütterliche Begleiterscheinung bei jeder Kinderkrankheit. Aber nun haben wir ihn Gott sei Dank so weit, nun lassen Sie uns einmal vernünftig erwägen. Sehen Sie, ich hab’ Sie ja noch gekannt, als Sie zwei Waschkleider hatten und ein gutes halbseidenes zum Ausgehen. Sie waren ein braves Mädchen und sind in Ehren zu Ihrem hohen Rang gekommen, sollen eine gute Gattin gewesen sein, und daß Sie eine gute Mutter sind, weiß ich jetzt. Aber eine kluge Mutter waren Sie nicht. Es ging Ihnen alles zu sehr durcheinander. Die und die königliche Hoheit ist Pate von dem Jungen, soll ihn später voranbringen und will, daß er aufs Gymnasium kommt wie andere Jungen – also los, aufs Gymnasium! Aber da ist nun wieder sein Rang und, entschuldigen Sie, vielleicht auch ein wenig Angst, daß man sonst die bürgerliche Mutter durchmerkt: also allerlei Firlefanz, Hofstaat und Hofmeister. Den Hofmeister lassen wir uns von einem fremden Vertrauensmann aussuchen, denn wir haben keine Erfahrung; und wir lassen ihn gewähren, denn wir müssen nach Wien und was weiß ich wohin, um dem Prinzen noch etliche Güter mehr gegen die Seitenverwandten zu sichern. Ja du lieber Gott, was helfen dem Kind all die Güter! Das braucht eine Mutter! Der Junge steckt in keiner gesunden Haut; der ist wie ein schwaches Kücken, der braucht Wärme – ich meine Liebe; und dazu sind Sie da. Ziehen Sie sich mit ihm auf eins seiner Schlösser zurück, gönnen Sie ihm, was auch ein Bauernjunge hat: Luft, Licht, Bewegung; lassen Sie ihn meinetwegen auf Bäume klettern! Suchen Sie ihm einen Schulmeister aus, es braucht kein Kirchenlicht zu sein, wenn er nur weiß, was Erziehen heißt. Machen Sie ihn zu einem gesunden, fröhlichen, einfachen Menschen, dann kann er hernach noch immer ein Fürst werden, es wird ihm dann nichts mehr schaden. Und dann haben Sie mehr an ihm, als wenn er ein siecher Mensch wäre und könnte sich ganz Böhmen an die Uhrkette hängen.“

Die Fürstin hatte gesenkten Hauptes zugehört. Nun reichte sie der unwirschen Ermahnerin die Hand. „Ich danke Ihnen, Frau Collega,“ sagte sie. „So Gott will, wird Ihr Andenken nicht aussterben in unserem Hause … Sie haben mir mein Kind wiedergegeben … Ich will versuchen, es in Ihrem Sinne zu leiten.“

„Schön!“ sagte die Frau Collega und strich ihr mütterlich über die Hand. „Dann wären wir ja einig – – Nun muß ich aber gehen und ’mal sehen, was meine Hühner anfangen.“



Blätter und Blüten.


Der Verein Frauenheim zu Berlin versendet seinen einundzwanzigsten Jahresbericht, aus dem wir erfreulicherweise entnehmen, daß der Vereinszweck: „achtbaren alleinstehenden Frauen eine dauernde, ihrer gesellschaftlichen Stellung entsprechende Wohnstätte mit allen zur Wahrung der Sittlichkeit und des häuslichen Behagens wünschenswerten Einrichtungen mietweise zu gewähren“, in immer vollkommenerer Weise zur Erfüllung kommt. Vergleicht man die Mietpreise unserer Großstädte mit den schmalen Mitteln so vieler den gebildeten Ständen angehörigen älteren Mädchen und Witwen, so wird man die Gründung solcher Frauenheime als eine große soziale Wohlthat anerkennen müssen. Eine vorsichtige Finanzverwaltung ermöglicht dem Berliner Haus, das sich fortwährend größter Frequenz erfreut, die einzelnen Wohnungen (Zimmer mit Kabinett) zum Preise von 100 bis 180 Mark jährlich zu vermieten, einzelne Zimmer bedeutend billiger. Zur gemeinsamen Benutzung dienen ein Speise- resp. Lesesaal, Badezimmer, Waschküche, Trockenboden, Garten, Bibliothek mit Zeitschriften, doch ist niemand gehalten, von diesen Einrichtungen Gebrauch zu machen. Nur das Mittagessen ist der Hausküche zu entnehmen, da Selbstkochen nicht gestattet ist. Dagegen kann jeder achtbare Erwerb ausgeübt werden im Einklang mit dem Wahlspruch des Vereins: „Friede und Anstand.“ Wie segensreich diese Veranstaltungen für viele sind, geht aus den kurzen Angaben schon hervor. Möchten doch andere große Städte dem Berliner Beispiel nachfolgen! Bn.     

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0323.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)