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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Sultans eine gewisse Stellung eingenommen, die er durch einen von ihm selbst begangenen Fehler eingebüßt habe.

„Wenn der Wechsel in Euerm Schicksal Euch betrübt, so muß auch ich ihn bedauern,“ sagte Murad; „an Eurer Stelle würde ich aber, so glaube ich, froh sein, meine Freiheit wieder gewonnen zu haben, denn ich möchte, außer von meinem Herrn Vater, von niemand abhängig sein.“

„Dein Leben kann sich so gestalten, daß Dir Abhängigkeit auch von einer andern Person als von Deinem Herrn Vater teuer wird.“

„Ich verstehe Euch nicht.“

„Wenn Du Dich vermähltest und Deine Gemahlin lieb gewönnest, so würdest Du in einer gewissen Abhängigkeit von ihr leben müssen.“

„Ich würde ihr Herr sein, und wenn ich das nicht bleiben könnte, so würde ich mich lieber von ihr trennen.“

„Auch wenn sie Dir sehr teuer wäre?“

„Auch wenn sie mir sehr teuer wäre!“

„Dann würdest Du in meine Lage kommen, frei zu sein, ohne Deiner Freiheit froh zu werden.“

„Die Traurigkeit des Freien steht mir höher als die Zufriedenheit des Sklaven.“

„Er ist fürwahr ein Fürstensohn,“ sagte sich Ali, aber er lenkte die Unterhaltung auf einen andern Gegenstand.

Die Sonne neigte sich dem Abend zu. Wie eine feine Decke aus durchsichtigem dunkeln Purpur lagerte sich das Licht über die schwarzblauen Wasser. Murad hatte sein Netz in das Boot gezogen und zusammengelegt. Der Zwerg saß am Steuerruder und beobachtete das stille gute Arbeiten des schönen, ernsten jungen Mannes. Jetzt zog dieser einen flachen Korb aus feinem Weidengeflecht hervor, den er zunächst mit frischen Blättern und grünem Gras bedeckte und auf den er sodann in gefälliger Anordnung etwa ein Dutzend der schönsten Fische ausbreitete, die er im Laufe des Nachmittags gefangen hatte. Als er mit der zierlichen Arbeit fertig war, hob er den Kopf, und Ali Bey freundlich anblickend, sagte er: „Ihr fragt mich nicht, für wen diese Fische bestimmt sind?“

„Die Fische sind Dein Eigentum und dasselbe gilt von dem, was Du mit ihnen vorhast,“ antwortete Ali Bey.

„Von den Fischen werde ich später, mit Eurer Erlaubnis, einige nach Eurer Wohnung tragen; von meinem Vorhaben aber spreche ich gern mit Euch, schon weil Ihr mir vielleicht einige Aufklärung geben könnt, die ich allein, bei meinem Mangel an Erfahrung, nicht finden kann.“ – Darauf erzählte Murad alles, was auf sein Zusammentreffen mit der Sklavin Bezug hatte.

Als Murad geendet hatte, sagte Ali Bey: „Ich möchte Dir raten, den Verkehr mit jener Sklavin abzubrechen.“

„Dazu sehe ich keinen Grund.“

„Glaube mir, dem Aelteren und Erfahreneren; der Verkehr mit dem Harem ist für jedermann, der nicht zum Harem gehört, gefährlich.“

„Ich thue nichts Unrechtes. Wenn ich alle Gefahren des Lebens fürchten wollte, so würde ich nie zur Ruhe kommen.“

„Möge Allah Dich behüten!“ sprach Ali Bey.

Als Murad bald darauf mit der Sklavin zusammentraf, sagte diese, nachdem sie den Korb mit den Fischen in Empfang genommen hatte: „Meine Freundin ist gekommen, um mit Dir zu sprechen. Sie steht hinter der Thür.“

„Ich wüßte nicht, was ich Eurer Freundin sagen könnte,“ antwortete Murad, den Ali Beys Ermahnungen nachdenklich gemacht hatten. „Es ist wohl besser, daß ich mich entferne.“

Da vernahm er eine sanfte Frauenstimme, dicht in seiner Nähe, ohne daß er jedoch die Sprecherin sehen konnte: „Ich bitte Euch, zu bleiben … Ich möchte einige Fragen an Euch richten … Wie alt seid Ihr?“

„Mein Vater sagte mir vor einigen Monaten, ich sei achtzehn Jahre alt geworden.“

„Dies sagte er ohne Zweifel, weil er daran dachte, Euch zu vermählen.“

„Das weiß ich nicht.“

„Möchtet Ihr Euch verheiraten?“

„Es ist Sache meines Vaters, das zu bestimmen. Ich habe noch nicht daran gedacht. Ich thue, was er befiehlt.“

„Wenn Ihr nun aber erführet, daß eine vornehme Dame, eine Prinzessin vielleicht, Euch zum Gemahl auserkoren hätte, würdet Ihr derselben nicht bereitwillig folgen?“

„Es ist undenkbar, daß einer Prinzessin Wahl auf mich fallen sollte.“

„Aber wenn dem so wäre?“

„Dann würde ich meinen Vater zu bewegen suchen, auf die Ehre zu verzichten, Schwiegervater einer Prinzessin zu werden.“

„Warum?“

„Weil ich Herr in meinem Harem sein will.“

„Das würdet Ihr sein.“

„Das weiß ich nicht. Ich habe gehört, daß der Gemahl einer Prinzessin nicht selten von der, die ihn verehren und ihm gehorsam sein sollte, hochmütig und herablassend behandelt wird. Sie würde mich vielleicht daran erinnern, daß ich vor meiner Verheiratung ein armer Mann war, daß ich ihrer nicht würdig wäre. Das könnte ich nicht ertragen.“

Die Stimme schwieg einige Zeit. Dann sagte sie: „Wenn eine Prinzessin Euch zum Gemahl auserwählte, so würde sie dies thun, weil sie Euch liebte. Wenn sie Euch aber liebte, so würde sie wohl achthaben, Euch nie zu kränken.“

Darauf gab Murad leise lachend zurück: „Ich glaube nicht, daß ich in die Lage kommen werde, die Hand einer Prinzessin auszuschlagen oder anzunehmen, und ich brauche darüber nicht nachzudenken … Ist es Euer Wunsch, daß ich morgen wieder einige Fische hierher bringe?“

„Darum bitte ich Euch,“ sagte die Stimme, die entmutigt und traurig klang, und dann entfernte sich Murad. Die Unterhaltung mit der Unsichtbaren erschien ihm als der Zeitvertreib einer müßigen Haremsdame. Er legte derselben keine Bedeutung bei und sprach darüber am nächsten Tage ganz unbefangen mit Ali.

Murads Besuche an der Haremspforte dauerten ununterbrochen fort. Er traf fortan nur noch mit der ihm bekannten Sklavin zusammen; aber einmal glaubte er in der schmalen Spalte zwischen den Thürangeln und der Mauer etwas Weißes zu erblicken, den Schleier einer Frau, die ihn beobachtete. Er gab jedoch nicht zu erkennen, daß er dies bemerkt hatte, und wechselte wie gewöhnlich einige unbefangene Worte mit der Sklavin, die ihm die Fische abnahm.

(Fortsetzung folgt.)




Nansens und Andrées Nordpolunternehmen.


Mit tausend Schrecken hat die Natur die Pole der Erde umringt. Frost und Hunger, Eisberge und heulende Schneestürme, eine monatelange Nacht bilden um die rätselhaften Gebiete einen Bannkreis, wie er in Märchendichtungen grausiger und unüberwindlicher kaum dargestellt werden könnte. Und doch ziehen seit Jahrhunderten Ritter des Geistes in dieses verzauberte Eisland, suchen den Bannkreis zu durchbrechen und schlagen ihr Leben in die Schanze, um die Wissenschaft mit neuen Entdeckungen zu bereichern. Wie groß ist nicht die Reihe der mutigen Polarfahrer, wie viele von ihnen haben nicht in den fernen Eiswüsten den Heldentod für die Wissenschaft gefunden! Wie oft haben sich Stimmen erhoben, man solle doch ablassen von dem fruchtlosen Beginnen, die Fahne des Sieges auf den Polen aufzupflanzen! Und doch erhebt sich stets von neuem der trotzige verwegene Mut, der die Menschen alle Gefahren gering achten läßt und sie zu Beherrschern der Länder und Meere gemacht hat. Jahraus, jahrein rüstet man neue Expeditionen nach den Eisgefilden in Nord und Süd und nicht eher wird das kühne Menschengeschlecht ruhen, als bis es siegreich seinen Fuß auf die geheimnisvollen Pole gesetzt hat. Ja, zum Teil scheint schon dieses Ziel erreicht zu sein. Aus dem fernen Sibirien drang vor wenigen Wochen die Kunde durch alle civilisierten Länder, dem kühnen Polarforscher Fridthjof Nansen sei es gelungen, den Nordpol zu entdecken, und er sei auf der Heimfahrt begriffen! Man darf in die Wahrheit dieser Nachricht sehr berechtigte Zweifel setzen, und doch erregt sie das allgemeinste Interesse; ruft sie uns doch in Erinnerung zurück, daß vor Jahr und Tag eine Schar kühner Männer im Dienste der Wissenschaft in das rauhe Eismeer hinausgesegelt und hinter dessen düstern Nebeln verschwunden war. Mit Glück- und Segenswünschen begleitete man damals die polwärts ziehenden Seefahrer, denn ihr Unternehmen war einzig in seiner Art. Ihr Führer, Fridthjof Nansen, beseelt von dem Wagemut der alten Wikinger, hatte dem Eismeer das Geheimnis seiner Strömungen abgelauscht und darauf einen Plan gegründet, den Nordpol zu erreichen. An die Ostküste Grönlands spült das Eismeer allerlei Gegenstände. Darunter hatte man Dinge gefunden,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0215.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2023)