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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Nr. 18.   1896.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Fata Morgana.

Roman von E. Werner.

     (17. Fortsetzung.)

Es war bereits spät geworden und die Gäste der Lady Marwood fingen an aufzubrechen. Einer nach dem andern trat heran, um sich zu verabschieden, es wurde stiller und leerer in den glänzenden Räumen. Zenaide schritt gerade durch den Salon, als auch Ehrwald sich ihr nahte, um Abschied zu nehmen.

„Darf ich mir die Ehre geben, Ihnen morgen mittag meine Aufwartung zu machen, Mylady?“ fragte er in gedämpftem Tone. Sie sah ihn etwas befremdet an.

„Warum denn so förmlich? Es bedarf doch keiner Anmeldung. Sie sind mir immer willkommen.“

„Aber ich darf wohl kaum darauf rechnen, Sie allein zu finden, und diese Gunst möchte ich mir erbitten.“

„Allein? Haben wir uns wirklich noch etwas zu sagen?“ fragte Zenaide mit bitterem Spott.

„Vielleicht doch – darf ich auf die Erfüllung meiner Bitte hoffen?“

„Da Sie es so feierlich verlangen, werde ich wohl die erbetene Audienz bewilligen müssen, aber das kann schon heute geschehen. In einer Viertelstunde werden die Gäste fort sein, dann bin ich allein.“

Reinhart warf einen Blick auf die Uhr, die bereits auf Mitternacht zeigte. „Wäre es nicht besser, Mylady, wenn ich morgen –“

„Nein, wer weiß wann und wie ich dann in Anspruch genommen bin. Heute sind wir ungestört, bleiben Sie, Herr Ehrwald!“

Das war wieder der herrische, übermütige Ton, mit dem Lady Marwood stets über ihre Umgebung verfügte. Reinhart hörte ihn freilich zum erstenmal. Er verneigte sich und trat zurück, aber sein Auge folgte der schönen Frau, die sich nach dem kurz und leise geführten Gespräch wieder zu den anderen Gästen wandte.

Ja, sie war blendend schön, als sie da unter dem Kronleuchter stand. Das Licht der Kerzen spielte in den schweren Falten des mattgelben Atlasgewandes und blitzte in den kostbaren Juwelen, die Hals und Arme schmückten. Der herrliche Kopf mit dem bläulich schwarzen Haar und den dunklen Augen hob sich so stolz und siegesbewußt und die Lippen lächelten, die Augen strahlten, die ganze Erscheinung war wie aus Licht und Glanz gewoben. Aber Reinharts Blick war jetzt geschärft, er sah das nervöse Zucken dieser Lippen, den fieberhaften Glanz dieser Augen, das Unnatürliche, Krampfhafte in dieser sprudelnden Lebhaftigkeit. Jawohl, das Morphium that seine Schuldigkeit – aber wie lange noch?

Eben verabschiedeten sich die letzten Gäste, zu denen Herr von Verden und der Baron gehörten. Sie waren vorhin um die Unterhaltung mit der afrikanischen Berühmtheit gekommen und wollten das nun nachholen.

„Wir gehen wohl zusammen, Herr Ehrwald?“ sagte Verden. „Unser Weg führt an der Villa des Hofrats vorbei, und wenn Sie uns gestatten –“

„Herr Ehrwald bleibt noch hier,“ fiel Zenaide ein. „Nicht wahr? Wir wollten ja noch von alten Erinnerungen plaudern.“

„Ah, dann bitte ich um Entschuldigung,“ versetzte Verden geschmeidig; aber er wechselte dabei einen sehr bedeutsamen Blick mit seinem Freunde. Das schien ja eine merkwürdig intime Bekanntschaft zu sein. Dieser Afrikaner hatte unglaubliches Glück bei Mylady, die sonst ihre ganze Umgebung mit souveräner Gleichgültigkeit behandelte.

Ehrwald sah diesen Blick, der sein Blut in Wallung brachte. Er runzelte die Stirn und sagte, als jene auch gegangen, mit unterdrückter Heftigkeit: „Ich that doch wohl unrecht, zu bleiben, Mylady!“


Schloß Mespelbrunn im Spessart.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0293.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2023)