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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Ein Bergler Knecht.

Charakterbild aus Tirol von Carl Wolf-Meran.
Mit Bildern von W. Humer.

Steigt man von Lana hinauf durch die Weinberge, dann durch die Kastanienwaldungen und endlich hinein über den steinigen Weg in das Ultenthal, so bemerkt man hinter Außerhof rechts oben auf dem zerklüfteten Berge den Weiler Pawiegl. Die aus Baumstämmen zusammengezimmerten Häuser mit den Schindel- und Strohdächern sehen aus, als klammerten sie sich ängstlich an, um auf dem stark abschüssigen Boden nicht ins Thal zu rutschen. Es wird vielfach als Witz erzählt, daß auf diesen Berghöfen die kleinen Kinder mit Stricken an die Bäume gehängt werden, damit sie beim Spiel nicht über die abschüssigen Wiesen und Felder hinunter purzeln. Dies ist aber eine Thatsache und der Volksspruch, der da umgeht, „do droben af Pawiegl tragen die Hennen Fußeisen“ ist gar nicht dumm erdacht.

Die Leute, welche da oben leben, müssen in harter und schwerer Arbeit dem mageren Boden das abgewinnen, was sie zum Leben brauchen. Jede Garbe Korn, jede Bürde Heu müssen Männer, Weiber und Kinder auf dem Rücken in die Scheune tragen, und wenn eines jener fürchterlichen Hochgewitter niedergegangen ist, welche dort so fürchterlich toben, als wolle es die Berge niederreißen, so eilt alt und jung, um die vom Regen abgeschwemmte Ackererde wieder hinaufzutragen.

Gar manches Marterl am Wege zeigt, wo ein Holzknecht von einer stürzenden Tanne oder Fichte erschlagen wurde oder von einem niedergehenden Felsen. Oder wo ein lebfrisches Diendl beim Wildheuern abstürzte, oder ein Geißbube, wenn er ein verlorenes Stück seiner Herde aufsuchen sollte in den Abhängen und Schrofen.

Und dennoch leben dort zufriedene und glückliche Menschen.

Wenn der Bauer nach Feierabend so mitten unter seinen Kindern sitzt, alle frisch und rotwangig, einer der Buben vielleicht eine ordentliche Schramme auf dem Kopfe, die Mädchen mit dem grobwollenen Strickzeug, da schmaucht er sein Pfeifchen und schmunzelt: „Vergeltsgott, tüchtig nachwachsn thuan sie, die Jungen, daß d’ Alten a sichers Nestl haben, wenns Krippl (Körper, Körperchen) nimmer recht mitthuan will.“

Wenn dann die Knechte und die Mägde hereinkommen in die kleine, ganz ausgetäfelte Stube und alle setzen sich um den runden Tisch in der Ecke, über welchem der Heilige Geist in Gestalt einer Taube hängt, und an den Wänden herum die Heiligenbilder und das vom Rauch gebräunte Kruzifix, dann sind es nicht Herr und Knecht, sondern eine große Familie, was da zusammen sitzt.

Da scheut sich der Knecht nicht, seine Zweifel über eine getroffene Anordnung des Bauern kundzugeben, ebensowenig wie der Bauer keinen Augenblick zögert, dieselbe zu ändern, wenn er einsieht, daß der Knecht recht hat. Die Bäuerin verkehrt mit den Mägden wie mit den Töchtern des Hauses und wird von denselben wie eine Mutter respektiert. Unter einem Jahre aus einem Dienste auszutreten, gilt als große Schande, und meistens bleiben die Dienstleute bis an ihr Lebensende, denn sie finden ja auch ihre Altersversorgung auf dem Hofe, welche den Bauer wahrlich nicht drückt.

Da fand ich einmal auf einem einsamen Berghofe ein meeraltes Männlein. Das hockte auf einem Stein vor der Hütte, hielt ein vielleicht einjähriges Kind auf dem Schoße und lachte vergnügt, wenn es das Näschen verzog und mit den Aeuglein blinzelte, so oft der Alte ihm einen Mundvoll Tabaksrauch aus seiner kleinen eisernen Pfeife in das Gesichtchen blies.

„Jetztern bin i achtzig,“ erzählte der Alte, „achtzig bin, wenn i mi nit um a nettlene Jahrlen überzählt hab. Und sell kann leicht sein, weil ma in der jungen, überschüssigen Zeit so viel leicht aufs Zähln vergessen thuat.

Alsdann wär i siebenzig Jahr auf’n Höfl. Mit zehn Jahr bin i kummen; da war i Einleger von der Gmein aus.[1] A Heidngeld hab i der Gmein kostet. Sieben Guldn ’s Jahr und alle Winter a Paarl Schua und jedwedn zweitn Winter a lodenes Gwand und a Pfoat (Pfaid = Hemd).

Nachher bin i Goasbua gwordn und zelm bin i a mal drei Tag und zwei Nächt drobmet im Eggstoan verstiegner Weis’ gseßn und hätt’s no a nettlene Stundn dauert, meiner Seel, ’s lederne Hösl hätt i aufgeßn. Mit’n Hosntrager bin i so schon bald ferti gwest. Der Kienklammsepp hat mi ober bracht, vergelt’s ihm Gott im Himml drobmet. ’s Jahr drauf hat er si auf der Gamsjagd ’s Gnagg (Genick) abgsteßn.

Nachher bin i rindviechener Hirt gwordn, schon mit sechzehn Jahr. Gelt, wie a manicher Mensch in d’ Höh’ kummt! Dreihundert fünf und zwanzig Guldn sein mir z’ meist anvertraut gwest; so viel war mein Hüatvieh wert.

Mit neunzehn Jahr ist der große Knecht von einer Feichtn beim Holzmachn erdruckt gwordn. Da ist der zweite Knecht erster, der dritte zweiter und i bin Jungknecht gwordn. Jetztern war i Knecht und da ist’s Herrnleben angangen. A Pfeif hab i mir kauft und an Tabak, a schön’s Stechmesser um fünf und vierzig Kreuzer. Da schau, i hab’s nou. Die Klingen ist freili a bissele zammen gschliff’n.

Und nach’n Messer und ’n Raachzeug hab i miar um a Diendl umgschaut. Hab nit weitum zu suachn gehabt, gar nit. Der zweite Knecht, der Longfaller Luisl, dem hat inser

  1. Einleger sind Waisenkinder, welche auf Kosten der Gemeinde bei den Bauern in Pflege gegeben werden.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0197.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2023)