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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

dann schweiften sie hinüber nach Skutari, Kadikeuy und Moda, wo bunte Häuser, weiße Moscheen und Minarets und dunkle schlanke Cypressen sich gegen den klaren Morgenhimmel abzeichneten. In der Ferne erkannte er die schönen Umrisse der dicht bewaldeten Prinzeninseln, und seine Augen folgten den zahllosen großen und kleinen Fahrzeugen, die sich in lautloser Stille kreuzten, die hohe See suchten oder, vom Schwarzen Meere kommend, den Bosporus herunter, dem „Horn“ zusteuerten. In den Lüften wiegten sich silbergraue Möwen und mächtige dunkle Weihen. Es war ein Bild erhabener Ruhe und es leuchtete Frieden in die Brust des armen Zwerges, der den Sultan uneigennützig geliebt und die strenge Behandlung, die ihm zu teil geworden war, schmerzlich empfunden hatte.

Palmsonntag in den Abruzzen.
Nach dem Gemälde von C. Tiratelli.

In der Nähe des Ufers schaukelte sich ein kleines Fischerboot, das Ali Bey bisher noch nicht beachtet, das aber, als er es erblickt hatte, seine Aufmerksamkeit fesselte. Der Insasse desselben war ein Jüngling von etwa achtzehn Jahren, dessen Aussehen und Wesen dafür sprachen, daß er das schwere Gewerbe der Fischerei, wennschon er dabei sachverständig zu Werke zu gehen schien, nur zu seinem Vergnügen betreiben könne. Sein Gesicht, von großer Anmut, war heller als das der gewöhnlichen Fischer, und weiß glänzten in der Sonne seine wohlgeformten nackten starken Arme. Alle Bewegungen des jugendlichen Körpers waren edel und frei.

Diesem Jüngling war vor einer Woche ein sonderbares Begebnis zugestoßen. Als er sich, gegen Sonnenuntergang, über den Bord seines kleinen Fahrzeuges beugte und mit großer Kraftanstrengung das schwere Netz heraufzog, flog ein von sechs Ruderern getriebener schmaler Kaïk an ihm vorüber, in dem vier dicht verschleierte Damen und zwei schwarze Haremswächter saßen. Der junge Fischer hob den Kopf einen Augenblick, beugte sich dann aber sogleich wieder zu seiner Arbeit, denn es war ihm zur zweiten Natur geworden, dem Gesetze zu gehorchen, das dem Gläubigen verbietet, eine fremde Frau dreisten Blickes anzuschauen. – Er hatte einen guten Fang gethan. In dem Netze, das er in das Boot gezogen, wimmelte es von silberschuppigen und roten großen und kleinen Fischen. Er packte sie sorgfältig in einen Korb, der neben ihm stand, legte das Netz kunstgerecht zusammen und ruderte sodann ans Ufer, wo er oberhalb des Sommerpalastes an einem kleinen Landungsplatze für Fischerboote anlegte und ausstieg. Er hatte soeben sein Fahrzeug an einer kurzen Kette befestigt, den schweren, mit Fischen gefüllten Korb auf die Schulter geschwungen und schickte sich an, das Ufer zu verlassen, als ein schwarzer Haremsdiener auf ihn zutrat.

„Folge mir!“ sagte der Neger. „Ich habe einen Käufer für Deine Fische.“

„Ich verkaufe meine Fische nicht,“ antwortete der junge Mann und wollte seinen Weg fortsetzen.

„So folge mir dennoch!“ sagte darauf der Schwarze. „Einer vornehmen Dame verlangt’s danach, von Deinen soeben gefangenen Fischen zu genießen. Du wirst nicht ungefällig sein wollen.“

Darauf mochte der Jüngling keinen abschlägigen Bescheid geben. Er wandte sich um und bedeutete den Neger, daß er ihn

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0213.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)