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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Der Professor begriff jetzt erst, daß es mit der Sache ernst sei, aber er fand sich merkwürdig schnell darein, denn er erkannte, daß sie für ihn im höchsten Grade wünschenswert sei.

„Heiraten wollen Sie das Mädchen!“ sagte er. „Hm, die Geschichte ist im Grunde gar nicht so unsinnig, wie sie auf den ersten Blick aussieht. Wenn Sie sich ein Heim gründen wollen, müssen Sie natürlich auch eine Hausfrau haben. Es wirtschaftet sich schlecht mit Fremden, das habe ich erfahren, und Elsa versteht etwas vom Haushalt. Im Grunde haben Sie ganz recht, Lothar, und mir kann es nur recht sein, wenn ich das Mädchen geborgen weiß an Ihrer Seite. Sie haben mein Wort.“

Er sah die ganze Sache offenbar nur vom Nützlichkeitsstandpunkte an und setzte es als selbstverständlich voraus, daß auch Sonneck keinen anderen Beweggrund habe für seine Werbung. Elsa schien die unglaubliche Herzlosigkeit, die darin lag, kaum zu fühlen, um so mehr wurde Lothar durch sie verletzt, seine Stirn zog sich finster zusammen.

„Herr Professor, Ihre Enkelin wartet auf den Glückwunsch des Großvaters,“ mahnte er in einem Tone, der Helmreich doch daran erinnerte, daß er in diesem außergewöhnlichen Fall auch etwas Besonderes thun müsse, und so entschloß er sich denn dazu.

„Komm her, Elsa,“ sagte er. „Du weißt, ich halte nicht viel von den Menschen, aber der da, Dein künftiger Gatte, der ist einer von den Besten, einer von den wenigen, mit denen es sich lohnt zu leben. Du kannst stolz darauf sein, daß er Dich gewählt hat, und ich hoffe, Du wirst Dich dankbar dafür erweisen und im vollsten Maße Deine Pflicht thun.“

Die Worte hatten wohl einen Anflug von Wärme, aber doch nur, soweit sie Sonneck betrafen, für seine Enkelin hatte der Professor nur eine Mahnung an ihre künftigen Pflichten. Sie erwiderte keine Silbe darauf, sondern trat zu dem Großvater und empfing einen Kuß auf die Stirn, den ersten seit Jahren. Dann wandte sie sich wieder zu Sonneck, der sie in die Arme schloß, als wollte er sie schützen vor dem alten harten Manne, dem tiefe Verbitterung nicht einmal die Liebe für das einzige Kind seiner Tochter übrig gelassen hatte. Lothars tiefe graue Augen blickten wieder in die ihrigen so voll unendlicher Zärtlichkeit; jedoch Elsa hatte es noch nicht gelernt, diese Sprache zu verstehen.

(Fortsetzung folgt.)



Buchhändler Palm und die Napoleonische Gewaltherrschaft.

(Zu dem Bilde auf S. 184 und 185.)

Aus der Zeit der tiefsten Erniedrigung Deutschlands, da Volk und Fürsten der tyrannischen Willkür Napoleons preisgegeben waren, leuchten uns die Gestalten der Männer entgegen, die den Mut fanden, angesichts eines übermächtigen Feindes ihre Stimme gegen die Vergewaltigung zu erheben und ihr Blut für die Freiheit des Vaterlandes hinzugeben. Diese edlen Märtyrer, denen das Schicksal die Dornenkrone aufs Haupt gedrückt hat, entfachten im Volke die Flammen der Begeisterung und drängten es auf die Bahn der zuletzt siegreichen Freiheitskämpfe. Zu diesen Streitern für Deutschlands Ehre und Unabhängigkeit zählt auch der Nürnberger Buchhändler Palm, dessen Andenken das tiefergreifende Gemälde von Jos. Weiser geweiht ist.

Es war am 23. August 1806, da jene Schandthat verübt und Palm als Opfer der französischen Tyrannei in dem österreichischen Städtchen Braunau zur Richtstätte geführt wurde. Seine Schuld bestand nur in der Verbreitung einer deutschpatriotischen Schrift und doch mußte er sie mit seinem Leben büßen – ein Zeichen, wie sehr Napoleon ein Erwachen des deutschen Nationalgedankens fürchtete und mit welchen barbarischen Mitteln er den deutschen Geist zu knebeln suchte.

Johann Philipp Palm, geboren 1766 in Schorndorf, kam bei seinem Onkel, dem Buchhändler Palm in Erlangen, in die Lehre und war dann einige Zeit in Frankfurt a. M. und Göttingen im Buchhandel beschäftigt; dann machte er in Leipzig die Bekanntschaft des Nürnberger Buchhändlers Stein und heiratete dessen Tochter. So wurde er Inhaber der Steinschen Buchhandlung. Als solcher versandte er im Frühjahr 1806 die kleine anonyme Schrift „Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung“ nach Augsburg. Dort geriet sie in die Hände französischer Offiziere, welche sie wegen ihrer heftigen Angriffe auf Napoleon und die französische Herrschaft als eine hochverräterische der Pariser Regierung anzeigten; man suchte alsbald den Urhebern und Verbreitern derselben auf die Spur zu kommen, was bei der Menge der geheimen französischen Agenten, deren Netz über ganz Deutschland verbreitet war, nicht schwer fiel; auch nannte der Augsburger Buchhändler die Stein’sche Firma als diejenige, von welcher er das Buch erhalten.

Palm war noch in Geschäftsangelegenheiten in München, als er von seiner Gattin die Nachricht erhielt, vier schwarzgekleidete Herren seien in die Buchhandlung gekommen, um alles zu durchsuchen. Palm kehrte nach Nürnberg zurück, und als er dort die Nachricht von der Verhaftung des Augsburger Buchhändlers erhielt, begab er sich zu seinem Oheim nach Erlangen, wo er sicher gewesen wäre; denn diese Stadt befand sich noch unter preußischem Schutze. Die Sehnsucht nach seiner Familie und nach seinen Geschäften trieb ihn indes zurück, trotz aller Warnungen seiner Freunde. Sobald die Franzosen von seiner Anwesenheit in Nürnberg Kunde erhalten hatten, und zwar mit Hilfe eines Betteljungen, der für eine arme Soldatenwitwe um Almosen bat und bei Palm Zutritt gefunden, wurde der Buchhändler von Gendarmen verhaftet und bald darauf nach Ansbach zum Marschall Bernadotte gebracht. Vergebens war bei diesem das Flehen der verzweifelnden Gattin; ihm selbst bewilligte Bernadotte keine Audienz; sein Adjutant erklärte dem Buchhändler und dem Rechtsfreund, der ihn begleitete, alle Bittgesuche seien vergeblich, denn Palms Verhaftung beruhe auf einem unmittelbaren Befehl aus Paris. Palm wurde zunächst ins Gefängnis geworfen und dann nach Braunau abgeführt; er hätte dorthin zu Fuße wandern müssen, hätte ihm sein Rechtsfreund nicht Geld geliehen, wofür er sich einen Wagen verschaffen konnte. In Braunau kam er am 22. August an und wurde hier vor ein Kriegsgericht von 7 Obristen gestellt, welches, da ein kaiserlicher Befehl vorlag, nur diesem entsprechend sein Urteil fällen konnte. So wurde denn auch kurzer Prozeß gemacht und nach einem nichtssagenden Verhör das Todesurteil über Palm ausgesprochen, indem die Kommission einstimmig erklärte, daß alle Verfasser, Drucker und Verbreiter der angeführten Schandschrift des Hochverrats schuldig seien, „in Erwägung, daß, wo sich immer eine Armee befinde, es die erste und vorzüglichste Sorge des Chefs sein müsse, über ihre Sicherheit und Erhaltung zu wachen, daß die Verbreitung solcher Schriften, welche zu Aufstand und Meuchelmord reizen, nicht nur die Sicherheit der Armeen, sondern auch der Nationen bedrohe, daß nichts dringender sei, als die Fortschritte einer Lehre zu hemmen, durch welche das Völkerrecht, die Achtung, die man den gekrönten Häuptern schulde, gefährdet wird, so daß alle Ordnung und Subordination zusammenbricht.“ Außer Palm waren noch einige Buchhändler angeklagt, die aber rechtzeitig die Flucht ergriffen hatten; ein Handelsmann aus Donauwörth, der gleichfalls der Verbreitung jener Schrift bezichtigt und wie Palm zum Tode verurteilt war, wurde auf Verwendung seines Landesherrn begnadigt. Drei Stunden nach Verkündigung des Urteilsspruchs wurde dieser schon vollzogen und Palm, der aus dem Gefängnis noch einen rührenden Brief an seine Gattin geschrieben hatte, mit gebundenen Händen auf einen mit zwei Ochsen bespannten Leiterwagen gebracht und auf ein über die Leitern quergelegtes Brett gesetzt. An seiner Seite saßen zwei katholische Geistliche, welche über seine letzten Stunden eingehend berichtet und in diesen Berichten Zeugnis abgelegt haben von edelster Gesinnung und innigstem Mitgefühl. Auf dem Glacis vor dem Salzburger Thore stand die französische Besatzung in offenem Karree gegen die Stadtseite, nach welcher die Schüsse gerichtet werden sollten. Auf den Wällen der Festung waren die Kanonen zum Abfeuern bereit; denn man fürchtete Unruhen, da das Volk dem Verurteilten seine wärmste Teilnahme schenkte. Sein von Thränen feuchtes Schnupftuch sandte er als letzten Liebesgruß durch den Geistlichen seiner Gattin; mit einem andern wurden ihm die Augen verbunden, sechs Soldaten feuerten dann auf ihn mit zitternden Händen; er fiel zu Boden und stöhnte laut. Die nächststehenden Soldaten schossen noch einmal auf ihn; doch immer atmete er noch, bis andere herbeieilten und das Gewehr in nächster Nähe auf seinen Kopf abfeuerten. Damit endete die Todesmarter. Die höheren Offiziere hatten sich, mit Ausnahme des Majors, dem die Exekution anvertraut war, beurlaubt, um dem traurigen Schauspiel nicht beizuwohnen; die ganze Stadt war von tiefster Trauer erfüllt.

Heldenmütig und standhaft ertrug Philipp Palm sein Schicksal. Am Morgen des Todestages sang er noch heitere Lieder, weil er an seine Freisprechung glaubte; als aber die Würfel gefallen waren, fügte er sich ergeben in das Unvermeidliche. Was ihm einen ehrenvollen Platz in der Geschichte des deutschen Buchhandels einräumt, das ist die Tapferkeit, mit der er alles auf sich nahm und den Namen des Autors nicht preisgab. In diesem Sinne ist ihm 1866 in Braunau ein lebensgroßes Bronzestandbild errichtet worden. Solche Auszeichnung verdient der wackere Vertreter des deutschen Buchhandels, das Opfer der französischen Tyrannei.

Der Verfasser jener Schrift war höchst wahrscheinlich der Kammerassessor Johann Konrad von Yelin in Ansbach.

Palms Blut war aber auch nicht vergeblich geflossen; ein einziger despotischer Eingriff beleuchtet oft mit grellerem Lichte das Wesen einer alle Rechte mit Füßen tretenden Gewaltherrschaft als die Großthaten derselben auf den Schlachtfeldern und in den Kabinetten. Der volkstümliche Schimmer der korsischen Weltmacht verblich, als sie den deutschen Bürger aus seinem Heim herausschleppte, um ihn im tiefsten Frieden nach den brutalen Formen des Kriegsbrauchs zu morden. In allen deutschen Gauen erhob sich ein Schrei der Empörung über diese Gewaltthat, welche den Druck der Fremdherrschaft fühlbarer machte als jede andere. Auch schon jene kleine anonyme Schrift war wie eine geistige Brandrakete in die schwüle Stickluft dieser traurigen Zeiten gestiegen – oder war das Gemälde derselben etwa mit zu grellen Farben ausgeführt?

Auf den Gefilden der Dreikaiserschlacht hatte Napoleon seinen glänzendsten Sieg errungen; die Sonne von Austerlitz war aufgegangen, eine neue Losung für den Kriegsruhm und die Weltmacht des Imperators. Die nächste Folge war, daß das Deutsche Reich aus den Fugen ging. Napoleon versammelte um seinen Thron ein Gefolge von Fürsten, die er gleichsam von neuem mit ihren Ländern belehnte, unter der Bedingung, daß sie ihn als ihren Schutzherrn anerkannten und sich von jedem andern

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