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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

zu erfahren, um das morgen auf der Brunnenpromenade weitererzählen zu können.

„Ja, wir waren grenzenlos überrascht, alle Welt war es!“ sagte der jüngere, indem er wohlgefällig sein zierliches Schnurrbärtchen drehte. „Diese junge Frau ist ja eine Schönheit, die in der Gesellschaft Sensation machen wird. Wer hätte gedacht, daß der alte Sonderling da oben einen solchen Schatz hütet? Sie haben es freilich gewußt, Herr Hofrat, Sie sind ja Hausarzt dort, aber Sie verrieten schnöderweise nie etwas davon!“

„Dazu hatte ich nicht die mindeste Veranlassung, Herr von Verden,“ war die ruhige Antwort. „Professor Helmreich hütete in der That seine Enkelin eifersüchtig vor fremden Augen und Burgheim war unzugänglich für Besuche.“

„Ja, das haben wir erfahren,“ fiel der andere Herr ein. „Wir gerieten kürzlich ganz zufällig dorthin und wollten durch das Gitterthor nur einen Blick auf das Haus werfen, als ein riesiger Hund mit wütendem Gebell herbeistürzte und eine so drohende Haltung einnahm, daß wir schleunigst den Rückweg antraten.“

Bertram lächelte etwas spöttisch, er wußte sehr gut, daß nur die Neugier die beiden Herren dorthin geführt hatte.

„Ja, Burgheim ist gut bewacht,“ meinte er. „Ich hätte Ihnen auch nicht raten wollen, den Eintritt zu versuchen, Herr Baron. ‚Wotan‘ versteht keinen Spaß in solchen Dingen. Jedenfalls ist der Schatz jetzt gehoben, Sonneck hat ihn sich gesichert.“

„Der Beneidenswerte!“ rief der Baron mit einem Pathos, das mit seiner stutzerhaften Erscheinung nicht recht im Einklang stand. „Nun, hoffentlich verbirgt er ihn nicht vor der Welt wie dieser unvernünftige Großvater. Er wird seine junge Frau doch in die Gesellschaft einführen?“

„Das glaube ich kaum, er hat wenig Neigung für das, was man die große Welt nennt, und für diesen Sommer habe ich ihm überhaupt die Zurückgezogenheit noch zur Pflicht gemacht, damit er sich völlig erholt.“

Der Herr Baron sah sehr enttäuscht aus bei dieser Nachricht, doch Verden sagte tröstend: „Nun, bei Lady Marwood wird man ihn und seine Frau jedenfalls sehen, sie scheinen eng befreundet zu sein. Mylady zieht ja wie ein Magnet alles an, was interessant ist. Dieser Afrikaner, dieser Ehrwald, hat sich noch nirgends gezeigt, aber hier findet man ihn natürlich. Das war eine Ueberraschung, als sich der Wüstenheld urplötzlich als ein Kronsberger Kind zu erkennen gab!“

„Das wissen Sie bereits?“ fragte der Hofrat. „Ich habe es selbst erst heute morgen erfahren, als er sich auf dem Standesamt als Zeuge nennen mußte.“

„Wir wissen alles!“ erklärte der Baron selbstgefällig. „Kronsberg kann sich Glück wünschen zu diesem berühmten Sohne; das habe ich ihm auch bereits gesagt, aber er lachte und meinte, die Kronsberger hätten sich dieser Ehre sehr unwürdig gezeigt, sie hätten ihn früher in Acht und Bann gethan, seiner wilden Streiche wegen.“

„Nun, eine Probe seiner Wildheit haben wir heute nachmittag bei dem Ritt erhalten,“ fiel Verden ein. „Es war ja vorauszusetzen, daß ein Mann wie Ehrwald verwegen reitet, aber die tollkühnen Wagestücke, die er da vollführte, überstiegen doch alle Begriffe. Als er den steilen Abhang in die Schlucht hinabjagte, schrie alles auf vor Schrecken und es sah auch wahrhaftig aus, als wollte er sich den Hals brechen. Aber er lachte und spottete über unser Entsetzen und kam auch glücklich und unversehrt wieder zum Vorschein.“

Bertram schwieg, auch ihm war die so seltsam überreizte Stimmung Ehrwalds während des ganzen Tages aufgefallen. Das Gespräch wurde aber jetzt unterbrochen, da der Gegenstand desselben herantrat. Er suchte offenbar den Hofrat, doch die beiden jungen Herren bemächtigten sich schleunigst seiner. Sie überschütteten ihn mit Komplimenten und wollten den „kühnen Pionier der Kultur in Afrika“ in ein eingehendes Gespräch über diese Kulturmission verwickeln. Ehrwald schien jedoch nicht aufgelegt dazu, um seine Lippen zuckte ein unverhehlter Spott, als er antwortete: „Sie sind sehr liebenswürdig, meine Herren, aber leider muß ich diesmal auf die interessante Unterhaltung verzichten. Lady Marwood bittet Sie nach dem Salon. Es soll musiziert werden, und da scheint man auf Sie zu rechnen.“

Das war etwas anderes – ein Befehl von Mylady! Die beiden Herren stoben förmlich davon; Reinhart zuckte verächtlich die Achseln, als er ihnen nachblickte.

„Und mit solchem Volk muß man nun seine Zeit verlieren!“ sagte er halblaut. „Sie merken es nicht einmal, daß man sich über sie lustig macht. Ich begreife Lady Marwood nicht, daß sie diese faden geschniegelten Burschen um sich duldet, das war doch sonst ihr Geschmack nicht.“

„Er ist es wohl auch jetzt nicht,“ bemerkte Bertram. „Aber sie hat nun einmal das Bedürfnis, sich mit einem möglichst zahlreichen Hofstaat zu umgeben, und da darf man nicht so wählerisch sein. Man kann nicht lauter Berühmtheiten um sich haben wie ‚den kühnen Pionier der Kultur in Afrika‘.“

„Aergern Sie mich auch noch damit!“ fuhr Ehrwald auf. „Dies verwünschte Schlagwort habe ich heute schon mindestens ein Dutzend Mal gehört, man scheint es förmlich auswendig gelernt zu haben. Die Afrikaforschung ist ja jetzt leider Mode geworden und wir sind die Opfer dieser Modenarrheit, wo wir uns nur zeigen.“

„Warum denn so grimmig?“ lachte der Hofrat. „Sonst lachten Sie doch höchstens über solche Dinge und jetzt sind Sie förmlich wütend über die Huldigungen, mit denen man Sie von allen Seiten umgiebt. Sie scheinen heute überhaupt in einer merkwürdigen Stimmung zu sein; Verden hat es mir erzählt, wie Sie die ganze Gesellschaft in Angst und Schrecken gejagt haben mit Ihren tollen Reiterstücken.“

„Ja, die Herren bilden sich ein, reiten zu können, wenn sie stutzerhaft im Sattel sitzen und auf glattem Wege galoppieren,“ spottete Reinhart. „Ich habe ihnen einen anderen Begriff davon beigebracht.“

„Und sich beinahe den Hals dabei gebrochen! Ueber den jähen Abhang in die Schlucht hinunter zu jagen, das ist ja heller Wahnsinn! Wenn Sie nicht Ihr altes unerhörtes Glück vor dem Sturze bewahrt hätte –“

„So hätte auch nicht viel daran gelegen!“ ergänzte Ehrwald, indem er sich in einen Sessel warf und sich das Haar von der erhitzten Stirn strich. „Mir wäre es recht gewesen!“

Der Arzt stutzte und sah ihn forschend an. Das Zimmer war während der letzten Minuten leer geworden, denn drüben erhob sich jetzt die Tenorstimme Verdens, der ein Duett mit einer jungen Dame sang. Das zog die übrigen Gäste gleichfalls nach dem Salon und die beiden Herren blieben allein.

„Ich glaube, Lady Marwood hat Sie angesteckt mit ihrer nervösen Ueberreiztheit,“ hob Bertram wieder an, indem er sich ebenfalls niederließ. „Und Sie haben doch, Gott sei Dank, keine ‚Nerven‘.“

„Nein, wenigstens in Ihrem Sinne nicht. Uebrigens ist die Stimmung von Lady Marwood allem Anschein nach ausgezeichnet, sie strahlt ja von Heiterkeit und Liebenswürdigkeit.“

„Jawohl, das Morphium hat wieder seine Schuldigkeit gethan, sie greift immer wieder dazu, trotz meines strengen Verbotes. Sie weiß, daß es Gift für sie ist, ich habe ihr keinen Zweifel darüber gelassen; aber sie stürmt mit offenen Augen zum Abgrund.“

„Nehmen Sie die Sache so ernst?“ fragte Reinhart, der jetzt aufmerksam wurde. „Sie versprachen sich ja damals bei meiner Abreise den besten Erfolg von Ihrer Behandlung.“

„Weil ich hoffte, sie würde sich meinen Vorschriften fügen, die hauptsächlich auf Ruhe und Zurückgezogenheit hinausliefen, und sie that das ja auch anfangs; aber seit die Hochsaison begonnen hat, stürzt sie sich wieder in den Strudel aller möglichen Zerstreuungen. Was war das heute wieder für ein Tag! Äm Morgen auf der Brunnenpromenade läßt Mylady sich von aller Welt den Hof machen; dann fährt sie stundenlang von einem Besuche zum andern, ist heute mittag bei der Trauung Sonnecks, und als wir von Burgheim aufbrechen, wirft sie sich aufs Pferd und jagt mit einem ganzen Gefolge von Kavalieren in die Berge. Bei der Rückkehr hat sie wieder großen Empfang und nachts ist dann natürlich von Schlaf keine Rede. Da werden die stärksten Betäubungsmittel gebraucht, um nur ein paar Stunden Ruhe zu schaffen – geht das noch ein halbes Jahr lang so fort, dann ist das Ende da, und welches Ende!“

Ehrwald hörte in steigender Betroffenheit zu, er hatte sich auch täuschen lassen durch die strahlende Erscheinung der schönen Frau, die nur Uebermut und Lebenslust zu atmen schien, und hastig fragte er: „Haben Sie denn wirklich keine Macht, da einzugreifen? Ihre ärztliche Autorität –“

„Versagt in diesem Fall ganz. Ich habe ihr rückhaltlos gezeigt, wohin dies Leben führt, ich bin grausam aufrichtig gewesen, aber da hilft weder Warnen noch Drohen. Sie giebt mir ähnliche Antworten wie Sie vorhin! Was liegt daran! Je eher, desto besser! Aber was bei Ihnen eine augenblickliche Verstimmung ist, aus der Ihre energische Natur sich schon in der nächsten Stunde wieder

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