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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„Ich dachte es mir! Du wirst nicht viel gesehen haben von dem Hause. Helmreich hat den ganzen Garten mit einer Mauer umziehen lassen, da ist ein Einblick zur Nachtzeit kaum möglich.“

Ehrwald schwieg. Es wäre doch nur natürlich gewesen, das nächtliche Abenteuer dem Freunde zu erzählen, der, wie er längst wußte, ein täglicher Gast in Burgheim war, aber es war, als ob irgend etwas dem Manne die Lippen schließe, er brach rasch ab.

„Doch nun vor allen Dingen, wie geht es Dir? Deine Briefe brachten mir ja die besten Nachrichten! Bist Du ganz genesen?“

„Wenigstens zum größten Teil, und Bertram stellt mir in einigen Monaten die volle Genesung in Aussicht. Jetzt heißt es nur noch Schonung – Ruhe – Geduld! Das sind freilich Worte, die wir beide nie gekannt haben, aber ich habe sie lernen müssen. Laß Dir das zur Warnung dienen, Reinhart, Du bist auch zehn volle Jahre lang nicht in Europa gewesen. Man nutzt sich schnell ab in den Tropen und auch Deine eiserne Gesundheit wird schließlich erliegen, wenn Du Dir nicht einmal Ruhe gönnst.“

„War das möglich in unserm bisherigen Leben?“ fragte Reinhart achselzuckend. „Uebrigens hängen meine nächsten Zukunftspläne ja von den Verhandlungen in Berlin ab. Das ist auch wieder eine von Deinen Aufopferungen, Lothar! Man hatte Dich für die Stellung in Aussicht genommen, ich weiß es, und Du lehntest ab und setztest Deinen ganzen Einfluß für mich ein.“

„Weil ich schon damals wußte, daß ich einer solchen Stellung nicht mehr gewachsen bin,“ sagte Lothar ernst. „Damit ist’s für mich zu Ende. Ich habe allerdings, als ich im Winter in Berlin war, das möglichste gethan, Dir dort die Wege zu ebnen; ob Du aber bei Deinem stolzen Selbständigkeitsgefühl fertig wirst mit den Herren am grünen Tische, ist eine andere Frage. Doch das wird sich ja finden, einstweilen bin ich froh, Dich ein paar Wochen für mich zu haben. Auch Bertram und seine Frau freuen sich sehr, Dich wiederzusehen, und dann wirst Du auch noch eine andere Bekannte aus früherer Zeit wiederfinden – Lady Marwood ist hier.“

„Zenaide von Osmar?“ rief Ehrwald überrascht. „Hast Du sie bereits gesehen?“

„Jawohl, gestern. Sie soll die Kronsberger Quellen gebrauchen und beabsichtigt, den ganzen Sommer hier zu bleiben. Du weißt wohl, daß sie von ihrem Gemahle getrennt lebt?“

„Allerdings – man spricht in Kairo sehr viel über sie.“

„Das hat man leider von jeher gethan. Marwoods Name und Rang stellen ihn nun einmal in die erste Reihe und Zenaide ist eine gefeierte Schönheit in der großen Welt. Solche Persönlichkeiten sind immer die willkommensten Gegenstände für die üble Nachrede.“

Reinhart antwortete nicht. Es schien, als wünschte er den Gegenstand fallen zu lassen, doch Sonneck hielt ihn fest.

„Hast Du etwas Näheres gehört?“ fragte er. „Ich habe bei meinem letzten Aufenthalt in Kairo kaum mit jemand verkehrt, ich war schwer leidend damals und schiffte mich sobald als möglich ein. Du aber bist jetzt wochenlang dort gewesen – was spricht man eigentlich?“

„Alles mögliche! Die englischen Kreise in Kairo sind ja stets sehr genau unterrichtet über alle Vorgänge in der Londoner Gesellschaft, aber – sie nehmen entschieden Marwoods Partei.“

„Wirklich?“ rief Sonneck peinlich überrascht.

„Fast ohne Ausnahme, und in den einheimischen Kreisen hört man dasselbe. Lady Marwood soll sich in England sehr excentrisch benommen und sich rücksichtslos über alles hinweggesetzt haben, so daß schließlich nur die Trennung übrig blieb; die gesetzliche Scheidung unterblieb wohl nur des Kindes wegen, auf das keines der Eltern verzichten wollte; es heißt aber, daß Marwood sie anstrebt. Seitdem reist seine Gemahlin allein in der Welt umher, taucht überall wie ein Meteor auf und streut das Geld mit vollen Händen aus, um ebenso plötzlich wieder zu verschwinden. Dabei hat sie immer einen Schwarm von Verehrern hinter sich und umgiebt sich überall mit einem förmlichen Hofstaat von Bewunderern, der ihrem Rufe nicht gerade förderlich ist. Ich mag nicht wiederholen, was man da alles flüstert und klatscht, aber etwas davon wird wohl auch bis zu Dir gedrungen sein.“

„Ja, aber ich habe es nie geglaubt. Diese unselige Ehe, die von Anfang an den Keim des Unheils in sich trug! Es war ja, als ob man Eis und Feuer aneinander ketten wollte! Zenaide mag unvorsichtig gewesen sein der Gesellschaft gegenüber; mag es jetzt doppelt sein, wo sie die Fesseln gebrochen hat – an wirklich Schlimmes glaube ich nicht.“

Ehrwald schwieg, aber seine Miene verriet, daß er nicht derselben Meinung war.

„Du wirst doch nicht umhin können, sie wiederzusehen,“ hob Lothar wieder an, „denn ich verkehre mit ihr auf dem alten freundschaftlichen Fuße, und hier in Kronsberg kann man sich überhaupt nicht ausweichen.“

„Weshalb denn auch?“ fragte Reinhart gelassen. „Doch nicht etwa wegen der einstigen Jugendschwärmerei, die wir füreinander hegten? Dergleichen trägt man doch nicht sein Leben lang mit sich herum. Lady Marwood ist inzwischen eine gefeierte Weltdame geworden und ich – nun, ich bin auch nicht der junge ‚Abenteurer‘ mehr, dem Herr von Osmar so verächtlich die Thür wies. An Deiner Seite, in den Wüsten und Wäldern Afrikas habe ich mir Namen und Lebensstellung errungen. Wir treten uns als zwei völlig neue Menschen gegenüber, und wenn da wirklich die alten Erinnerungen wieder auftauchen, werden wir darüber lächeln wie über Kinderthorheiten. Etwas anderes ist ja die sogenannte Jugendliebe überhaupt nicht, sie hält niemals stand für das Leben.“

Es war derselbe gleichgültige Ton, mit dem Lady Marwood von „diesem Herrn Ehrwald“ sprach. Sonneck war offenbar überrascht davon, er hätte anders empfunden und hatte deshalb mit einer gewissen Unruhe an dies Wiedersehen gedacht, das ein Spiel des Zufalls hier herbeiführte. Diese Gleichgültigkeit der beiden, die sich einst so nahe gestanden, nahm ihm eine geheime Sorge vom Herzen.

„Jugendliebe?“ wiederholte er. „Hast Du Zenaide denn wirklich geliebt? Dann hättest Du sie schwerlich so leicht und schnell aufgegeben, weil ein erzürnter Vater zwischen Euch trat. Ich glaube, Reinhart, Du kannst überhaupt nicht lieben! Was hilft Dir Dein beinahe sprichwörtlich gewordenes Glück bei den Frauen? Ein wahres Glück hat es Dir ja doch nie gebracht! Wie oft sind Dir seitdem Jugend, Schönheit und Liebe entgegengekommen, wie oft brauchtest Du nur die Hand auszustrecken, um zu erreichen, was anderen als der höchste Preis des Lebens gilt – und wie oft hast Du damit gespielt, in einer unverantwortlichen Weise gespielt! Aber Du selbst bliebst immer kühl bis ans Herz hinan! Freilich, das alles war ja nahe und wirklich, deshalb genügte es Dir nicht. Jenes große unendliche Glück, das Du Dir zusammenphantasierst, hat es nie und nirgends in der Welt gegeben, und anstatt zu nehmen, was sich Dir bietet, jagst Du noch immer dem alten unerreichbaren Traumbilde nach, dieser –“

„Fata Morgana!“ ergänzte Reinhart lachend. „Ja, das ist Deine alte Predigt, wie oft hast Du mich schon ausgescholten deshalb, aber kann ich’s ändern? Es ist nun einmal mein Verhängnis, nur daß ich einst glaubte, ich könnte das Traumbild herabzwingen in die Wirklichkeit. Das ist vorbei, jetzt weiß ich, daß sie nie zur Erde herabsteigt, meine schöne Fata Morgana, aber lassen kann ich doch nicht von ihr. Vielleicht umfange ich sie einst im Tode!“

Er legte dem Freunde die Hand auf die Schulter und seine Stimme wurde plötzlich tiefernst, als er fortfuhr:

„In Einem irrst Du doch. Ich kann lieben, auch das Nahe und Wirkliche, aber geliebt ohne Wandel und Enttäuschung habe ich nur eins auf der Welt – Dich, Lothar! Du allein hast mir immer Wort gehalten, im Leben wie im Tode, denn wir beide haben ja oft genug zusammen dem Tode ins Auge geschaut. Was Du mir warst und bist, das kann mir niemals ein Weib sein – nie!“

„Schmeichler!“ wehrte Lothar ab, aber man hörte es an seinem Tone, wie viel ihm dies Geständnis galt.

„Nein, bei Gott, das ist keine Schmeichelei,“ brach Reinhart leidenschaftlich aus. „Das ist die volle echte Wahrheit.“

„Das weiß ich, mein Junge,“ entgegnete Sonneck warm, „und was Du mir bist, das brauche ich Dir wohl nicht erst zu sagen, aber trotzdem werden wir es lernen müssen, einander zu entbehren. Du kennst ja das Ultimatum, das Bertram mir gestellt hat, und er wird Dir bestätigen –“

„Ah, da ist er ja selbst!“

Es war in der That der Hofrat, der jetzt die Thür öffnete und noch auf der Schwelle sagte: „Verzeihung, wenn ich störe, aber die erste Stunde des Wiedersehens ist verstrichen, und nun möchte ich doch auch unseren ‚Afrikaner‘ begrüßen. Willkommen in Deutschland, Ehrwald!“ Er trat vollends ein und streckte Reinhart die Hand hin.

Dieser ergriff sie herzlich, fragte aber mit einiger Verwunderung: „Woher wissen Sie denn schon, daß ich hier bin? Ich kam ja ganz inkognito.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0226.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)