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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Vollmondnacht den tausendjährigen Bann, der sie gefangen hielt, als wollte all diese tote Größe und Herrlichkeit noch einmal zum Leben erwachen.

Reinhart brach zuerst das Schweigen, er mochte es doch wohl fühlen, wie erkältend auf Zenaide sein Empfang gewirkt haben mußte, denn in seiner Stimme lag etwas wie Abbitte, als er sagte: „Ich danke Ihnen, Zenaide, daß Sie mir dies Lebewohl ermöglichten. Ich konnte und durfte es nicht erzwingen, nach der Art, wie meine Werbung aufgenommen wurde, das sehen Sie doch ein?“

Zenaide sah das allerdings nicht ein, aber es bedurfte nur dieses weichen bittenden Tones, um sie zu entwaffnen. Ihr Vater hatte recht, sie war gänzlich im Bann dieses Mannes; sobald er ihr nur Liebe zeigte, flog ihre ganze Seele ihm wieder zu.

„Sie sind tödlich gekränkt!“ sagte sie leise. „Ich begreife es nur zu sehr und kann Ihnen ja nur sagen, daß es mich ebenso schwer getroffen hat, daß ich es im tiefsten Innern mitempfinde. Deshalb kam ich her und nun –?“ sie vollendete nicht, aber ihr Auge suchte mit banger Frage das seinige.

„Nun müssen wir uns Lebewohl sagen!“ ergänzte er mit schwerer Betonung.

„Heute schon, Reinhart? Ich dachte, erst morgen.“

„Morgen? Das ist unmöglich! Unsere Leute sind endlich heute mittag eingetroffen und nun dürfen wir keinen Tag mehr verlieren. Wir wollen bei Tagesanbruch fort, da kann ich mich auch nicht eine Minute frei machen, und ein Aufbruch wie der unsrige, mit einer ganzen Karawane, vollzieht sich überhaupt nicht unbemerkt. Die sämtlichen Gäste des Hotels werden da sein, um uns ihre Abschiedsgrüße und Wünsche für die Expedition mitzugeben, ganz Luksor wird zusammenströmen, so etwas ist ja ein Ereignis für den Ort.“

Zenaide warf die Kapuze ihres weiten Burnus zurück, die bisher ihr Haupt verhüllte. Der Mond beleuchtete voll ihr Antlitz, es war bleicher als sonst, aber es trug den Ansdruck einer beinahe triumphierenden Entschlossenheit.

„Ich weiß es und ich will Sie auch nicht allein sprechen, Reinhart. Mein Vater glaubt, daß dieser Aufbruch unsere Trennung besiegeln werde, und gerade er soll uns vereinigen!“

Ehrwald sah sie betroffen und fragend an.

„Ich verstehe Sie nicht. Was wollen Sie thun, Zenaide?“

„Alles, alles will ich thun um Deinetwillen!“ brach sie leidenschaftlich aus. „Kein Machtwort meines Vaters soll mich von Dir reißen, Du wirst mich Deiner würdig finden! Morgen früh werde auch ich da sein und Abschied von Dir nehmen, aber offen, vor aller Welt! Man wird erfahren, daß wir uns verlobt haben, und Du wirst vor all den Zeugen Deine Braut zum Lebewohl in die Arme schließen. Dann gehe ich zu meinem Vater und sage ihn, was geschehen ist, und dann kann er uns nicht mehr trennen!“

Sie sprach mit glühendem, stürmischem Triumph, so erfüllt und hingerissen von ihrem kühnen Plane, daß sie Reinharts Schweigen gar nicht einmal bemerkte. Das glückliche, siegesgewisse Lächeln lag noch auf ihren Lippen, als sie leiser, aber mit vollster Innigkeit fortfuhr:

„Du siehst, wir brauchen uns hier nicht so ängstlich zu bergen vor fremden Augen. Wenn wir überrascht werden, nun, dann erfährt man schon heute, was morgen jeder wissen wird, und einem Brautpaar wird man wohl auch das Recht eines einsamen Spazierganges am letzten Abende vor der Trennung zugestehen.“

Reinhart schwieg noch immer, er hatte keine einzige Silbe erwidert, und jetzt fragte er langsam:

„Und Herr von Osmar?“

„Mein Vater wird einwilligen, er muß es; wenn ich diesen Schritt thue, dann bleibt ihm keine Wahl mehr.“

„O ja, er wird einwilligen!“ sagte Ehrwald mit schneidender Bitterkeit, „und dabei aus tiefster Seele den Glücksritter verwünschen und verachten, der klug genug war, sich noch im letzten Augenblick seine ‚Beute‘ zu sichern. Soll ich mir das vielleicht zum zweitenmal sagen lassen?“

„Reinhart!“

„Nein, beim Himmel, das thue ich nicht! Es war genug und übergenug an dem einen Mal!“

Er wandte sich ungestüm ab, Zenaide stand völlig fassungslos da. Sie hatte nicht einen Augenblick daran gezweifelt, daß er ihren Plan, der ja unfehlbar zum Ziele führen mußte, mit leidenschaftlichem Entzücken begrüßen würde, und nun nahm er ihn so auf! Die Eiseshand legte sich wieder kalt auf ihr heiß klopfendes Herz.

„Hast Du denn nur Sinn für die Beleidigung?“ fragte sie mit bebender Stimme. „Gilt Dir unsere Liebe nichts dagegen? Ich gebe Dir ja alles, alles! Mein ganzes künftiges Leben lege ich in Deine Hand – ist Dir das nicht genug?“

Reinhart wandte sich um, er sah das Weh in dem schönen Antlitz, sah die heiß aufquellenden Thränen in den dunklen Augen, und in aufflammender Reue ergriff er die Hände des jungen Mädchens und preßte seine Lippen darauf.

„Vergieb! Ich bin undankbar und verdiene Deine Liebe nicht. Ich fühle die ganze Größe des Opfers, das Du mir bringen willst, aber ich kann es nicht annehmen!“

Zenaide zuckte zusammen, wortlos, aber in tödlichem Schrecken blickte sie ihn an, während er fortfuhr:

„Ich sollte gehen und Dich allein lassen in einem Kampfe, wo ich Dir nicht zur Seite stehen kann? Ich soll es geschehen lassen, daß Dir täglich wieder der schmachvolle Verdacht zugeflüstert wird, während ich fern bin? Und wenn ich zurückkehre – ich kann mir da draußen auf unserem Zuge einen Namen und eine Lebensstellung erringen, aber Reichtümer und ein Adelswappen sind da nicht zu erobern, und das fordert Dein Vater ja doch nun einmal von dem, der um seine Tochter wirbt. Ich habe das nicht in die Wagschale zu legen, ich bleibe ihm nach wie vor der Abenteurer, der nur die Erbin erbeuten will, erst recht, wenn er von uns zur Einwilligung gezwungen wird.“

„Immer diese unseligen Worte!“ rief Zenaide verzweiflungsvoll. „Kannst Du sie denn gar nicht vergessen?“

„Nein!“ war die finstere Antwort.

„Aber um meinetwillen! Mein Vater glaubt ja selbst nicht daran, er sprach es ja nur aus, um uns zu trennen. Reinhart – um meinetwillen!“

„Nein, Zenaide, ich kann nicht!“

„Dann liebst Du mich nicht!“ brach sie mit vollster Heftigkeit aus. „Dann hast Du mich nie geliebt!“

„Soll ich um meiner Liebe willen Erniedrigung dulden?“ fragte er herb. „Könnte ich Dich losreißen von allem, was Dich jetzt umgiebt, und Dich mit mir nehmen, ich würde die Probe auf Deine Liebe wagen! Du weißt ja, daß das unmöglich ist, und das Haus Deines Vaters betrete ich nie wieder, auch in Jahren nicht. Ich,“ er richtete sich hoch empor und in seinen Augen sprühte es wild auf, „ich hasse ihn nun einmal bis aufs Blut, denn er hat mir einen Schimpf angethan, den ich nicht rächen kann! Er ist Dein Vater, ihn klage an, nicht mich, er hat mit jenen Worten unserer Liebe das Urteil gesprochen!“

Zenaide war unwillkürlich zurückgewichen vor diesem Ausbruch eines maßlosen Hasses, der ihrem Vater galt, dem Manne, der bisher doch nur Zärtlichkeit, ja Vergötterung für sein einziges Kind gehabt hatte. Sie sah es deutlich, die Liebe war machtlos dagegen, aber sie fühlte auch, daß die wahre Liebe anders gesprochen hätte.

Es war eine Stunde, wo zwei Menschenschicksale sich trennen sollten für immer, und sie war doch so märchenhaft schön, als könnte sie nur Segen und Glück bringen. Der Mond stand jetzt hoch am Himmel und seine Lichtflut ergoß sich bis in die fernsten Räume. Ein breiter leuchtender Streif fiel in den dunklen Säulengang und die steinernen Riesengestalten waren wie gebadet in den Strahlen. Sie blickten starr und düster nieder auf die beiden Menschenkinder, die ihr Glück und Leid hineintrugen in die alte tausendjährige Opferstätte, wo das Leben längst verstummt war, und doch regte sich jetzt wieder jenes geheimnisvolle Weben. Es war wohl nur ein Windhauch, der von der Wüste oder vom Nil herüberkam und sich hier verlor, aber es zog wie ein Raunen und Flüstern durch die Tempelhallen. Vielleicht ein Nachhall jenes Liedes, das so alt ist wie die Menschheit selbst: es ward schon damals vernommen, als man sich noch vor den Götterbildern niederwarf und sich dem Scepter der Pharaonen beugte, und heute erklang es den Kindern der Gegenwart – das Lied vom Scheiden und Meiden!

Es war eine lange, schwere Pause eingetreten, Zenaide lehnte am Fuße der Ramsesstatue, sie war totenbleich und wandte jetzt

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