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Blätter & Blüten



Auf der Fahrt zur Schule. (Zu dem Bilde S. 149.) Wie mahnt doch das hübsche Kinderbild hier an den ungeheuern Wandel der Verhältnisse seit wenig Jahrzehnten! Eisenbahn fahren – der höchste Wunsch früherer Knaben- und Mädchengenerationen – ist heute zur alltäglichen Gewohnheit der großstädtischen Vorortsjugend geworden, kein Blick fällt mehr durch die Scheiben auf das vorüberfliegende Feld hinaus: man ist froh, noch schnell einmal die Lektionen zu überlesen, denn trotz den Anforderungen der Neuzeit ist doch der Fleiß während des Sonntags durchaus nicht größer geworden, als er vor Erfindung der Eisenbahnen war. Der Künstler zeigt uns ein paar Haupttypen der Schule hier auf den Holzbänken vereint: den gewissenhaften Büffler im soliden Ueberzieher, wie er unruhig eine schwache Stelle in seinem Heft erwägt, den helläugigen guten Lernkopf, dessen Finger auf die richtige Lösung deutet, das hübsche Mädchen mit dem blonden Lockenhaar und dem plötzlichen Fleiß im Bewußtsein böser Lücken in den gelernt sein sollenden Zeitwörtern, den braven kleinen Abcschützen, der seine neue Fibel als kostbares Gut ans Herz drückt, und endlich über ihm, aus der andern Abteilung herüberlangend, den lustigen Schlingel, dem das Nachlernen nicht im Traume einfällt.

Gerade hat er sich mittels Lineal, Schnur und Griffel ein sinnreiches Instrument konstruiert, um den arglosen Kleinen aus seiner tugendhaften Versunkenheit herauszukitzeln, und wird, wenn ihm dies gelungen, nicht zögern, auch dem älteren Teil der Gesellschaft eine entsprechende Aufmerksamkeit zu erweisen. Es scheint also, daß der Schuljungenhumor noch ebensowohl in den Schülerzügen der Neuzeit vorkommt wie auf dem schneeverwehten beschwerlichen Schulweg der alten. Und das ist gut, es wäre auch wirklich schade um ihn gewesen! Bn.     

Erinnerungen. (Zu dem Bilde S. 153.) „Lang’, lang’ ist’s her“, daß diese beiden Alten frohgemut vor dem Altar standen und dann in ihr armseliges Häuschen einzogen, wo Sorge und Arbeit sie erwarteten und harte Jahrzehnte lang nicht mehr von der Schwelle wichen. Aber zwei andere Hausgenossen hielten gleichfalls in all dieser Zeit treulich mit aus: Friede und Liebe. Sie machten das Schwere leicht, trösteten in Kummer und Trübsal, und sie sind es auch jetzt, welche die Hände der beiden Altgewordenen fest zusammenschließen, wenn diese am Sonntag vor dem Kirchgang, an dem sie nicht mehr teilnehmen kann, sich gemeinsam in Erinnerungen an vergangene Zeiten vertiefen. Sie möchten sie nicht noch einmal erleben, selbst um den Preis neuer Jugend nicht den heißen, schweren Arbeitstag nochmals beginnen. Aber jetzt, am Feierabend, noch ein paar Jährchen so in Stille beisammen bleiben – ja, wenn das der liebe Gott gewährte, dann wollten sie dankbar erkennen, daß er’s doch nur gut und gnädig mit ihnen gemeint habe! A.     

Am Fischotterbau. (Zu dem Bilde S. 157.) Der gefährlichste Fischräuber unserer Gewässer ist der Otter, und wo er seine Wohnung aufgeschlagen – sei es an einem Teiche, sei es an einem Bache – kann sehr bald der Fischer merken, daß er eine unliebsame Konkurrenz bekommen hat. Der Teich wird leer, der Bach fischarm. Aber wenn auch der Fischer allen Grund hat, ihm wegen seiner Thaten zu grollen, so zieht der Otter doch durch seine körperliche Gewandtheit im Wasser, durch seine Schwimmkünste und seine pfeilgeschwinden eleganten Bewegungen in den klaren Fluten die Augen und die Herzen an ebenso wie Reineke, den der Jäger haßt und der Beobachter liebt. Doch ein Otter ist ein heimliches Tier und es ist nur ein glücklicher Zufall, ihn im Freien beobachten zu können.

Obgleich er im Körper nur etwa so stark wie ein Fuchs, aber langgestreckter, muskulöser und bedeutend niedriger auf den Läufen ist, muß er im Wasser eine Kraft haben, die ans Wunderbare grenzt. Ich habe nämlich vor Jahren an der Weser ein über fußlanges Stück vom Kopfe eines Lachses gefunden, der mindestens 16 bis 18 Pfund gewogen hatte und, wie die Spuren bewiesen, von einem Fischotter ans Land geschleppt und zum Teil verzehrt war. Wenn man bedenkt, daß ein Lachs die Kraft hat, ein zehn Fuß hohes Wehr mit Leichtigkeit zu überspringen, und sich dann vorstellt, daß ihn ein Räuber, der nicht viel schwerer ist als er selbst, in seinem eigenen Elemente angreift, packt und überwältigt, so muß man vor der Kraft und Gewandtheit des Otters staunen. Gewöhnlich sind es jedoch nur kleinere Fische, die er fängt und sofort an Ort und Stelle verzehrt. Ganz kleine Fische verschluckt er im Wasser, mit mittelschweren und starken schwimmt er ans Land. Die geringeren nimmt er zwischen die Pfoten und beißt, beim Kopf anfangend, Stück für Stück ab, ohne sich um die Gräten zu bekümmern, während er bei stärkeren Fischen geschickt das Fleisch von den Gräten zu trennen weiß.

Er hat die Gabe, sehr lange unter Wasser bleiben zu können, und ein Beobachter schreibt, daß der Otter, wenn er sehr weite Strecken unter Eis fortzutauchen gezwungen wäre, unter Wasser ausatmete und die sich hierdurch unter dem Eise bildende Luftblase, die aus dem Wasser schon wieder etwas Sauerstoff aufgenommen hätte, wieder einatmete und so fort, bis er eine freie Stelle fände. Im allgemeinen sind aber die Luftblasen, die aufsteigen, wo ein Otter unter Wasser schwimmt, kein Atem, wie vielfach geglaubt wird, sondern Luft, die zwischen Grannen und Wollhaar hängen geblieben ist und nach und nach entweicht. Diese Luft verleiht auch dem Tiere die auffallend helle Farbe, die es unter Wasser hat. – Der Künstler Otto Vollrath aus München, selbst ein großer Jäger vor dem Herrn, führt uns auf seinem Bilde eine Scene aus einer Fischotterjagd vor mit den beiden Erdhunden, welche heute in Deutschland die beliebtesten sind, dem englischen Foxterrier und dem Teckel. Der Jäger hat die Spur des Otters, die leicht an den Schwimmhäuten kenntlich ist, am sandigen Ufer des Baches gefunden, hat seine Hunde gelöst, und stromaufwärts suchend, haben dieselben unter dem dichten unterspülten Wurzelwerk einer mächtigen Schwarzpappel das Versteck ihres Wildes gewittert. Die Fluchtröhre liegt aber halb unter Wasser, und da die Hunde geradeaus nicht an den Feind kommen können, bemühen sich beide, sich von oben und seitwärts durchzuarbeiten. Sobald der Otter aber merkt, daß es draußen nicht geheuer ist, gleitet er fast unhörbar in die Flut und sucht tauchend seinen Feinden zu entrinnen. Aber der Jäger hat aufgepaßt – er sieht das Wasser sich kräuseln und eilt, so rasch er kann, nach einer seichten Stelle des Baches, wo das Wasser rauschend über die Kiesel läuft. Fast gleichzeitig mit ihm ist auch der Otter schon dort, doch es knallt und Raby Trickster und Erdmann stürzen sich ins Wasser und packen und würgen ihren Todfeind. Karl Brandt.     

Die Besatzung des Mont Saint–Michel. (Zu dem Bilde S. 160 und 161.) Der Mont Saint–Michel, auf dem die von dem französischen Maler Lesrel dargestellte Soldatenscene spielt, ist nicht nur das beliebteste Ziel aller Reisenden, welche die Normandie und die Bretagne besuchen, er hat auch in der französischen Geschichte als uneinnehmbare Festung eine große Rolle gespielt. Der Berg des heiligen Michael, dessen Bild die „Gartenlaube“ im Jahrgang 1887 S. 673 brachte, ist nichts anderes als ein ungeheurer Granitblock, der sich in der Bucht gleichen Namens erhebt. Bei der Flut, die hier besonders stark ist, stellt er eine Insel dar, bei der Ebbe ist er von einer weiten Sandfläche umgeben. Erst vor etwa zehn Jahren hat man den Berg durch einen Damm mit dem Festlande verbunden, der auch bei der höchsten Flut den Wagen- und Fußgängerverkehr ermöglicht. Schon im frühesten Mittelalter wurde der Mont Saint–Michel zu einem berühmten Wallfahrtsort und so entstand daselbst eine Abtei, deren Prachtbauten das Felseneiland zu einem Wunder der Architektur gestalteten. Eine Kirche wurde auf der höchsten Spitze des Berges errichtet und daneben ein großes Klostergebäude, das seiner kühnen Bauart wegen von jeher den Namen La Merveille (das Wunder) getragen hat. Im Bilde Lesrels sehen wir links den durch zwei vorspringende Erkertürme befestigten Treppenaufgang der Abtei und rechts durch die offene Halle hindurch die zierlichen Spitzbogen des Kreuzgangs.

Die feste Lage und die Nähe der Grenze zwischen der Bretagne und der Normandie verliehen dem Mont Saint–Michel in früheren Zeiten eine große strategische Bedeutung. Die Abtei war daher befestigt und für kriegerische Zwecke ausgerüstet. In Kriegszeiten hatte sie starke Besatzung. Die Bretagner beneideten die Normannen um den Besitz des Bergs. Später bestürmten ihn die Engländer mehrmals ohne Erfolg und zur Zeit der Religionskriege machten die Hugenotten ebenso vergebliche Versuche, sich dieses festen Punktes zu bemächtigen.

Diese entlegene Zeit der französischen Religionskriege wählte der Maler Lesrel als geschichtlichen Hintergrund, auf dem er, frei der Eingebung seiner Phantasie folgend, ein fesselndes Bild des damaligen Soldatenlebens schuf. Ein Schüler Gérômes, hat Lesrel von diesem Meister die Genauigkeit der Zeichnung und des historischen Kostüms bis in alle Einzelheiten übernommen, und diese Vorzüge seines Pinsels kommen auch auf dem Bilde „Die Besatzung des Mont Saint–Michel“ zur vollen Geltung. Die Situation, in die uns der Künstler versetzt, ist nicht schwer zu erkennen. Offenbar hält die Besatzung, da der Feind nicht in der Nähe ist, ein lustiges Zechgelage ab und die militärische Kapelle, in der selbst ein Guitarre spielender Mohr sich vorfindet und die durch freiwillige Geiger und Flötenbläser verstärkt ist, spielt lustige Weisen auf, während andere der Tapferen sich mit Würfelspiel die Zeit vertreiben. Der Wein, den die schmucke Marketenderin kredenzt, fließt reichlich und läßt die fröhlichen Geister gar ausgelassen werden. Inmitten dieser Zechenden erscheint plötzlich ein Bote, der dem Kommandanten ein wichtiges Schriftstück übergiebt. Was für Nachrichten bringt der Fremde? Die Linke auf dem Degenknauf, den breitkrempigen Hut mit der lang herabwallenden Feder in der Rechten, steht er abseits hinter dem Kommandanten und seine Haltung paßt nicht in die fröhliche Schar. Und siehe da, auch die Züge des Kommandanten werden ernster, während er die Botschaft für sich liest. Sein Antlitz verfinstert sich; die lustige Besatzung merkt noch nichts von dem Ernst, der nunmehr ihren Führer durchdringt. Bald aber wird der Kommandoruf erschallen, die Trommel kriegerische Wirbel schlagen; bald wird der Stabstrompeter die achtlos hingeworfene Drommete aufheben, um schneidige Fanfaren zu schmettern. Da wird der eine den Fiedelbogen mit dem blanken Säbel, der andere die Flöte mit der Hakenbüchse vertauschen und die Würfler werden im Kriegsspiel ihr Glück versuchen; denn der Feind ist im Auzug und eine Schande ohnegleichen wäre es, wenn er die noch jungfräuliche Feste des Saint-Michel überrumpeln und einnehmen sollte.


Inhalt: Fata Morgana. Roman von E. Werner (9. Forschung). S. 149. – Auf der Fahrt zur Schule. Bild. S. 149. – Erinnerungen. Bild. S. 153. – Friedrich Hessing. Von Prof. Dr. Th. v. Jürgensen. Mit Bildnis. S. 156. – Am Fischotterbau. Bild. S. 157. – Mein Roman. Novelle von Eva Treu (Fortsetzung). S. 158. – Die Besatzung des Mont Saint-Michel. Bild. S. 160 und 161. – Blätter und Blüten: Auf der Fahrt zur Schule. S. 164. (Zu dem Bilde S. 149.) – Erinnerungen. S. 164 (Zu dem Bilde S. 153.) – Am Fischotterbau. Von Karl Brandt. S. 164. (Zu dem Bilde S. 157.) – Die Besatzung des Mont Saint–Michel. S. 164. (Zu dem Bilde S. 160 und 161.)


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0164.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2023)