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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

zusammen und der Luxus, den sie entfaltete, war das Gespräch von ganz Kronsberg. Wo sie sich nur mit ihrer orientalischen Dienerschaft zeigte, war sie der Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit, und sie zeigte sich überall. Sie stürmte förmlich von einem Vergnügen, einer Zerstreuung in die andere, ohne sich an den Einspruch und die Warnungen ihres Arztes zu kehren.

Bertram lernte jetzt den ganzen Eigenwillen seiner vornehmen Patientin kennen, die sich auch seiner Autorität nicht beugte. Was die erzwungene Ruhe und Einsamkeit in den ersten Wochen ihres Aufenthaltes ihr gewonnen hatte, das ging freilich verloren in dem Strudel dieses Lebens, aber danach fragte Zenaide nicht.

Zerstreuung und Abwechslung gab es jetzt allerdings genug in Kronsberg; der Kurvorstand war vollständig auf der Höhe seiner Aufgabe und fühlte die Verpflichtung, den verwöhnten Gästen der Hauptsaison möglichst viel Unterhaltung zu bieten, und das geschah denn auch. Man führte so ziemlich dasselbe Leben wie im Winter in den Hauptstädten, nur daß es sich hier auf dem mächtigen Hintergrunde der Alpen abspielte.

Augenblicklich stand ein Ereignis im Vordergrunde des allgemeinen Interesses, die Vermählung Sonnecks, die in diesen Tagen stattfinden sollte. Der berühmte Afrikaforscher war gleichfalls eine vielgenannte und vielgesuchte Persönlichkeit, aber er zog sich ganz im Gegensatz zu Lady Marwood so viel als möglich zurück, seine Verlobung und seine noch nicht ganz befestigte Gesundheit gaben ihm den besten Vorwand dazu. Er hatte allerdings vielfache Beziehungen zum Hofe. Der Fürst verkehrte sehr gern mit ihm und hatte ihn erst kürzlich bei diesem Zusammentreffen in Kronsberg durch die Verleihung des Adels ausgezeichnet.

Von Fräulein von Bernried wußte man nicht viel mehr, als daß sie noch sehr jung sei und bei ihrem Großvater, dem alten menschenscheuen Sonderling, da oben in Burgheim lebe; sie hatte sich ja noch nie öffentlich mit ihrem Bräutigam gezeigt. Eigentlich wunderte man sich darüber, daß die Wahl Sonnecks gerade auf dies junge und, wie es hieß, sehr einfach und einsam erzogene Mädchen gefallen war; ihm hätten ganz andere Partien offen gestanden, obwohl er die Mittagshöhe des Lebens längst überschritten hatte. Er war eben Lothar Sonneck, und mehr als eine Dame der Gesellschaft wäre gern bereit gewesen, den berühmten Namen zu tragen. –

Es war ein schöner, sonnenheller Julitag, der für die Vermählung festgesetzt war. Der standesamtliche Akt sollte am Vormittage stattfinden und dann um ein Uhr die kirchliche Trauung folgen, nach katholischem Ritus, da Elsa wie ihre Eltern dieser Kirche angehörten. Sonneck befand sich noch in seiner alten Wohnung in der Bertramschen Villa und wartete auf den Wagen, der ihn nach Burgheim zu seiner Braut bringen sollte. Der Mann sah heute aus, als habe er einen Verjüngungstrank genossen. Seine Haltung war aufrecht, die Bewegungen leicht und elastisch, man sah ihm keine Spur des Leidens mehr an und sein ganzes Wesen war wie verklärt und durchleuchtet von Glück. Er sprach mit Ehrwald, der erst gestern abend aus Berlin eingetroffen war und ihm bei der bevorstehenden Civiltrauung als Zeuge dienen sollte.

„Ich begreife Dich diesmal wirklich nicht, Reinhart,“ sagte er in vorwurfsvollem Tone. „Erst im letzten Augenblick einzutreffen! Ich hätte Dich so gern noch ein paar Tage an meiner Seite gehabt, ehe ich nach Burgheim übersiedle.“

„Ich schrieb es Dir ja, daß die Verhandlungen in Berlin sich endlos in die Länge zogen,“ entgegnete Reinhart. „Ich glaubte schon, es würde mir gar nicht möglich sein, überhaupt zu kommen, aber Du erließest ja einen förmlichen Ukas und beschiedest mich diktatorisch nach Kronsberg zu dem heutigen Tage. Du hättest es mir nie verziehen, wenn ich ausgeblieben wäre.“

„Nein, wahrhaftig nicht, und es wäre auch unverzeihlich gewesen. Ein seltener Zufall fügt es, daß Du gerade jetzt in Europa und in Deutschland bist, und Du solltest mir fehlen an dem glücklichsten Tag meines Lebens? Schäme Dich, Reinhart!“

„Nun, Du siehst es ja, ich bin hier,“ sagte Ehrwald mit einem flüchtigen Lächeln. „Zanke nicht mit mir, Lothar, ich konnte wirklich nicht früher kommen.“

Lothar sah ihn einige Sekunden ernst und prüfend an, dann trat er zu ihm und legte die Hand auf seine Schulter.

„Reinhart – was fehlt Dir?“

„Mir? Nichts! Was soll mir denn fehlen?“

„Das frage ich eben. Seit wann hast Du Geheimnisse vor mir? Dich hat irgend etwas fortgetrieben! Erst versprichst Du, bis zu meiner Hochzeit hier zu bleiben, und meldest Dich für Juli in Berlin an und dann brichst Du urplötzlich dahin auf und läßt Dich durch keine Bitten halten –“

„Ich sagte Dir ja, daß der Minister wünschte, die Sache beschleunigt zu sehen, daß mir selbst daran lag –“

„Ja, das sagtest Du – also werde ich es wohl glauben müssen.“

Der forschend ernste Blick schien Ehrwald zu peinigen, er wandte sich mit einer ungeduldigen Bewegung ab und trat an das Fenster, während er antwortete: „Nun, Freude habe ich von dem Aufenthalte in Berlin sicher nicht gehabt. Ich habe mehr als einmal die Geduld verloren bei diesen unfruchtbaren und unerquicklichen Verhandlungen. Wenn ich von den Herren am grünen Tisch, die keine Ahnung von afrikanischen Dingen haben, jeden meiner Schritte kontrollieren lassen, jede Maßregel, die ich zu treffen für gut finde, erst ihrer weisen Zustimmung unterbreiten soll, so danke ich für die mir zugedachte Ehre! Ich trage die volle Verantwortlichkeit, also muß ich auch die volle Selbständigkeit haben. Entweder man gesteht mir das zu oder ich werfe ihnen all ihre Anerbietungen vor die Füße – das habe ich ihnen offen herausgesagt, und dahin wird es wahrscheinlich kommen: ich stehe auf dem Punkte, abzubrechen!“

Er sprach in voller Gereiztheit, Sonneck schüttelte mit leiser Mißbilligung den Kopf.

„Mußt Du denn immer ein ‚Entweder – oder‘ stellen! Ich habe es beinahe gefürchtet, daß die Sache daran scheitern wird: Du bist viel zu stürmisch und leidenschaftlich für solche Verhandlungen. Uebrigens hast Du recht, wenn Du Dir nicht die Hände binden lassen willst. Eine Natur wie die Deinige erträgt das am wenigsten und Dir stehen andere Wege genug offen. Du kennst ja meine Beziehungen zum hiesigen Hofe.“

„Gewiß, Du hast ja auch kürzlich den Adel erhalten, ich habe Dir noch nicht einmal meinen Glückwunsch gesagt.“

Lothar zuckte ruhig die Achseln.

„Man hat mir eine Auszeichnung, eine Anerkennung meiner Leistungen gewähren wollen, und da blieb jetzt, wo ich zurücktrete, kaum ein anderer Weg übrig. Auf die Sache selbst lege ich so wenig Gewicht wie Du. Also ich war vorgestern im Schlosse und da war hauptsächlich von Dir die Rede. Der Fürst interessiert sich ungemein für Dich und will Dich auf jeden Fall kennenlernen. Du brauchst nur zu wollen und man kommt Dir hier in jeder Weise entgegen. Ich muß noch ausführlich mit Dir darüber sprechen.“

„Aber doch nicht heute! Du bist sicher nicht in der Stimmung, solche Dinge zu erörtern.“

„Nein, heute nicht,“ sagte Sonneck mit aufleuchtenden Augen. „Da mußt Du es schon ertragen, wenn der Freund hinter den Bräutigam zurücktritt. Wer hätte gedacht, daß ich Dir auf diesem Wege vorangehen würde. Vielleicht folgst Du mir doch, früher oder später.“

„Nein!“

Das Wort klang in so herber Bestimmtheit, daß Lothar einen Moment lang stutzte, dann aber lächelte er. „Du Ehefeind! Nun, einstweilen hast Du bei meiner Hochzeit den Brautführer zu machen. Du hörst ja, daß Helmreich seit dem letzten Anfall seiner Krankheit das Zimmer nicht mehr verläßt, für ihn ist die Fahrt zur Kirche ausgeschlossen, also fällt das Amt Dir zu.“

„Da Du es ausdrücklich wünschest –“

„Gewiß wünsche ich es, Du stehst mir doch von allen am nächsten! Aber was ist das für ein Ton, Reinhart? Gesteh’ es nur, Du bist eifersüchtig.“

„Ich?“ fuhr Reinhart jäh und heftig auf. „Was fällt Dir ein?“

„Jawohl, eifersüchtig, im Grunde hast Du mir meine Verlobung nie verziehen. Du willst eben überall Alleinherrscher sein, auch bei mir, und bist es ja auch so lange gewesen. Jetzt aber wirst Du Dich doch wohl entschließen müssen, zu teilen, die Hälfte des Reiches gehört fortan meiner Elsa, merke Dir das!“

Es lag ein beinahe übermütiger Scherz in den Worten des sonst so ernsten Mannes. Ehrwald verteidigte sich nicht gegen den Vorwurf, er sah den Freund mit einem rätselhaften Ausdruck an und plötzlich warf er sich mit leidenschaftlicher Heftigkeit an seine Brust. „Vergieb, Lothar! Du weißt es ja, daß ich Dir Dein Glück trotzalledem gönne aus vollem Herzen, daß ich Dich lieb habe, grenzenlos lieb.“

„Mein lieber Junge!“ sagte Lothar leise; er gebrauchte unwillkürlich die Anrede, die ihm einst seinem jungen Schützlinge

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