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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Er sah sie groß und erstaunt an.

„Warum? Soll ich etwa hier bleiben?“

Zenaide sah bereits ihre Uebereilung ein. Sie hatte allerdings gemeint, ihr künftiger Gatte brauche nicht erst hinauszuziehen in tausend Gefahren, um sich eine Lebensstellung zu erringen, aber sein beinahe zorniges Erstaunen zeigte ihr, daß sie es nicht wagen dürfte, diesen Punkt wieder zu berühren.

„Ich soll mir auf dieser Reise ja erst die Sporen verdienen,“ begann er von neuem. „Aber Sie haben es vorhin von Sonneck gehört, es kann Jahre dauern, ehe wir zurückkehren, und bis dahin ist der Abwesende wohl längst vergessen.“

„Nein!“ sagte Zenaide leise.

„Wirklich nicht?“

„Nein, Reinhart, ich vergesse Sie nie!“

Die dunklen feuchtschimmernden Augen blickten mit der vollsten Hingebung der Liebe zu ihm auf. Vom Nil her klangen halb verweht die letzten Töne des Gesanges, dann erstarben sie in der Ferne.

Reinhart hatte den Arm um die zarte, bebende Gestalt gelegt, sie ließ es geschehen und ihr Haupt sank an seine Schulter, während er leidenschaftlich flüsterte: „Nun, so laß es mich denn aussprechen und Dir sagen –“

„Zenaide! – Ehrwald!“ tönte plötzlich eine zornige Stimme. Die beiden fuhren auf, wenig Schritte von ihnen entfernt stand Herr von Osmar, der soeben aus dem Gebüsch hervorgetreten war, und sah mit sprühenden Augen auf die Gruppe.

Reinhart faßte sich zuerst, er hatte Zenaide aus dem Arm gelassen und trat rasch auf Osmar zu.

„Herr Konsul, gestatten Sie mir, Ihnen zu erklären –“

„Es bedarf keiner Erklärung, ich sah genug!“ herrschte ihm der erzürnte Vater entgegen. „Sie haben vergessen, in wessen Hause Sie sind – entfernen Sie sich sofort!“

Dem jungen Manne stieg das Blut heiß in die Schläfe bei diesem Tone, aber er richtete sich hoch und fest auf.

„Sie sind im Irrtum, Herr Konsul. Ich weiß sehr gut, wo ich mich befinde, aber ich hatte eine Frage an Fräulein von Osmar zu richten, eine Frage, die ich schon in der nächsten Stunde bei Ihnen wiederholt haben würde. Sie begreifen es wohl, daß ich zuerst Zenaidens Antwort hören mußte.“

Osmar glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen: das war ja eine Werbung in aller Form, so hätte Lord Marwood sprechen dürfen, wenn der Vater ihn zufällig bei seinem Antrage überrascht hätte! Was erlaubte sich denn dieser junge Mensch eigentlich? Aber es galt, sich zu beherrschen, zum Glück war niemand in der Nähe, doch in der Abendstille hörte man deutlich das Lachen und Jauchzen der kleinen Elsa, die nun ihren Spielgefährten glücklich aufgefunden hatte und sich mit ihm umherjagte. Ein lautes, erregtes Gespräch konnte wohl auch im Hause gehört werden, der Konsul dämpfte die Stimme, aber sie klang trotzdem in äußerster Gereiztheit, als er sagte: „Ich ersuche Sie ein für allemal, mich mit solchen Fragen zu verschonen! Zenaide, Du kehrst augenblicklich in das Haus zurück, überlaß mir die Auseinandersetzung mit diesem Herrn da.“

Es war das erste Mal, daß Osmar seiner Tochter gegenüber einen Befehl aussprach, aber er irrte sehr, wenn er auf Gehorsam rechnete. Zenaide hatte ihre anfängliche Bestürzung bereits überwunden und stellte sich nun entschlossen an die Seite des Geliebten, während sie halb angstvoll, halb bittend rief: „Papa, Du beleidigst Herrn Ehrwald! Ich habe ihm das Recht zu einer solchen Frage gegeben und ich werde ihm auch die Antwort geben, die –“

„Du hast noch nicht über Dich zu verfügen,“ schnitt ihr Osmar das Wort ab. „Die Entscheidung steht mir zu und ich denke, Du bist nicht im Zweifel darüber, wie sie lautet. Herr Ehrwald, ich ersuche Sie noch einmal, sich zu entfernen und mein Haus nicht wieder zu betreten.“

Zenaide blickte mit dem Ausdruck flehender Angst zu Reinhart empor. Sie sah es nur zu gut, wie sein ganzes Innere sich aufbäumte bei dieser Behandlung, wie er nur mit dem Aufgebot der äußersten Willenskraft seine Selbstbeherrschung behauptete. Ohne dem Konsul zu antworten, wandte er sich zu ihr.

„Zenaide, Sie werden es begreifen, daß ich dieser Aufforderung unverzüglich nachkomme. Die Art, wie Herr von Osmar die Sache auffaßt, macht jede weitere Auseinandersetzung unmöglich.“

Er wandte sich zum Gehen, aber das junge Mädchen legte beide Hände auf seinen Arm und rief mit verzweiflungsvoller Energie: „Bleiben Sie, Reinhart, mein Vater wird diese Worte, diese Beleidigung zurücknehmen, wenn ich ihm sage, daß ich Sie liebe, daß ich nur Ihnen angehören will und keinem anderen! Du hast es gehört, Papa, ich liebe Reinhart, und wenn er mich zum Weibe fordert, so folge ich ihm, wohin er mich auch führt.“

Sie sprach zu ihrem Vater, aber ihre Augen hingen dabei an dem Geliebten, doch jenes beseeligte Aufflammen, das sie nach dieser Erklärung erwartete, das hätte kommen müssen, hier blieb es aus! Der beleidigte Stolz überwog bei dem jungen Manne, er zog ihre Hand an die Lippen, aber er sprach nicht, sondern blickte stumm und finster zu dem Konsul hinüber, der im ersten Augenblick ganz fassungslos war. Er sah erst jetzt den ganzen Ernst der Sache, die er sorglos genug hatte wachsen lassen, weil er sie nicht für bedrohlich hielt. Jetzt blieb freilich nur noch der Gewaltschritt übrig, den er hatte vermeiden wollen, und er zögerte nicht, ihn zu thun.

Scheinbar ruhig trat er zu seiner Tochter, löste ihre Hände und zog ihren Arm in den seinigen, aber seine Stimme hatte eine eisige schneidende Schärfe, als er sagte: „Mein Kind, Du bist noch sehr jung und unerfahren, es ist nicht schwer gewesen, Dich zu bethören. Zum Glück bin ich noch da und werde Dich davor bewahren, die Beute des ersten besten – Glücksritters zu werden, der mit Deiner Hand Reichtum und Lebensstellung zu erringen versucht!“

Die Worte erreichten nur zu gut ihren Zweck. Ehrwald zuckte zusammen, als habe ihn ein Schlag getroffen, die Glut des Zornes in seinem Antlitz wich einer Totenblässe und mit einem halb erstickten Aufschrei machte er eine Bewegung, als wollte er sich auf den Beleidiger stürzen. Erst Zenaidens Ruf „Reinhart, um Gottes willen!“ brachte ihn wieder zur Besinnung. Er trat zurück, aber es lag ein erschreckender Ausdruck in seinem Gesichte, und als er endlich sprach, hörte man es seiner Stimme an, was die wenigen Worte ihn kosteten:

„Mein gnädiges Fräulein, vergessen Sie, was ich vorhin gesprochen habe, wie ich Ihre Antwort vergessen werde. Ich habe keine Frage und keine Bitte mehr an Sie zu richten – leben Sie wohl!“

Er ging, Zenaide wollte ihm nacheilen, aber der Vater hielt ihren Arm fest und gab sie nicht frei.

„Was hast Du gethan!“ rief sie außer sich.

„Was notwendig war!“ entgegnete Osmar kalt. „Wie notwendig, das sehe ich erst in diesem Augenblicke. Fasse Dich, Zenaide, Kind! Ich habe Dir jetzt einen Jugendtraum zerstören müssen, Du wirst es mir einst noch danken, daß ich es Dir verwehrte, Dich ins Unglück zu stürzen.“

„Danken?“ brach das junge Mädchen verzweiflungsvoll aus. „Das Glück meines Lebens hast Du mir genommen, ich finde es nur bei ihm! Du hast Reinhart bis auf den Tod beleidigt, das vergiebt er Dir nie, aber ich – ich gebe mein Vaterhaus, meinen Reichtum, gebe alles, alles hin, um seinetwillen – wenn er es fordert!“

Der Konsul stand erschreckt und bestürzt vor diesem Ausbruch einer glühenden, wilden Leidenschaftlichkeit, die plötzlich wie mit elementarer Gewalt aus dem Inneren des sonst so sanften, zarten Wesens hervorblitzte. Er kannte seine Tochter gar nicht wieder.

„Zenaide, bist Du von Sinnen?“ rief er, mehr angstvoll als zornig. Sie antwortete nicht, aber sie riß sich los, und auf den Ruhesitz niedersinkend, brach sie in ein lautes, krampfhaftes Weinen aus.

Reinhart schritt inzwischen in stürmischer Eile durch den Garten. Er wollte nur fort von dieser Stätte und ihr auf immer den Rücken kehren. In diesem Augenblick haßte er den Konsul bis aufs Blut und hatte nicht einmal Empfindung für die mutige Hingebung, mit der Zenaide ihre Liebe verteidigt hatte – das ging alles unter in dem erlittenen Schimpf! Mit fest zusammengebissenen Zähnen und einem Gesicht, das den ganzen Aufruhr seines Inneren verriet, eilte er vorwärts, als brenne ihm der Boden unter den Füßen.

Da wurde plötzlich ein Gebüsch ihm zur Seite auseinandergebogen und das Köpfchen der kleinen Elsa lugte hervor. Sie spielte Verstecken mit Hassan; als sie aber den jungen Mann gewahrte, vergaß sie das Spiel, lief auf ihn zu und fragte: „Gehst Du nun doch fort?“

Reinhart blieb stehen, die Kinderstimme schien eine eigentümliche Wirkung auf ihn zu üben. Er strich langsam mit der Hand über die Stirn, aber in seiner Stimme klang die herbste Bitterkeit, als er antwortete: „Ja, ich gehe – und ich komme nie wieder!“

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