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größten Dienste erwies. In der nördlichsten der abessinischen Landschaften, in Tigre, herrschte damals ein Statthalter Namens Kassai, der aus einem vornehmen Geschlechte stammte und in Theodor einen Usurpator sah. Dieser zu jener Zeit noch junge Mann trug sich mit hohen Plänen, er wollte die Kaiserwürde an sich reißen und verband sich mit den Engländern. Kassai gewährte Lord Napier freien Durchzug durch sein Gebiet, beschützte die englischen Telegraphenleitungen und versorgte das englische Heer mit Lebensmitteln. Als nun Kaiser Theodor auf den Trümmern seiner Felsenburg Magdala sich durch einen Pistolenschuß entleibt hatte und die siegreichen Engländer abzogen, belohnten sie Kassai in wahrhaft königlicher Weise. Sie schenkten ihm einen Teil der für die Expedition bestimmten Ausrüstung, namentlich Gewehre, Geschütze und Munition.

Nach dem Abzug der Engländer begann in Abessinien ein neuer Streit um die Kaiserwürde. Außer Kassai traten Gobesieh von Lasta und Menelik von Schoa in die Schranken. Kassais Heer war der Zahl nach das schwächste, aber dank seiner Ausrüstung den beiden anderen überlegen. Zunächst entbrannte der Kampf zwischen Kassai und Gobesieh; vor Adua, in derselben Gegend, wo jetzt die Italiener ihre schwere Niederlage erlitten haben, kam es am 14. Juli 1871 zur entscheidenden Schlacht. Kassai schlug mit 12000 Mann das fünfmal so starke Heer Gobesiehs und nahm seinen Rivalen gefangen, der nun, geblendet und in silberne Ketten gelegt, auf der Amba Salama als Staatsgefangener gehalten wurde. Der siegreiche Kassai ließ sich aber am 21. Januar 1872 in der alten Kaiserstadt Aksum zum Negus Negesti krönen und nannte sich von nun an Johannes.

Ein schweres Gewölk zog indessen über Abessinien herauf. Aegypten, das im Sudan so große Gebiete erobert hatte, wollte seine Herrschaft über Abessinien ausdehnen; aus gelegentlichen Grenzscharmützeln entwickelte sich zuletzt ein großer Krieg. Für Abessinien galt dieser Krieg als ein heiliger, das Kreuz und der Halbmond stritten wieder einmal um die Herrschaft und der Rival des Kaisers Johannes, der Negus Menelik von Schoa, wagte nicht, sich den Mohammedanern anzuschließen. Johannes bot indessen alle seine Mannen auf und trat den Aegyptern bei Gura entgegen. Am 7. März 1876 wurde hier die größte Schlacht geschlagen, die Abessinien jemals gesehen. Zwanzig ägyptische Bataillone wurden bis Abend niedergemetzelt und insgesamt deckten 50000 Tote das Schlachtfeld. Der Sieg war vollkommen und der Ruhm des jungen Kaisers befestigte sein Ansehen im Innern. Nur der südlichste Teil des Reiches, die Provinz Schoa, in der Menelik herrschte, blieb noch unabhängig. Im Jahre 1879 zog nun Kaiser Johannes gegen diesen mächtigen Rivalen. Schon standen sich die Heere gegenüber, aber es kam nicht zur Schlacht, denn Menelik zeigte seine Unterwerfung an. Und in der That erschien er vor versammeltem Hofe in demütiger Haltung mit einem schweren Block auf dem Halse. Als aber der Negus Negesti seinen Gegner in einer solchen Erniedrigung erblickte, sprang er auf und befahl dem General Ras Alula, den Block abzunehmen, worauf er Menelik umarmte und unter einem Strom von Thränen seine eigene Krone bringen ließ, mit der er ihn zum König von Schoa krönte. Das war ein denkwürdiger Tag in der Geschichte Abessiniens, zum erstenmal seit Jahrhunderten war das Reich wieder unter einem Oberhaupte vereint!

Die günstigen Folgen dieser Wandlung blieben nicht aus; die Zustände im Innern wurden sicherer, die Mohammedaner aus dem Lande verwiesen oder genötigt, die Taufe anzunehmen. Nach außen hatte man gleichfalls namhafte Erfolge zu verzeichnen. Menelik von Schoa erwarb im Einverständnis mit Johannes die Landschaften Kaffa, Enarea, Gurage und Harrar, während im Westen der Zusammenbruch der ägyptischen Herrschaft im Sudan die Interessen Abessiniens förderte. Auf die Dauer sollte jedoch dem Lande der Frieden nicht beschieden werden. Im Bewußtsein seiner wachsenden Kraft streckte Abessinien seine Hand nach Massaua aus, um diesen seinen natürlichen Ausfuhrhafen den Aegyptern zu entreißen. Als Italien ihm aber zuvorkam, gelangten jene Wirren zum Ausbruch, deren Abschluß noch heute unabsehbar ist. König Johannes hatte anfangs einen schwierigen Stand, denn an Stelle der Aegypter wurden die Mahdisten zu Herren des Sudans und überzogen auf ihrem Siegeszuge auch Abessinien mit Krieg. Johannes bestand diesen Kampf auf zwei Fronten mit vollen Ehren. Seine Heerführer schlugen die Italiener bei Dogali, und wenn sie sich später vor den italienischen Ersatztruppen zurückziehen mußten, so geschah es, weil Johannes mit der Hauptmacht seines Heeres den Derwischen entgegentrat. Es war wiederum der 7. März im Jahre 1889, als Johannes bei Metamneh in der Landschaft Kalabat die mörderische Schlacht gegen die Derwische eröffnete. Die Abessinier siegten, aber Johannes fiel im Kampfe für das Kreuz und für die Unabhängigkeit seines Landes. Der Kaiserthron Abessiniens war wieder verwaist; rasch aber wußte Menelik von Schoa die Oberherrschaft an sich zu reißen und die einzelnen Ras zur Huldigung zu zwingen. Zu Antoto ließ er sich als Negus Negesti krönen. Anfangs suchte er mit den Italienern Frieden zu halten und schloß mit ihnen Verträge ab, bis die junge Kolonialmacht sich hinreißen ließ, Tigre, die nördlichste Provinz des abessinischen Hochlandes, zu besetzen. Der Gouverneur dieser Landschaft, Ras Mangascha, mußte fliehen, aber es gelang ihm, Menelik und die andern Ras zum Kriege gegen Italien aufzureizen. Die Kriegskunst der Abessinier zeigte sich auch diesmal dem Gegner überlegen und der Feldzug fand vorläufig am 1. März d. J. durch die große Schlacht bei Adua einen für Italien ungünstigen Abschluß.

Die letzten Ereignisse haben wohl gezeigt, daß man am grünen Tisch in Europa die Abessinier mit Unrecht gering geschätzt hat. Gewiß ist Abessinien ein Land, in dem man überall auf Zeichen des Verfalls stößt. Die alte Herrlichkeit des Reiches ist geschwunden. Was ist heute Aksum, die alte Krönungsstadt der Kaiser von Aethiopien? Einst wirkten hier griechische Baumeister, die aus Aegypten gekommen waren und die Stadt mit Palästen, Denkmälern und Obelisken schmückten, fast alle diese Bauten liegen heute in Trümmern. Einst erhob sich hier die berühmte Krönungskirche, ein reiches Gotteshaus, das von Gold und Silber funkelte; aber seitdem Sultan Mohammed Granje von Adal das Heiligtum im Jahre 1535 geplündert hatte, ist von der ehemaligen Pracht nichts weiter übrig geblieben als die nackten notdürftig ausgebesserten Wände. Unter Sykomoren versteckt, stehen jetzt in Aksum einige hundert ärmliche Hütten, in denen zumeist Priester und Mönche wohnen. Um sie schart sich eine zweifelhafte Gesellschaft, denn Aksum ist ein Asyl, ein heiliger Ort, in dem selbst Uebelthäter unbehelligt bleiben müssen, und so mancher Bandit findet hier Schutz im Schatten der Trümmer alter Herrlichkeit.

Und was ist heute Gondar, die nächstberühmte Residenzstadt der abessinischen Machthaber? Schaut man aus der Ferne, von benachbarten Hügeln auf ihr Panorama hinab, so glaubt man zu träumen; denn da tauchen Burgen und Schlösser auf, man erblickt

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