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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Befehl in die Waschküche zu beordern, wo ich Wäsche zählen sollte. So etwas verstimmt natürlich.

Wie gesagt, ich will niemand gegen Mutter einnehmen, aber sie erschwerte es mir, das vorgesteckte Ziel zu erreichen. Heimlich trug ich immer ein Bündel Konzeptpapier und einen Bleistift in der Tasche, und sowie mir nur ein freier Augenblick blieb, schrieb ich an meinem Roman, bei dem meine Gedanken immer weilten, auch wenn ich die Suppe schäumte, Tassen wusch oder sonst etwas Prosaisches that. Mußte ich am Herde stehen, nur auf die Milch zu achten, die nicht kochen wollte, gleich zog ich meinen Roman aus der Tasche; glaubte Mutter, ich läge abends längst in süßem Schlaf in meinem Bett, so saß ich statt dessen bei einer heimlich hinaufgeschmuggelten Küchenlampe in meinem kalten Stübchen und schrieb Roman. Und bei all diesen Opfern hätte die Sache mir unglaubliches Vergnügen gemacht, wäre nicht die Milch öfters übergekocht und die Lampe immer in einer für Mutter unerklärlichen Weise leer gebrannt gewesen. Dann wurde Mutter ärgerlich – ach, manchmal so ärgerlich! Darin lag eben der Unterschied zwischen unseren Naturen und der Grund, warum sie mich nicht verstand: ihr deuchte ein verdorbenes Mittagsessen eine Sache von großer Wichtigkeit, während es mir ganz gleichgültig war.

Auch heute mußte sie mich natürlich gerade im besten Gedankengange stören. Meiner Heldin schwebte eben ein Wort auf den Lippen, welches, von dem Helden falsch gedeutet, beide für lange Zeit so voneinander trennen sollte, daß ich bis jetzt noch nicht wußte, wie ich sie später im vierunddreißigsten Kapitel wieder zusammenführen wollte. Sie hatte schon den Mund – einen sehr kleinen, feingeschnittenen, hübschen Mund geöffnet, um dieses verhängnisvolle Wort zu sprechen, da tönte es beinahe unmittelbar vor meinem Ohre: „Lene, Lene – Lene! –“ das letzte „Lene“ mit einem Seufzer und einem Nachdruck der Empörung gesprochen. Es schien, als wenn Mutter – denn sie war es selbstverständlich, die rief – daran verzweifelte, mich im Laufe dieses irdischen Lebens noch zu irgend einer nützlichen That verwendbar zu finden. Obgleich ich Mutter nicht sah, fühlte ich doch mit unfehlbarem Instinkt, daß sie jedenfalls tragisch den Kopf schüttelte.

Hastig und schuldbewußt, denn ich entsann mich der Gardinen, die ich hätte plätten sollen, recht gut, stopfte ich mein Papierbündel in die Tasche, doch nicht schnell genug, daß Mutter nicht noch einen Blick darauf erhascht hätte.

„Da sitzt nun das Mädchen und schreibt Tagebuch oder Verse oder sonst einen Unsinn, während wir mitten im Reinmachen sind und vor Arbeit nicht aus noch ein wissen! Nun sage mir bloß das eine: was denkst Du Dir eigentlich, Kind?“

Was ich mir dachte? Ja, das konnte man Mutter, noch dazu, wenn sie in diesem Tone fragte, nun doch nicht so ohne weiteres sagen! Ich that es deshalb auch nicht, sondern ging nur gesenkten Kopfes hinter ihr her, die vor mir mit raschen Schritten dem Hause wieder zueilte.

Wenn man Mutter von der Rückseite betrachtete, sah sie eigentlich noch ganz jugendlich aus, beinahe wie ein junges Mädchen, und in Wirklichkeit war sie ja auch noch garnicht alt, erst vor vierzehn Tagen war sie dreiundvierzig geworden. Ich dachte mir, sie müßte früher einmal etwa so ausgesehen haben, wie ich jetzt, aber Vater sagte immer, sie wäre viel hübscher gewesen. Nun, das ist gewiß, ihre Nase war auf keinen Fall so impertinent und ihr Mund nicht so groß wie meiner. Mutter hielt viel auf zierliche Kleidung. Wie sie so vor mir herging, mußte ich denken, sie wäre wie eine Bachstelze, so sauber, so behend und so fein, obgleich sie doch den ganzen Vormittag tüchtig herumgewirtschaftet hatte, wie ich wohl wußte. Ich bewunderte das immer sehr an Mutter und konnte es ihr doch nicht nachmachen. Wenn mir ein Knopf absprang oder irgendwo eine Naht ein wenig platzte, wollte ich den Schaden wohl immer gleich wieder gutmachen – wirklich, ich war meiner innersten Neigung nach so ganz besonders ordentlich –, aber ich vergaß es dann manchmal über meinen Roman oder über sonst etwas, wie es Leuten, deren Hauptinteressen geistiger Natur sind, gewiß oft geht. Mutter verstand das nicht.

„Als ich so alt war wie Du,“ sagte sie ein paar Minuten später, als wir beide am Plättbrett standen, „als ich so alt war wie Du, Lene, sorgte ich bereits seit Jahren ganz selbständig für meinen Vater, die Geschwister und ein paar Kostgänger und pflegte meine kränkliche Mutter. Liebe Zeit, wenn ich hätte dasitzen wollen wie Du, was hätte aus uns werden sollen?“

Die Thatsache war mir nicht neu, im Gegenteil hatte Mutter, um meinen Ehrgeiz anzustacheln, bereits ziemlich oft darauf hingedeutet. Ich sagte deshalb auch bloß, ohne besondere Zeichen von Bewunderung oder Erstaunen: „Mochtest Du es eigentlich gerne?“ – „Ich hätte es nicht gemocht,“ fügte ich in Gedanken hinzu, aber das sagte ich nicht.

„Ich weiß nicht,“ sagte Mutter, eifrig plättend, was sie mit wunderbarer Schnelligkeit verstand, „ich weiß nicht, ob ich es im Anfang gerade sehr gerne mochte. Darüber nachzudenken hatte ich nicht viel Zeit und darauf kam es ja auch gar nicht an. Jedenfalls freute ich mich später – Lene, ums Himmels willen, laß doch das Eisen nicht stille stehen, Du brennst ja ein Loch! ich sage, später, als ich heiratete, freute ich mich jedenfalls sehr, eine so gute Schule durchgemacht zu haben, und Dein Vater freute sich auch, das kannst Du mir glauben! Wir hätten ja sonst gar nicht heiraten können. Vermögen hatten wir beide nicht, und wenn ich da nicht einmal zu wirtschaften verstanden hätte bei dem kleinen Anfangsgehalt –“ Doch da unterbrach sie sich heftig: „Lene, wenn Du die Gardine so schief über das Brett ziehst, kann sie nun und nimmermehr ordentlich werden!“

Ich sagte nichts, zog die Gardine gerade und dachte an meinen Roman.

„Wenn Du ’mal heiraten solltest – dann gnade Gott dem Mann!“

„Ich will gar nicht heiraten,“ sagte ich, den Kopf ein wenig zurückwerfend, „habe ich nie gewollt!“ Ich sagte das keineswegs aus Trotz oder sonst einem verwerflichen und bösartigen Grunde, sondern in aller Ehrlichkeit, einfach, weil ich es so meinte. Ich war ein etwas emancipiertes Frauenzimmer, nicht nur aus Grundsatz, sondern auch aus Neigung, oder vielmehr aus Mangel an Neigung, nämlich für alle männlichen Wesen, welche mir bisher in den Weg gekommen waren. Alle meine Freundinnen hatten bereits einmal für jemand geschwärmt oder schwärmten eben jetzt! Ich rümpfte mein impertinentes Näschen mit leisem Hohn über solches Beginnen. Keiner hatte mir bis jetzt so gefallen, daß ich ihn meiner Liebe, so wie ich mir nämlich Liebe dachte, Wert gehalten hätte. Manche waren ja ganz nett, nun ja, einige tanzten auch sehr gut, aber die Sehnsucht, einen von ihnen zu heiraten, hatte ich noch nie verspürt. Im Gegenteil dachte ich von den meisten, wie langweilig es doch sein müßte, sie mein ganzes Leben lang immer in meiner Nähe zu haben – immer, unentrinnbar, und wie gräßlich es sein würde, einem von ihnen einen Kuß geben zu müssen. Uebrigens hatte mich auch noch nie jemand um dieses Glück gebeten, und da ich also kühlen Herzens das ehrwürdige Alter von zwanzig Jahren bereits erreicht hatte, war ich ganz frohen Mutes darauf gefaßt, eine alte Jungfer zu werden. Wenn ich nur berühmt wurde, das genügte mir, und ich betrachtete es als einen ganz besonderen Beweis meines schriftstellerischen Talents, daß ich trotzdem wundervoll ergreifende Worte für die Liebeserklärungen gefunden hatte, welche der Held meines Romanes doch machen mußte, da Helden dies ja bekanntlich zu thun pflegen.

Ich will hier einschalten, daß der Held meines Romanes, meinem eigenen Ideal von Männlichkeit entsprechend, groß, schlank, blond, blaß, genial, schwermütig und arm, jedoch im Besitze eines unbegrenzten Edelmutes und eines wunderbaren Vollbartes war. Aber dies gehört wohl eigentlich nicht hierher.

„Ich will gar nicht heiraten – habe ich nie gewollt!“

Mutter warf mir einen halben Blick von der Seite zu. „Nun, das paßt ja gut,“ sagte sie gleichmütig, „denn so wie Du jetzt noch bist, wird Dich auch wohl schwerlich jemand haben wollen. Beamtentöchter ohne Vermögen müssen wenigstens tüchtig und liebenswürdig sein, wenn man sie begehrenswert finden soll. Uebrigens, mein Kind, hat man auch Pflichten im Leben, wenn man nicht heiratet.“

Es wurde still. Wir plätteten beide, Mutter schnell und vorzüglich, ich langsam und – nicht vorzüglich. Ich weiß nicht, wie es kam, daß ich immer Falten in alles hineinplätten mußte, was glatt werden sollte, und alles das glatt und platt machte, was faltig und bauschig hätte aussehen müssen. Ich wollte gern etwas sagen und verschluckte es dann doch wieder, denn Mutter hatte für philosophische Erörterungen nicht viel Neigung, und wenn ich auch manchmal im verborgensten Herzenswinkel glaubte, ihr in einigen Dingen überlegen zu sein, so hatte ich doch, wenn

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0146.jpg&oldid=- (Version vom 27.9.2021)