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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

ein Dramatiker, der in der „Valentine“ und in „Graf Waldemar“ die gleiche Richtung mit der ihm eigentümlichen Grazie verfolgte, später aber als eifriger Gegner derselben auftrat. Sein Lustspiel „Die Journalisten“ ist das beliebteste Kind der heiteren Muse, das in jener Zeit auf unserer Bühne Bürgerrecht gewonnen, ein Kleinod, das im Hausschatze keines deutschen Theaters fehlt. Ebenfalls an das Junge Deutschland in seinen Tendenzen, noch mehr aber an Grabbe und seine kraftgeniale Darstellungsweise knüpfte Friedrich Hebbel an, dessen „Judith“ und „Nibelungen“ durch eine über das Durchschnittsmaß hinausgehende Macht und Energie der Darstellung und durch große für Heroinen geschaffene Frauencharaktere auf den ersten Bühnen eine bleibende Stätte gefunden haben. Auch seine „Maria Magdalena“, ein bürgerliches Trauerspiel, das in seiner herben Kraft und scharfen Charakteristik auf realistische Wirkungen ausging, hat dieses Schicksal; neben ihm ist der stimmungsverwandte Dichter des „Erbförsters“, Otto Ludwig, zu nennen. Wie diese zwei ist auch Friedrich Halm längst verstorben, der einst mit „Griseldis“ und dem „Sohn der Wildnis“ ein mächtiger Beherrscher der Bühne war und mit seinem weniger romantisch beleuchteten als patriotisch schwungvollen „Fechter von Ravenna“ noch immer auf den Gastspielrepertoiren der „tragischen Mütter“, welche die Thusnelda spielen, verzeichnet steht.

Wenden wir uns nun den Lebenden zu, von denen man sagen kann, daß sich Werke von ihnen auf der Bühne wahrhaft eingebürgert haben und deren Bildnisse wir hier auf einem Gruppenbilde unsern Lesern vorführen, so beschäftigen wir uns zunächst mit den Dramatikern jener älteren Generation, die im Wetteifer mit den Vorgenannten erstarkte. Von der großen Fülle talentvoller dramatischer Erzeugnisse solcher Autoren des gleichen Alters, die es zu einem andauernden Erfolg nicht brachten, müssen wir unter dieser Beschränkung hier absehen. Paul Heyse, ein geborener Berliner, seit langen Jahren in München heimisch, Meister einer graziösen feinen Form in seinen Novellen und Gedichten, ist ein sehr schöpferischer Dramatiker, welcher antike und romantische Trauerspiele, Dramen aus der Rokokozeit und der Revolution, moderne Schauspiele und Lustspiele gedichtet hat, von denen die große Mehrzahl zur Aufführung gekommen ist, wenn auch oft nur an dieser oder jener Bühne. Größere und nachhaltige Erfolge errang sein Schauspiel „Hans Lange“, eine dramatisierte mittelalterliche Anekdote, deren Held ein schlauer energischer Bauer ist; das Stück ist reich an vielen genrebildlichen Zügen; „Kolberg“, ein Schauspiel, dem dasselbe nachzusagen ist, behauptete sich im deutschen Norden, besonders in Berlin, durch den patriotischen Geist, der das Stück belebt, „Die Weisheit Salomos“ wiederum fesselte durch den Kontrast ansprechender Charaktere, durch poetischen Hauch und eine Fülle sinniger Aussprüche. Unter den übrigen zahlreichen Stücken Heyses finden sich dramatische Dichtungen von großer dichterischer Schönheit wie „Hadrian“ und „Alkibiades“, von lebendig bewegter Handlung wie „Graf Königsmark“, doch das Bühnenglück war ihnen nicht hold. Adolf Wilbrandt beherrscht mehr als Paul Heyse das dramatische Pathos; wie sehr ihm dessen hinreißende Beredsamkeit zu Gebote steht, beweist sein „Gracchus, der Volkstribun“. Ein geniales Drama ist „Arria und Messalina“; die beiden das Laster der Cäsarenzeit und die Tugend des alten Rom vertretenden Frauencharaktere sind in scharfen Kontrast gestellt und die Verknüpfung der Handlung durch die Liebe von Arrias Sohn zur verbrecherischen Kaiserin hat tragische Bedeutung. In der „Tochter des Herrn Fabricius“ schuf Wilbrandt ein modernes Schauspiel, das manche packende Situationen enthält; seine Lustspiele, wie „Die Maler“ zeichnen sich durch geistreichen Dialog und kräftige Frische aus. Rudolf von Gottschall hat durch sein Lustspiel „Pitt und Fox“, ein Lieblingsstück der Wiener, welchem Laube nachrühmt, daß der geschichtliche Stoff erfindungsreich angefaßt und behende ausgebeutet sei, sowie durch sein Trauerspiel „Katharina Howard“, das über beinahe alle deutschen Bühnen gegangen ist, sich vorzugsweise in die Reihen der erfolgreichen Dramatiker gestellt. Wilhelm Jordan, der Dichter der neuen „Nibelunge“, die er diesseit und jenseit des Oceans selbst mit Erfolg vorgetragen, hat sich als stilvoller Lustspieldichter in seinen poetischen Stücken „Die Liebesleugner“ und „Durchs Ohr“ bewährt, in denen ein Dialog in gewandten und schlaghaften Reimversen der nur zu oft verwahrlosten Lustspielform künstlerischen Adel verleiht.

Wenn diese Dichter mehr oder weniger an die früheren Ueberlieferungen anknüpften, so war dies auch auf dem Gebiete des Lustspiels der Fall. Da waren Benedix mit seinen Lustspielen aus bürgerlichen Lebenskreisen, in denen der Situationswitz vorherrscht, und Bauernfeld mit seinen Salonstücken und ihrem geistreichen Unterhaltungston die Alten vom Berge, welche für jüngere Nachfolger die Losung ausgaben. An Benedix schloß sich Ernst Wichert an, der mit seinem Lustspiel „Ein Schritt vom Wege“ einen besonders glücklichen Wurf gethan, auch in anderen Lustspielen ansprechende Bilder aus dem häuslichen Leben entrollt hat, als tüchtiger Sittenmaler des ostpreußischen Lebens in seinen Novellen und als ostpreußischer Walter Scott in seinen geschichtlichen Romanen ein markiges Darstellungstalent verrät. Adolf L’Arronge, als Theaterdirektor ein Förderer der klassischen Dichtung, ist in seinen eigenen Werken, nachdem er sich von dem Ton der Berliner Gesangsposse, der seine ersten Erfolge angehören, freigemacht, ein Jünger von Benedix und hat auf dem Gebiete des bürgerlichen Sittengemäldes mit seinem „Doktor Klaus“ den größten Treffer gezogen. Sein Bestreben ist, bessernd auf die Sitten zu wirken, und namentlich auf dem Gebiete der Familienerziehung, deren Schattenseiten er mit scharfer Satire gegeißelt hat, ist er ein beredter Lehrmeister der Eltern und dadurch auch ein tapferer Anwalt der Kinder geworden. Auch der Schöpfer des Offizierslustspiels, Gustav von Moser, der niemals seine muntere Laune und sein liebenswürdiges Naturell verleugnet, trat anfangs in die Fußstapfen von Benedix, mit dem er ja gemeinsam das Lustspiel „Das Stiftungsfest“ verfaßte. Doch schon bei dieser Mitarbeiterschaft schieden sich ihre Wege. Benedix billigte nicht die schwankartigen Zusätze von Moser und der letztere lenkte immer mehr auf die Wege des modernen Schwanklustspiels ein. Zu seinen Haupttreffern gehören „Der Veilchenfresser“ und das mit Franz von Schönthan gemeinsam verfaßte Lustspiel „Krieg im Frieden“; er hat den preußischen Offizier auf unserer Bühne volkstümlich gemacht und damit auch im Lustspiele der Aera unserer nationalen Siege gehuldigt, welche Heer und Volk aufs innigste verschmolzen hat.

Der Stammbaum der Salondramatik, dessen Wurzeln in Eduard von Bauernfelds Stücken zu suchen sind, wuchs von Hause aus in einem Erdreich, dem es nicht an fremder Beimischung fehlte. Ein vielgerühmtes Lustspiel Bauernfelds „Die Krisen“ war ja die Bearbeitung eines französischen Stückes und bald brach die französische Dramatik, besonders am Wiener Burgtheater gepflegt, sich immer siegreicher in Deutschland Bahn. Der feinfühlige Augier gewann nur langsam Boden; aber der heißblütige jüngere Alexander Dumas mit seinen grellen und kecken Erfindungen und Charakterzeichnungen und seiner oft hinreißenden Leidenschaftlichkeit, vor allen aber Victorien Sardou mit seinem feinen Humor, seiner virtuosen Bühnengewandtheit, seiner unermüdlichen Schaffenskraft wurden auf unseren Bühnen heimisch, und zwar mehr als der eigenen nationalen Entwicklung derselben förderlich war. Unser Publikum gewöhnte sich daran, den Salon mit seinen sozialen Fernblicken auf der Bühne zu sehen; es gewöhnte sich an einen geistreichen Dialog, der auch bedeutsame Fragen streifte. Einer unserer gewandtesten Feuilletonisten, Paul Lindau, der auch mehrere dieser Dramen übersetzt hat, zeigte eine große Verwandtschaft mit den französischen Autoren, was glänzende geistige Beweglichkeit betrifft; und so war er längere Zeit ein Matador des deutschen Salonlustspiels, das zwar nach dem französischen hinüberschielte, aber doch nach deutscher Eigenart strebte; denn Lindau vermied nicht nur anstößige Verwicklungen, sondern er gab auch deutsche Stimmungsbilder, welche das Gemüt ansprachen. „Maria und Magdalena“ behandelt in solcher deutschen Weise einen Konflikt, welchen ein Alexander Dumas zu verletzender Schärfe herausgearbeitet haben würde, sein Lustspiel „Ein Erfolg“ ist frisch aus unserem litterarischen Leben herausgegriffen, anmutig und elegant ausgeführt.

Ein Rückschlag gegen das Franzosentum fand auf dem Gebiete der ernsten Dichtung statt, welche durch die Wahl patriotischer Stoffe an das Nationalgefühl appellierte. Ein junger preußischer Beamter, der als Offizier die Kriege von 1866 und 1870 mitgemacht und einzelne Großthaten derselben in lyrisch-epischen Dichtungen verherrlicht hatte, Ernst von Wildenbruch, wandte sich dem Drama zu und errang mit seinen schwunghaften „Karolingern“ und seinem „Harold“ durch glückliches und rasches dramatisches Tempo und eine Diktion, die etwa zwischen Shakespeare und Schiller die Mitte hält, in einer der Tragödie abgeneigten Zeit

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