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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Nacht, eine Vollmondnacht, voll Licht und Glanz. Ringsum war es taghell, die Palmen, die sich hier am Ufer erhoben, wurden voll getroffen von dem weißen Lichte, jedes Blatt der mächtigen Kronen hob sich deutlich ab. Es war dieselbe Stelle, wo Reinhart damals in jener glühenden Mittagsstunde das geheimnisvolle Luftgebild geschaut hatte, wo die alte Wüstensage vor seinen Augen lebendig geworden war. Damals lag die weite Landschaft vor ihm sonnentrunken, im heißen blendenden Tageslicht, jetzt ruhte sie halb verschleiert im bleichen Scheine des Nachtgestirns, wobei alle Formen und Farben sich zu lösen und zu zerfließen schienen. Der Nil war nur eine leise wogende und wallende Silberflut, die gelben kahlen Höhen dort drüben gewannen einen seltsamen, beinahe rosigen Schimmer und über die Wüste, wo damals die Fata Morgana erschienen war, spannen die Mondstrahlen einen silberduftigen Nebel, der die ganze Ferne erfüllte mit einer bläulich schimmernden Lichtflut.

Reinharts Auge hing unverwandt an jenem Punkte. Morgen! Da sollte sich ja endlich der Schleier heben, da sollte die Ferne sich vor ihm öffnen, mit ihren Wundern und ihrem Drohen, die Märchenwelt aus „Tausend und eine Nacht“. Und doch zog in diesem Augenblick durch die Seele des jungen Mannes wie ein Traum die Erinnerung an die ferne nordische Heimat, die jetzt in Eis und Schnee vergraben lag, wo die Glockenklänge durch Berg und Thal zogen und aus dem dunklen tiefverschneiten Walde der Weihnachtszauber auftauchte. Sie gehörten wohl auch in diese Erinnerung, die leuchtenden blauen Kinderaugen, die damals so verwundert und entzückt auf das ferne Wüstenbild geschaut hatten, denn Reinhart sah sie jetzt so deutlich vor sich, als sei das Kind wirklich an seiner Seite.

Auf einmal aber fuhr er auf und besann sich. Welche Thorheit, hier die Zeit zu verträumen, er wurde ja erwartet und sollte einem Rufe folgen, der an ihn ergangen war! Noch einen Blick warf er auf die mondbeglänzte Landschaft, dann wandte er sich ab und schritt rasch weiter.

Auch die Ruinen des Tempels lagen in tiefster Einsamkeit und der Schritt des Wanderers war kaum hörbar auf dem weichen Sande des Bodens. Er war ja nicht zum erstenmal hier, er kannte den Ort und hatte ihn in den letzten Wochen oft betreten, im hellen Sonnenschein, in Gesellschaft Sonnecks und des Professors Leutold. Aber der stürmische Ehrwald mit seinem glühenden Lebensdrang hatte kein rechtes Verständnis gehabt für die tote Pracht einer längst vergangenen Zeit, sie war ihm fremd geblieben.

Reinhart betrat jetzt den weiten Vorhof, der ganz erfüllt war vom Mondenglanz, und sein Blick flog suchend umher. Noch zeigte sich niemand, er war allein und schritt nun langsam weiter nach der anderen Seite, wo er sich in dem Schatten einer Säule barg und zugleich den Eingang des Tempels im Auge behielt. Eine Minute nach der anderen verrann, es wurde eine Viertelstunde daraus und der Fuß des jungen Mannes schlug leise und ungeduldig auf den Boden, aber diese Ungeduld hatte nichts von der sehnenden, hoffenden Erwartung eines Liebenden. Die Wolke von heute morgen ruhte noch immer auf seiner Stirn und es sah nicht aus, als ob er freudig jenem Rufe gefolgt sei.

Da endlich wurde zwischen den Säulen des Einganges eine Frauengestalt sichtbar, sie war ganz eingehüllt in einen orientalischen Burnus von weißem Kaschmir und hatte die Kapuze tief über den Kopf gezogen. Mit flüchtigen Schritten kam sie näher, Reinhart eilte ihr entgegen und in der nächsten Minute schmiegte sich die zarte bebende Gestalt an ihn, als wollte sie Schutz bei ihm suchen.

„Zenaide, was haben Sie gewagt!“ sagte er leise.

Zenaide mochte wohl einen anderen Empfang erwartet haben, betroffen, fast bestürzt blickte sie zu ihm auf. Das klang ja wie ein Vorwurf!

„Hat man uns denn eine Wahl gelassen?“ fragte sie, noch atemlos vom raschen Gange. „Ich habe Sonneck gebeten, angefleht, uns dies Wiedersehen unter seinem Schutze zu gewähren! Er verweigerte es mir, er wollte nicht einmal die Botschaft an Sie übernehmen und ich wußte doch, daß Sie darauf warteten und harrten –“

„Nein,“ unterbrach sie Reinhart düster. „Ich habe nichts mehr erwartet nach dem, was gestern abend geschehen ist.“

„Nichts mehr? So wären Sie gegangen, ohne mir Lebewohl zu sagen, ohne mich auch nur zu sehen? Reinhart, das ist unmöglich!“

„Rechten Sie mit denen, die es mir unmöglich gemacht haben,“ sagte er herb. „Oder glaubten Sie, ich würde das Haus wieder betreten, aus dem man mich so fortgewiesen?“

„Nein, nein, das mutete ich Ihnen nicht zu!“ fiel sie heftig ein, „aber ich hoffte, durch Sonneck Nachricht zu erhalten. Er hatte keinen Auftrag, nicht ein Wort brachte er mir von Ihnen. Ich harrte vergebens bis zum Mittag, da griff ich zum letzten Mittel und sandte Ihnen Fatme mit dem Briefe. Ich wußte es, Sie würden dem Rufe folgen.“

„Ihrem Rufe – gewiß! Aber Sie hätten nicht diesen Ort und diese Stunde wählen sollen. Wir sind hier nicht sicher vor Überraschungen. Wie oft werden die Ruinen im Mondschein von Fremden aufgesucht. Wenn Sie gesehen würden!“

„Daran habe ich nicht gedacht, als ich hierher kam,“ sagte Zenaide mit einem Vorwurf, den sie nicht zu unterdrücken vermochte, aber Reinhart schien ihn nicht verstehen zu wollen, denn er entgegnete ernst: „So muß ich es thun – um Ihretwillen! Hier können wir nicht bleiben, es ist taghell und jeder zufällig Eintretende erblickt Sie sofort. Kommen Sie, Zenaide!“

Er führte sie nach dem Säulengange, der im tiefen Schatten lag, Zenaide folgte, aber es legte sich wie ein Eiseshauch auf ihre heißen Empfindungen. Sie hatte so viel gewagt, hatte in Todesangst geharrt auf den Augenblick, wo es ihr möglich wurde, unbemerkt das Haus zu verlassen. Wie gejagt war sie hierher geeilt, in der Erwartung, der Geliebte werde ihr entgegenstürzen, sie stürmisch an seine Brust schließen und ihr überschwenglich danken für diesen Beweis ihrer Liebe, und nun? Er hatte wohl den Arm um sie gelegt, aber nur, um sie zu schützen, und war nur ängstlich bestrebt, sie vor unberufenen Augen zu verbergen, ein Wort der Zärtlichkeit hatte er nicht für sie!

Seltsam, Zenaide empfand diese Sorge für ihren Ruf, diese Rücksicht des Mannes, der sonst keine Rücksichten kannte, fast als eine Beleidigung. Wie konnte er in diesem Augenblick überhaupt an etwas anderes denken als an das Wiedersehen! Sie fragte nichts nach der ganzen Welt, was brauchte er danach zu fragen!

Und er bediente sich noch immer des fremden kalten „Sie“ und zwang sie damit zu der gleichen Anrede. Sie hatte ja doch gestern, in jenem seligen Augenblick, wo sie in seinen Armen ruhte, das erste Du aus seinem Munde gehört.

Keines von den beiden sprach, während er sie tiefer hineinführte in die Ruinen, und je weiter sie schritten, desto weiter schien die Welt da draußen zurückzuweichen und zu versinken und eine andere Welt voll von Wundern und Geheimnissen that sich vor ihnen auf. Wohl herrschte Oede und Verfall in diesen Hallen, Säulengängen und Tempelgemächern, die sich endlos ausdehnten. Halbversunkene Mauern, zerstörte Altäre, umgestürzte Säulen gaben Zeugnis davon, daß auch dieser Bau nicht für die Ewigkeit geschaffen war, aber was der helle Sonnenschein dem Auge unbarmherzig enthüllte, das verschleierte und verklärte das Mondlicht. In seinem Scheine ragten all diese Hallen und Säulen so mächtig auf, wuchsen so riesengroß empor, als hätten nicht Menschen-, sondern Geisterhände sie gefügt. Jahrtausende waren vorübergezogen und sie standen noch immer da und ragten hinein in die Gegenwart als ein übermächtiges Denkmal der Vergangenheit.

In dem zweiten Vorhofe des Tempels blieb Reinhart stehen, hier waren sie weit genug vom Eingange entfernt und keine Ueberraschung war zu fürchten. Ringsum strebte ein Wald von Säulen empor und dazwischen erhoben sich Riesengestalten von Stein, uralte Götterbilder und die Statuen von Königen, die einst hier gelebt und geherrscht hatten. Sie alle waren überflutet von dem weißen Lichte, das diese ganze Tempelwelt erfüllte. Es lag blendend hell auf dem Boden, es stahl sich in das tiefste Dunkel der Gänge und trieb dort zwischen den Säulen sein phantastisches Spiel, es floß nieder an den Wänden, deren Bilder und Hieroglyphen noch deutlich erkennbar waren. Und das Dach dieser weiten Halle war das weite Himmelsgewölbe, mit seinen mattfunkelnden Sternbildern.

Ringsum herrschte das tiefe Schweigen der Einsamkeit. Das Ohr fing keinen Laut auf, und doch regte sich überall geheimnisvolles Weben und in dem bleichen Lichte schienen die Steinbilder Leben zu gewinnen. Es war, als regten sie sich, als löste die

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