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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Professor Rühl–Stettin, Geschäftsführer der Deutschen Turnerschaft, und Dr. F. A. Schmidt–Bonn, Mitglied des Ausschusses der Deutschen Turnerschaft; als letztere sind zu nennen Abgeordneter von Schenckendorff–Görlitz, erster Vorsitzender des Centralausschusses, Königlicher Wirklicher Rat Weber–München, Mitglied des Centralausschusses, und Direktor Professor H. Raydt–Hannover, Geschäftsführer des Centralausschusses. An letzteren sind vorläufig alle bezüglichen Anfragen zu richten. Derselbe wird bald eine eingehende Denkschrift über die ganze Frage veröffentlichen. In der Osterzeit wird in Leipzig eine weitere Beratung stattfinden. Alle Schritte bis dahin leiten die Herren von Schenckendorff und Dr. Götz in Gemeinschaft. In München soll am 11. und 12. Juli d. J. gelegentlich des Kongresses für Volks- und Jugendspiele der „Nationaltag für deutsche Kampfspiele“ zur öffentlichen Diskussion gestellt werden. Die einleitenden Reden halten Dr. F. A. Schmidt–Bonn und Direktor Raydt–Hannover. Auch sollen dort zum erstenmal Kampfspiele der gedachten Art vorgeführt werden, deren Veranstaltung unter der Leitung des Königlichen Wirklichen Rats Weber-München liegt.

Möge denn der Nationaltag für deutsche Kampfspiele glücklich zur Ausführung gelangen! Möge derselbe die Blüte der deutschen Jünglinge aus dem In- und Auslande alle drei Jahre auf dem Leipziger Schlachtgefilde versammeln! Möge vor allem derselbe dazu beitragen, die sittliche Kraft unseres Volkes zu heben, und möge die Feier ein festes nationales Band um alles schlingen, was deutsch redet, deutsch denkt, deutsch will und deutsch handelt!


Der Klageschrei.

Eine türkische Geschichte von Rudolf Lindau.


Ali Bey war eine beliebte und gleichzeitig gefürchtete Persönlichkeit am Hofe des Sultans, wo er den Titel eines Geheimschreibers führte und die Aufgabe hatte, den Großherrn zu zerstreuen und zu erheitern. Er war klein und häßlich, mit hoher Brust, mächtigen Schultern, krummen Beinen, und er besaß die Kräfte eines Riesen. Wer sein großes flaches Gesicht, in dem alles breit war: Stirn, Nase, Mund, Kinn – einmal gesehen hatte, konnte es nicht wieder vergessen, aber nicht allein wegen seiner Häßlichkeit, sondern weil aus Ali Beys schönen dunkeln Augen Herzensgüte so unverkennbar leuchtete, daß man sich seiner gern erinnerte; selbst die Kinder kamen vertraulich zu dem unförmlichen Zwerge und ließen es sich gefallen, daß er ihnen mit seinen kurzen dicken Händen über das weiche Haar strich.

Ali Bey sah den Sultan zu jeder Stunde des Tages, häufiger als alle andern Beamten, und erfreute sich in vollem Maße der Vorrechte eines Hofnarren. Die Kunst, die er hauptsächlich übte und in der er es zu großer Meisterschaft gebracht hatte, war die, andere Personen darzustellen in Gang und Bewegungen, Haltung des Hauptes, Blick, Sprache und Stimme. Zwar waren es immer nur Zerrbilder, die er zeigen konnte, aber stets von sprechender Aehnlichkeit, so daß derjenige, der unfreiwillig dazu gesessen hatte, sogleich von allen erkannt wurde. – Eines Tages beging der sonst so kluge Ali Bey eine große Thorheit. Er wagte es, die Stimme und Gebärde des Sultans nachahmend, einem Diener einen Befehl zu erteilen. Dies wurde dem Padischah von einem geheimen Feinde Ali Beys hinterbracht, und da der Sultan an demselben Tage unerfreuliche Nachrichten vom Kriegsschauplatze empfangen hatte, infolgedessen übler Laune war und sich nicht die Mühe geben wollte, dies zu verbergen, so ließ er an Ali Bey seinen Unwillen aus. Mit harten Worten verbannte er ihn aus seiner Nähe und vom Hofe: „Geh zum Scharfrichter und laß Dir von ihm den Strick geben, an dem Du gehängt zu werden verdientest. Meinetwegen magst Du damit die toten Hunde von den Straßen in das Meer schleifen. Es ist ein ehrlicheres Handwerk als das eines elenden Spaßmachers.“

Ali Bey begab sich geradeswegs zum Henker des Palastes. „Hast Du einen Befehl erhalten, der mich betrifft?“ fragte er.

„Ich sollte Euch hängen, Bey. Alles war bereits zu Eurer Hinrichtung vorbereitet. Dann, vor einer Stunde etwa, kam ein Gegenbefehl: Effendimis hätten Euch begnadigt. – Allah schenke Euch ein langes Leben, Bey!“

„Der Sultan hat befohlen, Du sollest mir den Strick geben, der zu meiner Hinrichtung bestimmt war.“

„Hier ist er, Bey!“ sagte der Scharfrichter und überreichte dem Zwerg einen langen starken Strick aus Hanf.

Ali Bey prüfte ihn aufmerksam. „Würde das Seil nicht zerrissen sein?“ fragte er. „Ich bin ein schwerer Mann.“

„An dem Seile könnten zehn von Eurem Gewicht hängen, es würde nicht zerreißen. – Ich bin sorgfältig in der Wahl meines Handwerkszeuges.“

„Das ist gut,“ sagte der Bey. Darauf machte er dem Henker ein Geldgeschenk und entfernte sich. Er ging aber nicht nach Hause, sondern suchte seinen jüngeren Bruder Namens Nassuch Haga auf, der, wennschon er nur den Rang eines Hauptmanns bekleidete, die Seele der geheimen Polizei von Stambul war. Nassuch Haga hatte dieselben schönen treuen Augen wie Ali; im übrigen glich er diesem aber gar nicht, denn er war ein großer, stattlicher Mann, edel von Angesicht. Nassuch Haga liebte seinen Bruder und war tief betrübt, als dieser ihm erzählt hatte, er sei in Ungnade gefallen. „Was beabsichtigt Ihr fortan zu thun?“ fragte er. „Mein Haus ist das Eure, das wißt Ihr.“

„Ich werde in meinem Konak bleiben,“ antwortete Ali Bey, „ich bin mit Geldmitteln reichlich versehen … Was ich thun werde? – Vorläufig mich gedulden, bis Anzeichen vorliegen, daß der Unmut des Großherrn sich gelegt hat. – Aber ich habe Dir noch etwas Besonderes zu sagen.“

„Sprecht, Bey!“

„Sollte Dir von Deinen Leuten hinterbracht werden, daß ich mich am Seraï-burnu[1] aufhalte und mich gelegentlich damit beschäftige, ein Boot um die Spitze zu ziehen, so wundere Dich nicht darüber.“

„Weshalb wollt Ihr Euch mit so harter Arbeit quälen, um wenige Para zu verdienen?“

„Der Sultan hat mir ein Seil geschenkt. Damit sollte ich fortan meinen Lebensunterhalt verdienen. Er meinte, es würde mir gute Dienste leisten, um tote Hunde von der Straße in das Meer zu schleifen. Er hat mir aber in dieser Beziehung keinen bestimmten Befehl gegeben, und ich will es lieber benutzen, um Schiffe und Boote durch den Strom zu ziehen.“

Ali Bey sagte dies mit der ernsten Miene, die er niemals ablegte, auch wenn er scherzte. Nassuch Haga glaubte, dies sei jetzt wieder der Fall. Die Achtung vor dem ältern Bruder, die er nie beiseite setzte, nötigte ihn jedoch, sich den Anschein zu geben, als ob er Alis Worten Glauben beimesse. „Ich danke Euch für die Mitteilung, Bey,“ sagte er. „Meine Leute werden Euch bei Eurer Beschäftigung nicht stören, ja, wenn Ihr es wünscht, zu Euren Diensten sein.“

Auf dem Wege nach seiner Wohnung kaufte Ali den groben Anzug eines gemeinen Hafenarbeiters und als solcher fand er sich am nächsten Morgen am Seraï-burnu ein.

Wer diesen Punkt einmal gesehen hat, kann ihn nicht wieder vergessen, denn er ist von großer Schönheit, lieblich und erhaben zugleich. Ali Bey ließ sich auf dem grünen Rasen des Ufers nieder und lange Zeit ruhten seine Augen nachdenklich und teilnahmlos auf den sanft bewegten Wassern des schwarzblauen Meeres;

  1. Seraï-burnu, d. h. die Seraïspitze, auch Ak Agalar Kapussi genannt, ist die äußerste Nordostspitze der zwischen dem Goldenen Horn, dem Bosporus und dem Marmarameer gelegenen Halbinsel, auf der Konstantinopel erbaut ist. In der Nähe derselben befanden sich die alten byzantinischen Paläste, später errichtete Sultan Mehmed der Eroberer dort ein Schloß, das von seinen Nachfolgern vollendet wurde und den Namen Top-Kapuseraï erhielt. In der unmittelbaren Nähe des Wassers, durch einen schmalen Strand und eine starke Mauer, einen Ueberrest der alten Stadtmauer, von demselben getrennt, lag der im Jahre 1865 abgebrannte, von Blumengärten umgebene, für den Harem des Sultans bestimmte sogenannte Sommerpalast, von dem jetzt keine Spur mehr vorhanden ist. Am Seraï-burnu, wo die Wasser des Goldenen Horns mit denen des Bosporus und des Marmarameeres zusammentreffen, herrschen starke Strömungen, die, namentlich bei südlichen Winden, von den kleinen „Kaïks“ mit nur einem Ruderer nicht ohne Hilfe überwunden werden können. Diese Fahrzeuge werden sodann an eine Leine genommen und von einem oder mehreren Schiffern am Ufer um die Seraïspitze und die nordöstliche Seite der Halbinsel gezogen.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0212.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2023)