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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

empfand. „Hätte ich geahnt, daß es je so weit kommen würde, ich hätte längst gehandelt und uns allen diese peinliche Katastrophe erspart. Also Zenaide hat Sie gerufen? Sie rechnet auf Ihren Einfluß bei mir und hat um Ihre Vermittlung gebeten?“

„Nein, aber Sie bat mich, ihr eine geheime Zusammenkunft mit Reinhart möglich zu machen.“

„Das hat sie gewagt?“ fuhr Osmar erschreckt und entrüstet auf.

„Sie hat mich darum angefleht mit einer wahren Todesangst. Ich habe es selbstverständlich verweigert, aber versprochen, mich bei Ihnen zu verwenden, ob Sie nicht doch ein Wiedersehen in meiner Gegenwart –“

„Um keinen Preis!“ fiel ihm der Konsul heftig ins Wort. „Soll diese unselige Neigung etwa neue Nahrung erhalten? Sonneck, ich baue auf Ihre Freundschaft, es handelt sich nur noch um einen einzigen Tag, da Sie morgen aufbrechen! Sorgen Sie dafür, daß Ehrwald nichts Unsinniges unternimmt.“

„Er unternimmt nichts, darauf gebe ich Ihnen mein Wort,“ erklärte Sonneck mit scharfer Betonung. „Sie unterschätzen den jungen Mann, Osmar! Wenn er das wäre, wofür Sie ihn halten, hätte er sich schon damals in Kairo Zenaidens Wort gesichert, er brauchte nur zu sprechen, und, ich sage es Ihnen offen heraus, wenn er jetzt noch will, so erklärt sie sich offen zu seiner Braut, Ihnen und der ganzen Welt zum Trotz. – Beruhigen Sie sich, er will nicht mehr, und nach dem, was gestern geschehen ist, kann ich ihm nur recht geben.“

„Sie meinen also, ich verdanke es nur der Großmut des Herrn Ehrwald, wenn ich meine Tochter überhaupt behalte,“ sagte Osmar kühl. „Freilich, sie ist ja förmlich im Banne dieses Mannes, aber der Bann wird brechen, sobald er fort ist, und dann habe ich ein Mittel in Bereitschaft, diese Kinderei in Vergessenheit zu bringen.“

„Sie meinen die Bewerbung Marwoods. Haben Sie ihm bestimmte Hoffnungen gemacht?“

„Er hat mein Wort, unter dem Vorbehalt von Zenaidens Einwilligung.“

„Osmar – drängen Sie Ihre Tochter nicht zu dieser Verbindung,“ sagte Sonneck langsam. „Es wird ein Unglück daraus!“

„Warum? Marwood ist ein Ehrenmann.“

„Daran zweifle ich nicht, aber er und Zenaide sind Gegensätze, die sich niemals ausgleichen werden. Sie wird unglücklich, muß es werden an der Seite dieses eisigen, hochmütigen Mannes, der für eine Natur wie die ihrige gar kein Verständnis hat, der ihr höchstens eine kühle, matte Alltagsneigung gewährt.“

„Die aber für das Leben auszuhalten pflegt, wo die sogenannte romantische Liebe wie ein Strohfeuer verpufft,“ fiel der Konsul mit voller Schärfe ein. „Zenaide ist dafür geschaffen, eine glänzende Rolle im Leben zu spielen, und ich will mein Kind an dem Platze sehen, der ihm gebührt. Marwoods Name, Vermögen und Familienbeziehungen genügen meinen Ansprüchen, seine Gemahlin wird eine der Ersten in der Gesellschaft sein und er hat mir versprochen, alljährlich einige Monate mit ihr in Kairo zuzubringen. Da kann und wird sie wohl den Jugendtraum verschmerzen.“

„Wahrscheinlich! Aber sie wird noch etwas anderes vom Leben fordern als Glanz und Reichtum, die ihr ja nichts Neues sind – das Glück! Zenaide ist nicht das sanfte, träumerische Wesen, als welches sie sich Ihnen und uns allen zeigt. Tief in ihrem Inneren schlummert eine leidenschaftliche Glut, die gefährlich werden kann, und in den Fesseln einer unglücklichen Ehe wird sie verderblich. Ich bitte Sie noch einmal, erzwingen Sie dies Jawort nicht, Sie könnten es bereuen!“

„Ich denke selbstverständlich nicht daran, meine Tochter zu zwingen,“ erklärte Osmar. „Aber ich bin überzeugt, sie wird vernünftigen Vorstellungen nachgeben, sobald der erste Schmerz der Trennung vorüber ist. Ich kenne auch diese verborgene Leidenschaftlichkeit in ihrem Charakter, ich habe erst gestern abend eine Probe davon erhalten, und gerade deshalb halte ich es für notwendig, sie beizeiten in ruhige und feste Bahnen zu lenken. Wer von uns hat nicht einen Jugendtraum begraben und sich mit dem Leben abfinden müssen, wie es nun einmal ist! Ich kann mein Kind auch nicht davor bewahren, ich habe ja nur sein Glück im Auge.“

Er sprach ruhig, aber mit einer Entschiedenheit, die hinreichend zeigte, daß er entschlossen war, nicht nachzugeben, und daß die Macht der sonst vergötterten Tochter hier ein Ende gefunden hatte. Jetzt fuhr er mit der alten Herzlichkeit fort: „Und nun wollen wir uns die Abschiedsstunde nicht auch noch verbittern mit dieser unseligen Geschichte. Was auch geschehen sein mag, wir bleiben ja doch die alten Freunde.“

Er streckte Sonneck die Hand hin und dieser legte die seinige hinein, aber er murmelte dabei mit einem halbunterdrückten Seufzer: „Arme Zenaide!“

(Fortsetzung folgt.)


Der Sachsenspiegel und Burg Falkenstein.

Von Gustav Stephani.
Mit drei Ansichten nach Photographien von Fr. Rose in Wernigerode.

Am 26. Oktober vorigen Jahres ist in Leipzig das neue Reichsgerichtsgebäude eingeweiht und damit dem obersten Gerichtshofe des Deutschen Reiches, in welchem die einheitliche Rechtsprechung des wieder geeinten Vaterlandes gleichsam verkörpert ist, ein würdiges Heim geboten worden. Die Einweihung des neuen Reichsgerichtshauses war, da ja das Reichsgericht selbst bereits seit Gründung des Reiches besteht, allerdings ein Akt von mehr äußerlicher Bedeutung und wird irgend welche Veränderung der Rechtsorganisation nicht nach sich ziehen.

Anders steht es mit einem Teile der neuen Reichsgesetzgebung, dem „Bürgerlichen Gesetzbuche für das Deutsche Reich“, dessen Entwurf dem Reichstage in der gegenwärtigen Tagung zur Beschlußfassung vorgelegt worden ist. Das Bürgerliche Gesetzbuch, an dessen Zusammenstellung seit dem 17. September 1874 von zwei besonders dazu berufenen Kommissionen gearbeitet wurde, soll dem schon geschaffenen einheitlichen Civilprozeß, Strafprozeß und Strafgesetzbuche ergänzend zur Seite treten und die letzte noch vorhandene Rechtsverschiedenheit beseitigen. Das ist eine Hoffnung, welche unser Volk auf das neue Bürgerliche Gesetzbuch setzt. Und noch eine zweite Hoffnung gesellt sich zu dieser ersten. Es ist eine alte, allerdings meist nur von „Laien“ angestimmte Klage, daß die in unserem bisherigen bürgerlichen Rechte stark vertretenen römischen Rechtsbegriffe unserem deutschen Rechtsbewußtsein nicht entsprächen und daß diesem letzteren dem römischen Rechte gegenüber zu seiner ihm gebührenden Stellung verholfen werden müsse. Die bevorstehende Ergänzung des Reichsgesetzes, erwartet man, werde in dieser Hinsicht einen Wandel zum Besseren bringen.

Die Mängel, welche dem bisherigen Rechtsbestande anhafteten und deren Abstellung durch den völligen Ausbau des Reichsgesetzes herbeigeführt werden soll, haben zumeist in dem geschichtlichen Entwicklungsgange, den das Recht in deutschen Landen genommen hat, ihren Grund. In Deutschland haben sich erst verhältnismäßig sehr spät feste Rechtsnormen von allgemeinerer Gültigkeit ausgeprägt. Seit Karls des Großen Tagen gab es zwar eine Reichsgesetzgebung, aber dieselbe berücksichtigte nur die großen Interessen des Reiches und hatte zudem in den Sonderinteressen der Reichsfürsten einen stetigen Hemmschuh ihrer Wirksamkeit. Ein Landrecht von allgemeiner Gültigkeit gab es bis zur Hohenstaufenzeit überhaupt nicht und die Rechtsprechung der einzelnen Provinzen, Städte und adligen Gerichtsherren war unter sich höchst verschieden, fußte sie doch zum größten Teile auf dem ungeschriebenen Gewohnheitsrechte, wie sich dieses von den Vätern her durch die Jahrhunderte hin vererbt hatte.

Das erste Rechtsbuch, welches das Landrecht festlegte und im Laufe eines halben Jahrhunderts zu der weitestreichenden Bedeutung gelangte, war der „Sachsenspiegel“. Heute, da das Riesenwerk der Reichsgesetzgebung des neugeeinten Vaterlandes seiner endgültigen Vollendung entgegengeht, ist es von besonderem Interesse, sich des ersten Anfanges zu erinnern, den das bürgerliche Recht in Deutschland genommen hat.

Es war im Anfang des 13. Jahrhunderts, in den ersten Regierungsjahren Kaiser Friedrichs II., der fernab vom Reiche in Unteritalien in einer halb italienischen, halb sarazenischen Umgebung, dem deutschen Wesen gänzlich entfremdet, residierte, als in Deutschland die Rechtsanarchie zur unerträglichen Höhe stieg und die Sehnsucht nach geordneten Rechtsverhältnissen in allen edleren Geistern wach wurde. Damals beauftragte der Graf und Gerichtsherr Hoyer von Falkenstein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0139.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2023)