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gegenüber geläufig war. „Ja, das weiß ich und da braucht es nicht dieser stürmischen Abbitte. Wenn auch jetzt meine Ehe und später die Trennung zwischen uns tritt, wir bleiben doch, was wir uns stets gewesen sind, in alter Treue.“

„In alter Treue!“ wiederholte Reinhart sich aufrichtend.

„Da fährt der Wagen vor! Komin, Lothar zu Deiner Trauung!“

Und den Arm um die Schulter des Freundes legend, geleitete er ihn hinaus. –

Die alte gotische Pfarrkiche von Kronsberg war in den Mittagsstunden dicht gefüllt. Die Trauung sollte ja in aller Stille und nur vor wenigen Zeugen stattfinden, aber man hatte Tag und Stunde in Erfahrung gebracht und nun war fast die ganze Kurgesellschaft erschienen. Der berühmte Afrikaforscher stand nun einmal im Vordergrunde des allgemeinen Interesses, man wollte ihn als Bräutigam sehen, wollte vor allen Dingen die Braut sehen, die bisher so merkwürdig unsichtbar geblieben war. Ueberdies wußte man, daß Reinhart Ehrwald zur Hochzeit seines Freundes eintreffen werde. Er war wohl im Frühjahr einige Wochen lang hier gewesen, als Kronsberg noch ganz verödet lag, aber von der jetzigen Gesellschaft kannte ihn niemand. Um so mehr hatte man von ihm gehört und Sonneck hatte recht: wenn man in ihm den Forscher ehrte, so umgab seinen jüngeren Gefährten der ganze Nimbus des Afrikahelden. Kurz, die Erwartung der Versammlung, die meist aus sehr weltlichen Gründen in der Kirche erschien, war aufs höchste gespannt, und die Feier, die sich nur im engsten Kreise vollziehen sollte, gestaltete sich auf diese Weise fast zu einem öffentlichen Akt.

Jetzt setzte die Orgel ein, und von einem Adjutanten des Fürsten als dessen Vertreter geleitet, trat der Bräutigam ein. Die Aufmerksamkeit teilte sich zwischen ihm und Lady Marwood, die wie gewöhnlich in blendender Toilette erschien. Auch die wohlbekannte Gestalt des Hofrats Bertram gewahrte man in dem kleinen Kreise, der sich vor dem Altar versammelte, und jetzt richteten sich alle Blicke auf die Sakristei, in deren Thür die weiß umschleierte Gestalt der Braut am Arme Ehrwalds sichtbar wurde.

Ein Flüstern der Ueberraschung ging durch die ganze Versammlung, als das Paar aus dem dämmernden Raum in das helle Sonnenlicht trat, das die Kirche erfüllte. Man hatte erwartet, ein hübsches, einfaches Mädchen zu sehen, schüchtern und befangen, ganz demütige Hingabe an den künftigen Gatten, und jetzt sah man diese Erscheinung!

Elsa von Bernried nahm sich heute im Brautgewande freilich anders aus als in der klösterlich einfachen Tracht, zu welcher der Wille des Großvaters sie bisher verurteilt hatte. Die hohe schlanke Gestalt in dem weißen Atlaskleide, dessen lange Schleppe rauschend nachfolgte, hatte trotz aller mädchenhaften Zartheit etwas Königliches, und aus den duftigen Falten des Schleiers hob sich das Antlitz, zwar sehr ernst, viel zu ernst für eine junge Braut, aber das war ja eine Schönheit, die eben erst aus der Knospe erblühte. Der Kranz lag in den blonden Flechten, auf denen ein leichter rötlicher Schimmer ruhte, und sie gleißten auf wie Gold, als der Sonnenstrahl sie traf. Die Augen waren groß und voll aufgeschlagen, ohne Scheu und Befangenheit, herrliche tiefblaue Augen – ja freilich, da hatte Sonneck recht mit seiner Wahl!

Wenn der Anblick der Braut eine Ueberraschung war für die sämtlichen Zuschauer, so entsprach der Brautführer dagegen ganz dem Bilde, das man sich von ihm gemacht hatte. So mußte der Mann aussehen, der dort auf dem heißen Boden Afrikas Erfolg auf Erfolg errungen, von dessen Energie und Kühnheit man Dinge gehört hatte, die an das Märchenhafte grenzten. Die hohe kraftvolle Erscheinung, das tiefgebräunte Antlitz mit den dunklen blitzenden Augen, das stolze Selbstbewußtsein, das sich in der Haltung ausprägte und ihr etwas Gebieterisches gab, das alles deckte sich völlig mit der Gestalt, die man aus so vielen Berichten und Erzählungen kannte.

Freilich, auch Ehrwalds Züge waren ernst, beinahe finster, sie schienen wie aus Erz gegossen; nicht die leiseste Regung zeigte sich darin, als er die Braut mit ritterlichem Anstande zum Altar führte, aber unwillkürlich drängte sich jedem der Gedanke auf, daß eigentlich dies Paar zusammengehörte in seiner Kraft und Schönheit. Das gab sich deutlich genug in dem Flüstern und den Blicken der Damen kund, und zum erstenmal sah man mit kritischen Augen auf den Mann mit den grauen Haaren, der da am Altar seine junge Braut erwartete.

Elsa sah und hörte von dem allen nichts, ihr Auge und Ohr nahm nur mechanisch die Eindrücke auf, ohne daß sie ihr klar zum Bewußtsein kamen. Die dicht gefüllte Kirche, die hohen gotischen Pfeiler mit ihren dunklen Wölbungen, die breiten goldigen Streifen des Sonnenlichtes, das durch die Fenster hereinflutete, das alles glitt undeutlich, schattenhaft an ihr vorüber, und die Orgeltöne, die so mächtig durch die Hallen brausten, schienen aus weiter Ferne zu kommen. Es lag wie ein Schleier auf ihrer Seele, der das alles so unwirklich erscheinen ließ, sie fühlte nur eins, die dunkle geheimnisvolle Gewalt, die von dem Manne an ihrer Seite ausging, die rätselhafte Angst vor seiner Nähe, und der kurze Weg schien sich endlos auszudehnen.

Jetzt trat Sonneck ihr entgegen und empfing ihre Hand aus der des Freundes; jetzt führte er sie die Stufen zum Altar hinauf und sie knieten nieder. Wie im Traume hörte Elsa die Worte des Priesters, fühlte sie, daß ihre und Lothars Hand zusammengefügt wurden, und dann war das bindende Ja gesprochen und sie waren vereint für das Leben.

„Mein Weib!“ flüsterte Lothar leise, aber mit vollster Innigkeit. Zenaide schloß die junge Frau in die Arme. Der Adjutant und die anderen Herren traten glückwünschend heran – und dann klang die Stimme des Mannes, der als der letzte von allen zu ihr trat: „Gnädige Frau, erlauben Sie auch mir, Ihnen meinen Glückwunsch zu Ihrer Vermählung auszusprechen.“

Die Stimme war kalt und unbewegt wie das Antlitz Ehrwalds. Er beugte sich nieder und drückte seine Lippen auf den Handschuh der jungen Frau, aber als er sich jetzt emporrichtete, traf sein Blick den ihrigen und es war ihr, als flammte plötzlich ein jähes, grelles Licht auf, das sie schmerzte. Nur einen Augenblick lang, dann war es erloschen und nur ein dumpfes Wehegefühl blieb zurück. Dann reichte der Gatte ihr den Arm und führte sie hinaus und der Wagen trug die Neuvermählten nach Burgheim.




Es war am Abend desselben Tages, die Villa, die Lady Marwood bewohnte, strahlte im vollen Lichtglanz, denn es war der wöchentliche große Empfangstag. In Burgheim hatte nach der Trauung nur ein kurzes Frühstück stattgefunden und Zenaide, die natürlich die Zeit bis zum Abend „ausfüllen“ mußte, hatte mit einer größeren Gesellschaft einen Ausflug in die Berge unternommen, dem sich auf ihre Einladung auch Ehrwald anschloß. Von einer ganzen Schar ihrer getreuen Ritter und gewohnten Begleiter umgeben, war sie davongesprengt und erst kurz vor Beginn der Empfangsstunde wieder angelangt, so daß ihr kaum Zeit blieb, das Reitkleid mit der Gesellschaftsrobe zu vertauschen.

Die Gesellschaft war zahlreich und glänzend, es gehörte zum guten Ton, bei Lady Marwood vorgestellt zu sein und dort empfangen zu werden. Was man auch über sie flüstern und klatschen mochte, sie behauptete unbestritten ihre Stellung an der Spitze der tonangebenden Kreise. Was nur von bedeutenden und interessanten Persönlichkeiten in der Kurgesellschaft auftauchte, das war auch hier zu finden und das gab dem Verkehr natürlich einen besonderen Reiz.

Auch heute hatte man das ganz unerwartete Vergnügen, den „Wüstenhelden“, den man in der Kirche nur gesehen hatte, kennenzulernen. Er war, wie man erfuhr, ein alter Bekannter von Mylady und hatte in Kairo viel in ihrem Vaterhause verkehrt. Das war nun wieder etwas Neues und Interessantes, dessen man sich sofort bemächtigte. Ehrwald wurde von allen Seiten umdrängt und ausgezeichnet und bildete neben der schönen Herrin des Hauses den Mittelpunkt der ganzen Gesellschaft.

Man fand ihn sehr liebenswürdig und er schien auch in der That heute in besonders guter Laune zu sein, denn er, der sich sonst einem fremden Kreise gegenüber sehr ablehnend verhielt und durchaus nicht dem ersten besten seine Unterhaltung gönnte, war heute zugänglich für jeden. Er hatte schon am Nachmittag während des Rittes eine beinahe stürmische Heiterkeit gezeigt und jetzt wetteiferte er mit Lady Marwood an sprühender Lebendigkeit.

In einem der Seitengemächer stand Hofrat Bertram im Gespräch mit zwei jungen Herren, die zu dem gewöhnlichen Hofstaat Zenaidens gehörten, vornehme, elegante Müßiggänger, die nach Kronsberg gekommen waren, weil der Ort in der Mode war, und sich nun bemühten, die Zeit hier totzuschlagen. Sie waren natürlich auch heute mittag in der Kirche gewesen und versuchten nun, von dem Arzte noch allerlei Einzelheiten über das neue Ehepaar

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0279.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)