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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)


Mein Roman.

Novelle von Eva Treu.


Es war wunderschön im Garten, etwas kühl zwar, aber doch wunderschön! Der See strahlte im reinsten Blau, der Himmel wölbte sich darüber so hell und klar, als hätte er noch nie von Wolken und Nebel auch nur reden gehört; die großen, herrlichen Buchen am Wasser standen da wie junge Könige, in fröhlicher Majestät, die dunklen Tannen waren über und über mit zartgrünen Schößlingen bestreut, und überall zwitscherte, sang, hüpfte und flatterte es von kleinem Gevögel, das in den Zweigen hin und wider huschte. Und das alles konnte ich von meinem Platz unter unserer Rotbuche aus sehen, als wäre es mein, denn unser Garten stieß an dieser Seite unmittelbar an Wald und See; ich hätte nur ein wenig links um die Ecke und dann durch das Pförtchen zu gehen brauchen, so wäre ich mitten in all der Herrlichkeit gewesen. Das freilich wagte ich nicht zu thun, Mutter hätte mich dann unfehlbar gesehen und mich an die mir übertragene Aufgabe gemahnt, Gardinen zu plätten.

Die kühle Luft empfand ich freilich auch, aber das machte mir nicht viel aus, war mir doch vom Dichten ganz warm ums Herz. Nur an den Händen und Füßen fror mich ein wenig, doch das nimmt man eben so in Kauf im Wonnemonat Mai.

Natürlich hörte ich, daß Mutter mich rief, – selbstverständlich. Aber ich fand es diesmal nicht angemessen, gleich darauf zu antworten. Ich war gerade beim siebzehnten Kapitel angelangt, welches mit einer sehr spannenden Situation eröffnet wurde, und von welchem ich mir eine durchschlagende Wirkung versprach. Die rotgemusterten Gardinen aus der Fremdenstube, welche ich plätten sollte, hätten mir die Stimmung vollständig verdorben, die ich doch eben jetzt so dringend nötig hatte.

Denn, daß nur niemand sich einbilde, das Dichten sei eine Kleinigkeit, ein Kinderspiel! Im Gegenteil, es ist sehr ernste, anstrengende Arbeit und keineswegs immer leicht, richtig herauszubringen, was „er“ sagt und was „sie“ sagt und wie sie sich dabei benehmen. Die Kleider, welche die Heldin bei den verschiedenen Gelegenheiten trug, machten mir am wenigsten Schwierigkeit, die beschrieb ich einfach, wie ich sie selbst gerne gehabt hätte, aber ich fand es schwer, die Gespräche geistreich genug zu gestalten, und nicht immer war eine Verwicklung, in welche ich „ihn“ und „sie“ mit großer Feinheit hineingebracht hatte, auch eben so leicht gelöst wie geschürzt. So hatte ich z. B. einmal – aber nein, es würde zu weit führen, das hier auseinanderzusetzen, ich müßte dann den ganzen Plan des Romans darlegen.

Ich dichtete nämlich, daß ich es nur gleich unumwunden sage, meinen ersten Roman. Zwar zählte ich schon volle zwanzig Jahre und muß mich daher fast schämen, einzugestehen, daß es noch mein erster war, aber ich hatte mein Talent nun einmal nicht früher entdeckt, was soll man da machen? Eigentlich war das wunderlich genug. Schon in der Schule waren meine deutschen Aufsätze stets gelobt, ja ausgezeichnet worden, und eine „Kahnfahrt bei Mondschein“, aus meiner Feder stammend, war sogar bei einer Schulprüfung als Musterarbeit ausgelegt worden. Verse schüttelte ich nur so aus dem Aermel. Keine Schlummerrolle, kein Rückenkissen, kein Paar Pantoffeln und keine Sandtorte wurde in unserem Hause verschenkt, ohne daß ein Gedicht von mir die Gabe begleitet hätte. Und die besten Sachen bekam gar niemand zu sehen, die trug ich heimlich spät am Abend, wenn das ganze Haus im Schlummer lag, in mein verschließbares Poesiebuch ein, welches ich ganz hinten in der rechten Ecke meiner obersten Kommodenschieblade unter dem Kasten mit Handschuhen, Spitzen und Bändern aufbewahrte. Den kleinen krausen Schlüssel zu diesem geheiligten Buche trug ich im Portemonnaie stets bei mir, und ich muß leider hinzufügen, daß er recht oft den einzigen wertvollen Inhalt desselben ausmachte, denn Vater hielt mich kurz mit Taschengeld. Er sagte, es müßte so sein: ein preußischer Beamter mit sieben Kindern – nun ja, er hatte wohl recht!

Aber diese mitunter recht störende Leerheit meines Portemonnaies war es durchaus nicht, was mich zu dem Entschluß gebracht hatte, für den Druck zu schreiben. Ich suchte Schätze, welche die Motten und der Rost nicht fressen: berühmt wollte ich werden. Wie manches Mal hatte ich in irgend einem Winkel mit heißen Augen und glühenden Wangen über ein Buch gebückt gesessen und Seite um Seite klopfenden Herzens heruntergehastet, um nur an das Ende zu gelangen und zu sehen, „ob sie sich bekämen“, ob die arme kleine Gouvernante Gräfin würde, und ob der hartherzige Vater die um ihrer Liebe willen verstoßene Tochter wieder aufnehme, ob die unglückliche Braut dem ungeliebten und schurkischen, aber reichen Bräutigam angetraut würde oder ob noch im letzten Augenblick der rechte, für tot gehaltene Geliebte zurückkehre und sein „Nein!“ dazwischen donnere, – wie oft hatte ich dann, wenn alles zum glücklichen Ziel gelangt, die Treue und Tugend belohnt und der Bösewicht vernichtet war, hochaufatmend gedacht, wie herrlich, ja, wie himmlisch es sein müßte, so etwas auch zu schreiben, andere Herzen so klopfen zu machen wie meines vor Spannung und Erwartung! Ich wollte unter dem Namen Viola Odorata schreiben, den ich besonders passend für ein Pseudonym fand.

In Wirklichkeit hieß ich natürlich nicht so. Ich hieß Helene Peters und wurde gewöhnlich schlankweg Lene genannt.

Berühmt sein! Ich war einmal mit den Eltern vier Wochen auf Sylt gewesen. Da hatte man sich gegenseitig auf eine ganz unscheinbar und unbedeutend aussehende Dame aufmerksam gemacht. Es war eine berühmte Schriftstellerin, die sich dort zur Erholung aufhielt. Die Köpfe wandten sich nach ihr, wenn sie vorüberging, und wer in ihren Kreis gelangen konnte, betrachtete es als Vorzug. Und sie war schon ziemlich alt und nichts weniger als hübsch. Wie mußte es nun erst sein, berühmt zu werden, wenn man jung und hübsch war! So war mir der Gedanke nach und nach von selbst gekommen, es einmal zu wagen. Warum sollte ich mit meinem unleugbaren Talent nicht erreichen können, was andere erreichten?

Uebrigens daß sich hier nur niemand falsche Vorstellungen mache – hübsch war ich eigentlich auch nicht. Ich sah ganz nett aus. Es gab Menschen, die fanden, ich hätte eine niedliche Figur, während andere meinten, sie wäre beinahe gar zu zierlich. Es gab auch Leute, die der Ansicht waren, ich hätte schöne, zarte Farben, andere, denen meine krausen dunklen Haare, und wieder solche, denen meine blauen Augen gefielen, manche sagten, ich sähe anziehend aus, und manche, ich hätte kein Alltagsgesicht; aber mein schmales, himmelan strebendes Näschen fanden sie immer höchstens keck und pikant, und meinen Mund, obgleich er rot und frisch war mit regelmäßigen weißen Zähnen, den hielt niemand, niemand für klein! Er war groß und blieb groß. Nein, hübsch war ich nicht, aber es ging so an.

Bis zum siebzehnten Capitel meines Romans war ich also in aller Stille bereits gediehen und hatte für meine Verhältnisse sehr viel Geld für Papier ausgegeben, obgleich ich auf jeden leeren halben Briefbogen, ja auf jede einigermaßen reinliche Papierdüte fahndete, alle in das Haus gelangenden Briefcouverts wendete, um die weiße Innenseite zu benutzen, und sogar die vollgeschriebenen Schulhefte meiner jüngeren sechs Geschwister ihres weißen Randes wegen vor mir nicht sicher waren. Aber siebzehn Kapitel sind keine Kleinigkeit, besonders wenn man dann und wann streichen und ändern muß, was natürlich bisweilen vorkam.

Die Zeit für diese siebzehn Capitel hatte ich mir sozusagen stehlen müssen. Ungern möchte ich bei irgend jemand ein übles Vorurteil gegen Mutter erwecken, aber ich traute ihr ein Eingehen auf meine Pläne und Hoffnungen nicht zu. Nie hatte sie Verständnis für mein geistiges Streben gezeigt! Ob es nun kam, weil unser Hausstand groß war und wir nur ein Mädchen hatten, – ob sie einen Stolz darin suchte, für die tüchtigste Hausfrau der Stadt zu gelten, was sie, glaube ich, auch war, genug, sie hatte für nichts Sinn und Zeit als für Kochen und Abstauben, Stopfen und Flicken von früh bis spät und schien gar nicht einzusehen, daß man auch auf eine andere Art fleißig sein könne als auf die ihrige. Kaum hatte man sich vor dem Kinderlärm irgendwo ein ruhiges Plätzchen erobert, um ein Stündchen lesen zu können, gleich erschien Mutter mit einem Arm voll Strümpfen, die man stopfen sollte. Und ging mir vielleicht ein Gedicht im Kopfe herum und ich zählte und maß in Gedanken die Silben und Reime ab – sicher kam „Male“, unser dienstbarer Geist, um mich auf Mutters

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0144.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2021)