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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

krenelierte Mauern und weiter versteckt zwischen buschigen Bäumen Paläste und Kirchen. In einer vorübergehenden Blüteepoche des Reiches unter Kaiser Fasilidas im 17. Jahrhundert wurden jene Bauten errichtet und damals soll Gondar an 50000 Einwohner gezählt haben. Nähert man sich aber der Stadt, so bemerkt man, daß jene Bauwerke nur noch Ruinen sind, und die Stadt selbst besteht aus ärmlichen Hütten, in denen kaum 5000 Menschen wohnen. Unsere Abbildung S. 289 zeigt die Ruinen des kaiserlichen Schlosses in Gondar nebst einigen Skulpturen, die es schmücken, nach einer Zeichnung, die in dem trefflichen Werke von G. Rohlfs über „Abessinien“ (Leipzig, F. A. Brockhaus) enthalten ist.

Verfallen sind diese alten Residenzstädte und die Kaiser von Aethiopien haben keine festen Wohnsitze mehr. Sie ziehen mit ihrem Heerlager von Ort zu Ort, denn sie sind gezwungen, Landstriche auf- oder heimzusuchen, die ihren großen kriegerischen Anhang zu ernähren vermögen. Die ewigen Kriege mit äußeren Feinden und die ewigen Fehden unter den Ras ließen keinen größeren Wohlstand aufkommen, und so konnten auch an Stelle der alten keine neuen Städte aufblühen.

Was in Abessinien den stolzen Namen einer Stadt trägt, das ist in Wirklichkeit armselig genug. Fassen wir Adua, die vielgenannte Hauptstadt der umstrittenen Landschaft Tigre, ins Auge. Malerisch ist sie inmitten der Berge gelegen, besitzt einige Kirchen und europäisch gebaute Häuser, aber es ist nur ein Städtchen mit etwa zwei bis drei tausend Einwohnern, das sich durch keinen Wohlstand, geschweige denn Reichtum auszeichnet.

Ja, heruntergekommen ist der Abessinier. In dem schönen Hochlande werden wenig Produkte erzeugt, die einen nutzbringenden Handel schaffen könnten. Der Sohn der Berge erbaut nur, was er gerade braucht, um nicht zu verhungern. Vorräte speichert er nicht auf. Die abessinischen Handwerker ragen über ihre Standesgenossen bei den benachbarten Stämmen nicht besonders hervor. Aus Eisen verstehen sie Waffen zu schmieden und aus Häuten fertigen sie schöne Schilde, die sie mit Silber belegen und mit Mähnen wilder Tiere verzieren. Aus Leder verstehen sie auch Wassergefäße (vergl. die Anfangsvignette) zu nähen und stellen allerlei Thongefäße her. In letzter Zeit werden immer mehr europäische Waren eingeführt und auch europäische Handwerker sind hier und da im Dienste der Könige thätig. Die Großen des Landes umgeben sich wohl mit orientalischem Pomp. Sie sitzen auf kunstvoll gearbeiteten Thronsesseln, auf denen der Löwe, das Wappentier Abessiniens, nicht fehlt; sie tragen kostbare Gewänder und ihre Garde schreitet einher mit prächtigen Tierfellen geschmückt, ihre Offiziere führen mit Silber ausgelegte Schilde – aber die Masse des Volkes weiß wenig von diesem Luxus. Aus dürftigen Stoffen ist die malerische Tracht des einfachen Mannes gefertigt: die weite Hose und ein Umschlagetuch. Im Gegensatz zu dem Mohammedaner geht der christliche Abessinier barfuß und hält den Kopf unbekleidet; jeder aber trägt eine blaue Schnur, das Abzeichen äthiopischer Christen, um den Hals. Das Volk hat auch keine geistigen Interessen; groß, sehr groß ist die Zahl der Priester, der Mönche und Nonnen, aber es bedarf keiner besonderen Vorbildung, um in den Rang der Geistlichen treten zu dürfen, und der ganze Gottesdienst beruht auf Aeußerlichkeiten. Die Priester in weißen Jacken, mit einem Tuch über dem Haupt, leben zumeist von Almosen und erfreuen sich nicht immer eines besonderen Ansehens. Ihr Oberhaupt heißt Abuna und wird von dem Patriarchen von Alexandrien ernannt. Einst verweigerte dieser Abuna dem Usurpator Theodor den Segen; da trat der Kaiser vor den Oberpriester, streckte gegen ihn den Revolver aus und sprach: „Lieber Vater, bitte, gieb mir Deinen Segen!“ Und der Abuna segnete den Kaiser.

Trotz dieser Zerfahrenheit der inneren Zustände, trotz des Niedergangs von Ackerbau und Viehzucht, trotz des Verfalls des Handwerks ist Abessinien dennoch in den letzten Jahrzehnten dem Ausland gegenüber stärker geworden. Hat es doch im Süden weite Länderstrecken sich tributpflichtig gemacht, steht es doch geeint da, und es hat vom Ausland, von Europa so manches gelernt und empfangen. Alle Feldzüge, die bisher Engländer, Aegypter, Italiener gegen dieses Hochlandsvolk unternommen haben, endeten damit, daß die Waffenkammer Abessiniens mit Gewehren und Geschützen bereichert wurde. Besser denn je ist heute das abessinische Heer ausgerüstet, und seine Führer haben von den Europäern recht viel zu lernen verstanden. Der Verkehr mit Europäern hat auch die Großen des Landes gebildet, und wenn der Orientale schon an sich in den schlauen Winkelzügen der Diplomatie ein Meister zu sein pflegt, so verstehen die heutigen Herrscher Abessiniens noch außerdem ihre Diplomatie den europäischen Gebräuchen mehr und mehr anzupassen.

So lehrt uns die jüngste Geschichte der „afrikanischen Schweiz“, daß die Unterwerfung jenes freien Gebirgsvolkes ein überaus schwieriges Unterfangen ist. Wohl ist im Interesse der Kultur in Afrika dringend zu wünschen, daß Abessinien von einer europäischen Macht erobert werde. Ob diese Eroberung aber mit Gewalt, mit blutigen Waffen geschehen solle, das ist eine Frage, über die mit Recht gestritten werden kann. Es giebt auch friedliche Eroberungen. Wünschenswert ist es sicher, daß der Geist der europäischen Civilisation in das von ewigen Kriegen so schwer heimgesuchte Land eindringe, daß Abessinien, das im Kriegshandwerk so viel gelernt hat, nunmehr in den Künsten des Friedens von Europa gründlicher unterrichtet werde. Es hat bereits genug Kriegskaiser gehabt, wünschen wir ihm einen Friedenskaiser! Hoffen wir, daß es Italien durch weise Mäßigung gelingen möge, in diesem Sinne seine Herrschaft über Abessinien auszudehnen! Dann werden die guten Erfolge nicht ausbleiben, dann wird für Aethiopien eine neue Glanzzeit anbrechen und sein Handel und Wandel der europäischen Macht, die es geistig beschirmt und in der Kultur fördert, zu Nutzen gereichen.




Teckel auf Reisen.

Eine Hundegeschichte von0 Hans Arnold.

„Darf er mit?“

Mit diesen Worten stürzte Karl, der älteste Sohn des Landgerichtsrats Bergmann, fast täglich nach der Schule ins Zimmer, völlig die eisige Gleichgültigkeit verleugnend, mit der ein Sekundaner sonst naturgemäß die Vorgänge des täglichen Lebens anzusehen pflegt. Karl war im ganzen abgestorben für „Gefühlsduselei“, für die Vorzüge der Damenwelt und für den Glauben an die Menschheit im allgemeinen; aber zwei Dinge erweckten doch noch einen leisen Wiederhall in dem ausgebrannten Krater seines Herzens, erstens Chokoladenpralinees – selbstverständlich nicht mit weichlichem Fondant, sondern mit männlich bitterer Mandelfüllung, und zweitens Männe – derjenige, auf den die oben erwähnte Frage: „Darf er mit?“ sich bezog.

Männe war ein Teckel – oder besser der Teckel – ein entzückendes Geschöpf, besonders schön gezeichnet, seelenvoll, klüger als die meisten Menschen, und geschickt – über alle Worte geschickt! Männe sprang sogar, was unter tausend Teckeln kaum einer zustande bringt, er sprang über Schirme, Stöcke, Tennisrackets, ja, er sprang wie eine graziöse Cirkusdame über breite Papptafeln, mit einem Worte – Manne war unvergleichlich!

Von dem Tage an, wo er als drei Wochen altes Teckelbaby in einer blauen Glanzpapierdüte, die mit einem rosa Schleifchen gebunden war, seinen Einzug in das Haus und in die Familie gehalten hatte, war Männe zum erklärten Liebling von jung und alt geworden. Nachdem er sich durch das entsetzliche Stadium der ersten Monate durchgefressen hatte – im wahrsten Sinne des Wortes, denn es gab kein Heiligtum im Hause, von des Vaters Schlafschuhen bis zum Tigerfellteppich im Boudoir der Mutter, was der jugendliche Verbrecher in Hundegestalt nicht auf- oder wenigstens angefressen hätte – nachdem also diese Zeit überwunden war und Männe den Sturm von Verwünschungen und Klapsen überdauert hatte, die von früh bis spät auf seinen geschmeidigen Rücken niedersausten, konnte seine Erziehung für beendet und Männe als ein Musterteckel in jeder Richtung betrachtet werden.

Männe war augenblicklich etwas über ein Jahr alt – also, da das Hundealter, mit sieben multipliziert, dem betreffenden Menschenalter entsprechen soll, ein siebenjähriger Schlingel, voll Uebermut und Beweglichkeit, zu jedem dummen Streich auf zehn Meilen in der Runde aufgelegt, unvernünftig, fidel und sympathisch. Sein Erdenwallen war bisher in der ungestörtesten Behaglichkeit

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