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Jakob Leibkowitsch in Smyrna bekannt. Die von Handelsgeschäften freien Stunden verbrachte er in Unterhaltung mit den Schriftgelehrten, und siehe da, er, der kaum lesen und nicht einmal schreiben konnte, setzte die weisen Männer durch seinen Mutterwitz in Staunen; er wußte so viele dunkle Stellen der Schriften zu erklären, auf so schwierige Fragen treffende Antworten zu erteilen, daß die Smyrnaer Juden ihn bald den „klugen Jakob“ nannten. Der junge Jakob vertiefte sich mehr und mehr in das Studium der kabbalistischen Bücher, fand Geschmack an theologischen Streitreden und entdeckte in sich den Beruf, gleich Sabbataï die Juden von dem Irrtum, in dem sie befangen seien, zu befreien und einer besseren Lehre zuzuführen. Ob er damals aus innerster Ueberzeugung handelte, einzig und allein in den mystischen Dienst der kabbalistischen Lehre sich stellte, ohne irgend welche Absicht, persönlichen Nutzen zu erlangen, oder sich bereits in jener Zeit mit weltlichen Plänen befaßte, ist heute schwer zu entscheiden. Bemerkenswert ist allerdings eine seiner Aeußerungen, die er damals in Smyrna fallen ließ. Er forderte einmal die Kabbalisten Issachar und Mardochaï auf, ihm zu erklären, warum wohl Sabbataï, der doch eigentlich unsterblich hätte sein müssen, vom Tode ereilt wurde. Die Weisen antworteten ihm, Sabbataï sei erschienen, um alles, was es auf der Welt giebt, auszukosten, weshalb er auch die Bitternis des Todes habe kosten müssen! Darauf der kluge Jakob: „Die Antwort ist gut, aber wenn jener gekommen war, um alles auszukosten, warum genoß er nicht die Wonne des Herrschens?“

Vor der Hand konnte jedoch der junge Schüler der Sabbatianer der Menge Leichtgläubiger nicht gebieten; er mußte zunächst die Zauberkünste der Geheimwissenschaften kennenlernen und wurde in dieselben durch seine eifrigen Freunde, die Rabbiner Mardochaï und Nachmann, eingeführt. Diese verheirateten ihn auch im Jahre 1752 mit der vierzehnjährigen Chana (Anna), einer schönen aber mittellosen Tochter eines Kaufmanns in Nikopolis. Am Hochzeitstage enthüllten ihm die Weisen, daß in Salonichi ein neuer Messias, Namens Barochia, unter den Sektierern lebe. Dorthin wandte sich Jakob Leibkowitsch. Er traf hier mit der Sekte der „Donmäh“ zusammen und besuchte bei ihnen sozusagen die Hochschule der Heuchelei und Verschlagenheit; denn diese Leute bekannten sich äußerlich zum Mohammedanismus, im stillen aber folgten sie den Lehren Sabbataïs und begingen im geheimen bedenkliche Ausschweifungen. Die Fremden, die sich in jener Stadt aufhielten und aus verschiedenen Ländern Europas stammten, wurden insgesamt nach dem im Orient bestehenden Brauch „Franken“ genannt, und seit der Zeit seines Aufenthalts in Salonichi nannte sich Leibkowitsch Jakob Frank.

Während er das Treiben der Donmäh beobachtete, reifte in ihm der Entschluß, ihren Messias Barochia zu stürzen und an dessen Stelle zu treten. Er schickte also seine Frau in ihr Vaterhaus zurück und trat eine Wanderung durch verschiedene Städte der europäischen Türkei an. Ein echter und rechter Prophet in dem fernen Orient mit seinen an Märchen und Wundern gewöhnten Bewohnern muß nicht nur wahrsagen, sondern auch mit Geistern verkehren und allerlei Zauber ausüben können. Jakob Frank versäumte nicht, diese Eigenschaften zu bethätigen. Er sah Geister und erzählte dem Volke von seinen Visionen und den geheimnisvollen Stimmen, die er im Wachen und im Traume vernommen haben wollte. Ob er alle diese Dinge erlog oder wirklich an Visionen und Gehörshallucinationen litt, mag dahingestellt bleiben. Wahnsinn und Prophetentum pflegen gar oft Hand in Hand zu gehen. In der That litt in jener Zeit der neue Messias an verschiedenen Krankheiten; einmal verlor er die Sprache und lag scheintot wie ein Sterbender da. Vielleicht zählte Frank zu der Gruppe nervös belasteter Menschen, bei welchen das Genie so leicht auf Abwege gerät.

Trotz aller Beredsamkeit und Beharrlichkeit in der einmal angenommenen Rolle hatte der kluge Jakob in der Türkei kein Glück; man brachte ihm keine Geschenke, kniete nicht vor ihm nieder wie vor Sabbataï – im Gegenteil, die türkischen Juden verfolgten ihn und wollten ihn steinigen. Da gaben ihm seine Freunde den Rat, nach Polen zu gehen, wo die Masse des jüdischen Volkes sich für die Lehren eines neuen Propheten empfänglicher zeigen würde. Frank zögerte lange, bis ihm, nach seiner Angabe, Elias und Jesus Christus erschienen und ihm befahlen, nach Polen seine Schritte zu wenden.

Es würde zu weit führen, auf den Inhalt der verworrenen Glaubenslehre des Sektierers einzugehen; für uns ist sie völlig belanglos; es sei nur erwähnt, daß sie äußerlich einige Anklänge an das Christentum hatte lind auch eine mystische Dreieinigkeit Gottes annahm. Infolgedessen wurde Frank von den christlichen Landesbehörden in Polen, ja selbst von der Geistlichkeit nicht unfreundlich behandelt und zum Teil gefördert, während die rechtgläubigen Juden oder Talmudisten ihn aufs heftigste bekämpften, und zwar sowohl mit Worten als mit Thaten. Der heftige Kampf schwankte lange hin und her und der Sektierer mußte sich von Polen wieder nach der Türkei flüchten. Als er auch hier von den Talmudisten sich bedroht sah, suchte er Schutz bei den Türken, indem er sich zum Glauben Mohammeds bekannte. Natürlich war dieser Uebertritt nur scheinbar, nur ein Mittel zu dem Zweck, den Frank unablässig im Auge behielt; er folgte in diesem heuchlerischen Thun dem Beispiel der Sabbatianer.

Im Jahre 1758 überschritt er zum zweitenmal die polnische Grenze und diesmal gelang es ihm, eine größere Schar von Anhängern zu werben, die ihrem Führer in blinder Ergebenheit gehorchten. Schon damals umringte sich der Sektierer mit auserwählten „Brüdern“ und „Schwestern“, mit denen er geheime Sitzungen hatte und allerlei dunkle Ceremonien aufführte. Er verfügte bereits über Leib und Seele dieser Bethörten und konnte im kleinen die „Wonne des Herrschens“ genießen. Vor der Welt mußte allerdings diese seine Herrschaft geheim gehalten werden und erst später wurde es offenbar, wie damals Jakob Frank niedrige Leidenschaften befriedigte und sich unter seinen Getreuen in der Rolle eines Zauberers gefiel, während er die Oeffentlichkeit damit überraschte, daß er die Juden aufforderte, sich taufen zu lassen, da die christliche Religion die beste sei! Durch diesen Schachzug stärkte er seine Stellung in Polen.

War es nicht für ein Land, in dem so viele Juden wohnten, von hoher sozialpolitischer Bedeutung, wenn unter ihnen, die bis dahin durch die Kluft des Rassen- und Glaubensunterschieds von den andern Einwohnern getrennt waren, der Wunsch rege wurde, durch Uebertritt zum Christentum diese Kluft zu überbrücken? Frank fand als Vorkämpfer dieser neuen Bewegung vielfache und eifrige Unterstützung, sowohl in den regierenden wie in den kirchlich-katholischen Kreisen. Die rechtgläubigen Juden waren seine Feinde, er konnte sie nunmehr mit Hilfe der Christen bekämpfen. Der Aufruf an die Juden, sich taufen zu lassen, verhallte nicht ungehört und im Laufe der Jahre fanden viele dieser Massenbekehrungen statt; aber die jüdischen Christen in Polen gingen damals nicht ohne weiteres in der Gesellschaft auf. Ein gemeinsames Band weltlicher Interessen hielt sie fest zusammen, sie bildeten sozusagen einen neuen Stand im polnischen Reiche und Frank blieb nach wie vor der Führer der Bekehrten, die man Frankisten nannte. Ein aufrichtiger Christ war Frank nicht geworden, wenn er auch samt seinen Anhängern in die Kirche ging und vor der Welt nach den Geboten der katholischen Religion lebte. Er hatte sich mit einer Schar auserwählter Jünger umgeben und man behauptete, daß er mit diesen allerlei mystische Sitzungen abhalte. Als diese Gerüchte sich mehrten, schritt die Behörde ein, ordnete eine Untersuchung an und die Folge war, daß Frank zu Gefängnisstrafe verurteilt wurde, die er in der Festung von Czenstochau absitzen sollte. Das verlieh ihm in den Augen der zahlreich gewordenen polnischen Frankisten erst recht den Glorienschein eines Märtyrers, und man erzählte viel von den Leiden, die er in jener Klosterfestung habe erdulden müssen.

Dreizehn Jahre wurde Frank in Czenstochau festgehalten, aber er litt keine Not; er befand sich dort vielmehr in einem „fidelen Gefängnis!“ Um jene Zeit war die in den schwedisch-polnischen Kriegen durch ihren heldenmütigen Widerstand so berühmt gewordene Festung Czenstochau mit dem wunderthätigen Bilde der Jungfrau Maria in militärischer Hinsicht ganz und gar vernachlässigt. Die Garnison setzte sich aus 80 Fußsoldaten zusammen, lauter alten Invaliden, denen man hier im ruhigen Dienste sozusagen ein Gnadenbrot gewährte. Ein Geistlicher war der Kommandant dieser Schar, die einen wenig kriegerischen Eindruck machte; denn wie Zeitgenossen erzählen, standen jene greisen Soldaten am Festungsthore, indem sie in der einen Hand das Gewehr hielten, mit der anderen aber ihren Hut den Wallfahrern entgegenstreckten, um Almosen zu empfangen. Unter solchen Verhältnissen war es den Frankisten nicht schwierig, für ihren Meister besondere Vergünstigungen zu erwirken; es ließ sich dort gar vieles für Geld und gute Worte erreichen. So konnte Frank im Rayon der

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