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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

bemühte sich, das zu verbergen, und anscheinend unbefangen nahm er eine Kleinigkeit von den aufgetragenen Speisen zu sich.

Endlich sprach die Prinzessin. Mit silberreiner, leiser, etwas zitternder Stimme sagte sie: „Ich werde mich jetzt zu meinem Herrn Vater, dem Padischah, begeben. Es ist Euch gestattet, mir zu folgen.“

Murad wollte nicht ein zweites Mal unbeholfen und nachlässig erscheinen. Er erhob sich schnell, um der Prinzessin beim Aufstehen behilflich zu sein, und in dieser Absicht ergriff er, wie es gute Sitte erheischt, ihren rechten Arm oberhalb des Ellbogens.

Als die Prinzessin sich darauf erheben wollte, glitt ihr Fuß auf dem Teppich aus, woran ihre große Schüchternheit schuld war, und sie fiel auf den Sitz, den sie soeben eingenommen hatte, zurück.

Unwillkürlich schloß sich die starke Hand Murads um den zarten Arm, den sie stützen sollte. – Scheriffeh war in ihrem Leben nicht hart angefaßt worden, und die unsanfte Berührung hatte für sie etwas Ueberraschendes und Schmerzliches. Sie stieß einen kurzen ängstlichen Klageschrei aus, dem des Vogels ähnlich, der von seinem Neste aufgescheucht worden ist.

Murad ließ den Arm sinken, als hätte er einen Schlag darauf erhalten, und erbleichte. Scheriffeh aber, die sich sogleich von ihrem Schreck wieder erholt hatte, erhob sich und schritt in würdevoller Haltung der Thür zu. Eine günstigere Gelegenheit, die weisen Ratschläge der Haremsdamen zu befolgen, Murad mit Geringschätzung zu behandeln, konnte sich nicht bieten, und so wandte sie im Hinausschreiten noch einmal das Haupt und sagte strafend, wobei ihr jedoch das Herz zum Zerspringen pochte: „An den Arm einer Sultana darf man nicht so rauhe Hand legen wie an ein Netz, das man aus dem Wasser zieht.“ – Dann schritt sie, ohne sich umzublicken, weiter, und bald darauf trat sie in das Gemach, in dem der Sultan die ersten Begrüßungen der Neuvermählten entgegennehmen wollte.

„Wo ist Dein Gemahl?“ fragte er, nachdem Scheriffeh ihm die Hand geküßt hatte.

„Er wird sogleich erscheinen,“ antwortete die Sultana; aber ihre Augen waren ängstlich auf die Eingangsthür gerichtet, und nach einer kurzen Pause setzte sie hinzu: „Ich hatte ihm gesagt, er dürfte mir folgen; er wird mich mißverstanden haben; gestattet, daß ich ihn rufen lasse.“

Darauf gab der Sultan selbst einem Diener Befehl, Murad zu benachrichtigen, daß der Großherr ihn sogleich empfangen würde. Nach einigen Minuten kam der Diener zurück und meldete, Murad habe den Harem verlassen. – Scheriffeh war einer Ohnmachr nahe, aber sie wußte ihre Aufregung zu verbergen, bis sich der Diener wieder entfernt hatte.

„Was bedeutet dies Verschwinden Deines Gemahls?“ fragte der Sultan mit finster zusammengezogenen Brauen.

Scheriffeh warf sich vor ihrem Vater auf die Kniee und sagte unter heißen Thränen: „Ich habe ihn gekränkt und nun hat er mich verlassen.“ Darauf erzählte sie, wie sie sich, den Lehren ihrer Haremsdamen folgend, Murad gegenüber benommen hatte; auch die unfreundlichen Worte, die sie ihm zugerufen, verschwieg sie nicht.

„Du hast gehandelt, wie es einer Sultanstochter geziemt,“ sagte der Großherr. „Murad ist Deiner unwürdig und wird der verdienten Züchtigung nicht entgehen.“

Aber Scheriffeh flehte so eindringlich, es möchte Murad kein Leid zugefügt werden, sie werde ihm alles erklären und er werde sodann sein Unrecht einsehen und um Verzeihung bitten, daß der Sultan endlich den Thränen der geliebten Tochter nachgab und anordnete, Murad solle aufgesucht und in den Harem zurückgeführt werden.

Scheriffeh durchweinte eine schlaflose Nacht, der nächste Tag brachte ihr keinen Trost; Murad, den man zunächst bei seinem Vater, dann aller Orten, wo man ihn aufzufinden hoffen durfte, gesucht hatte, blieb verschwunden. Tage, Wochen vergingen. Nirgends war eine Spur des Entflohenen zu entdecken. Die Prinzessin wurde krank, Gram verzehrte sie. Der Sultan versank darüber in tiefe Traurigkeit. Am ganzen Hof herrschte eine gedrückte, düstere Stimmung.

Ali Beh hatte sich, sobald er von dem Verschwinden Murads gehört, zu seinem Bruder begeben und ihm dringend empfohlen, keine Mühe und keine Ausgaben zu scheuen, um des Entflohenen wieder habhaft zu werden. Nassuch Haga ließ in allen Teilen des großen Reichs sorgfältige Nachforschungen anstellen; aber lange Zeit blieben seine Bemühungen gänzlich erfolglos.

„Murad wird sich das Leben genommen haben,“ sagte Nassuch Haga.

„Dazu ist er zu fromm und zu stark,“ antwortete Ali. „Er lebt. Ermüde nicht in Deinen Nachforschungen, und wir werden ihn wiederfinden.“

(Schluß folgt.)




Ein Ostergruß.

Von Peter Rosegger.

Die Bauern von Brockendorf hatten einen Gutsherrn, dem sie – wie es in alter Zeit eingerichtet gewesen – vielfach tributpflichtig waren. Der Gutsherr lebte aber die längste Zeit in einer großen Stadt, zerstreute sich mit allen denkbaren Vergnügungen und erinnerte sich seiner Unterthanen nur, wenn er Geld brauchte. Und Geld brauchte Seine Gnaden die schwere Menge. Der Verwalter daheim preßte und zwickte und schund, so viel das Zeug hielt, aber endlich wollte nichts mehr herfür. Da fand es der Gutsherr an der Zeit, einmal persönlich Nachschau zu halten in Brockendorf und dem Verwalter strengere Pflichterfüllung einzuschärfen. Des Verwalters Pflicht aber bestand in nichts anderem als in Bauernschröpfen. – Also kam der Herr im Frühjahre eines Abends spät mit flinken Rappen durch das Thal gefahren. Und nun merkte er zum angenehmen Erstaunen, daß seine Ankunft, trotzdem er sie gar nicht gemeldet hatte, schon bekannt war, denn auf allen Höhen loderten Freudenfeuer und knallten Böller, das Volk war noch wach überall und befand sich in einer frohen Erregung. Das ganze Thal war in festlicher Stimmung. Solches rührte den Gutsherrn bis ins Herz, denn er hatte immerhin noch ein bißchen davon.

Und als er einfuhr in den Schloßhof und seines Verwalters ansichtig wurde, sprang er rasch aus dem Wagen, drückte dem Manne die Hand und sagte: „Mich freut es sehr! Mich freut es sehr! Sagen Sie den Leuten meinen Dank! Soll ihnen nicht vergessen sein! Hübsch Nachsicht haben, wenn die braven Bauern ihren Pflichten nicht immer sollten nachkommen können.“ – Als der Verwalter merkte, daß es die Festlichkeit war, die den Herrn so entzückte, wollte er schon den Mund aufmachen, that es aber nicht, sondern ließ den Patron bei dem Glauben, daß die Freudenfeuer und die Böllerschüsse ihm vermeint gewesen.

Es war aber der heilige Osterabend und die Freudenfeuer galten nach Brauch und Sitte der Auferstehung des Herrn.

Der Gutsherr hielt Wort. Die Abgaben des Jahres blieben den Bauern im Sack und schadeten ihnen nicht, der Gutsherr hatte kein Geld für die große Stadt, mußte auf seinem Landsitze bleiben, und das schadete ihm auch nicht.

An diesen Gutsherrn erinnern mich jene Leute, die in Zeitungsartikeln, in Ostergedichten und Festreden nicht müde werden, zu behaupten, Ostern sei das Fest des einziehenden Frühlings, das Fest der auferstehenden Natur. Aber gelten denn die Freudenfeuer auf den Bergen, der Jubel der Menschen wirklich dem einziehenden Frühling? Mag sich der Lenz darob geschmeichelt fühlen wie jener Gutsherr und dafür reiche Gaben in Aussicht stellen: gut, das kann uns ja recht sein. Wer aber nicht bloß im Taufscheine Christ ist, der denkt beim Osterfeste weniger an die grünenden Wiesen, an den Osterhasen, als an das Erlösungswerk des Heilandes, an seinen Opfertod. Und darin liegt die hehre Weihe des Osterfestes, mahnt es uns doch zur göttlichen Heldenhaftigkeit, sich für die Mitmenschen zu opfern, wenn’s darauf ankommt, fürs Allgemeine das Leben hinzugeben. Das ist herb, aber auch herrlich; denn in dem Sterben für das Große und Gemeinsame liegt nicht der Tod, sondern die Auferstehung und das Leben. Ich bin überzeugt, daß der Held, welcher einen Opfertod stirbt, mit dem Gefühle der Seligkeit fortlebt in der großen Menschenseele, die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0232.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)