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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Schützling sein Haus verbot. Ueberdies wünschte er jeden gewaltsamen Schritt zu vermeiden, denn das hätte der Sache eine Wichtigkeit gegeben, die sie nicht haben sollte und durfte, es war am besten, sie einfach totzuschweigen. Der Konsul zweifelte nicht daran, daß seine Tochter sich schließlich doch seinen Wünschen fügen werde; und der Roman nahm von selbst ein Ende, sobald der Held desselben vom Schauplatz verschwand. Zum Glück war der junge Mann taktvoll oder empfindlich genug, den wortlosen Wink zu verstehen, den man ihm gab, und blieb möglichst fern.

Lord Marwood, der sich nun schon mehrere Wochen als Gast in Luksor befand, war freilich mit seiner Bewerbung noch keinen Schritt vorwärts gekommen. Die Hoffnungen, welche er auf das tägliche ungestörte Beisammensein gesetzt hatte, verwirklichten sich nicht. Wenn Zenaide in Kairo ihm gegenüber gleichgültig gewesen war, so zeigte sie jetzt eine entschieden ablehnende Haltung, so daß der junge Lord noch gar nicht versucht hatte, mit einem Antrage hervorzutreten, dessen Mißerfolg er voraussah. Trotzdem dachte er nicht daran, seine Werbung aufzugeben. Francis gehörte zu jenen zähen beharrlichen Naturen, die das, was sie sich einmal in den Kopf gesetzt haben, um jeden Preis durchführen, sei es auch aus bloßem Eigensinn. Er wußte, welchen mächtigen Rückhalt er an dem Vater hatte, und baute darauf. Mit Ehrwald, den er bei dessen seltenen Besuchen doch immerhin sehen mußte, hatte er sich auf den Fuß eisiger Ablehnung gestellt, die kaum durch die äußeren Formen der Höflichkeit verschleiert wurde, und das war in der That die einzig mögliche Art des Verkehrs zwischen ihnen.

Der Landsitz des Generalkonsuls entsprach ebenso wie sein Haus in Kairo seinem Reichtum, aber hier am Nil herrschte das orientalische Element entschieden vor. Es war ein Sommerpalast, wie ihn die vornehmen Aegypter zu bewohnen pflegen, ein weißes, schimmerndes Gebäude mit luftigen Hallen und Terrassen, von einem förmlichen Walde der schönsten Palmen umgeben. Wie ein Märchenschloß lag es da am hohen Uferrande des Nils und blickte weit hinaus in das Land.

Die große Halle, die den ganzen mittleren Raum des Hauses einnahm, trug gleichfalls ein echt morgenländisches Gepräge. Die Diwans an den Wänden waren mit reichen Teppichen bedeckt, Schaukelstühle, kleine Tische und Sessel aus zierlichem Bambusgeflecht standen überall zerstreut, und in der Mitte sandte eine Fontäne ihren hellen kühlen Strahl empor, von Palmenfächern und blühenden tropischen Gewächsen umgeben. Hier stand auch der Christbaum, eine hohe Tanne, die vom Südabhange der deutschen Alpen stammte, man hatte sie mit der Wurzel ausgehoben und keine Mühe gespart, um sie frisch zu erhalten. Sie hatte die weite Reise über das Meer und den Nil aufwärts gemacht, jetzt stand sie hier im fernen Wüstenlande und breitete ihre dunkelgrünen, harzduftenden Zweige aus, die nach deutscher Sitte mit Lichtern geschmückt waren.

Die kleine Gesellschaft war soeben vom Tische aufgestanden und hatte sich in der Halle niedergelassen; man befand sich im lebhaften Gespräch, nur Zenaide nahm fast gar keinen Anteil daran. Sie lehnte schweigsam und träumerisch in einem Schaukelstuhl, der etwas abseits stand, die kleine Elsa dagegen lief mit lautem Jubel um den Christbaum und staunte die strahlenden Lichter an. Man hatte sie bereits angezündet, obwohl es draußen noch Tag war, aber in dem hohen halbdunklen Raume leuchteten sie schon mit vollem Glanze.

„Sieh Dir den Christbaum an, Reinhart!“ sagte Sonneck halb scherzend. „Wer weiß, wann Du wieder einen zu sehen bekommst. Wir kehren ja jetzt der ganzen europäischen Civilisation auf Jahre hinaus den Rücken.“

„Denken Sie so lange fortzubleiben?“ fragte Lord Marwood in seiner gewohnten kühlen Art.

„Ich habe vorläufig zwei Jahre für unsere Expedition in Aussicht genommen, das heißt, wenn wir ohne Hindernisse und Zwischenfälle unser Ziel erreichen und den Rückzug ebenso bewerkstelligen können. Darauf ist aber nicht zu rechnen bei einem solchen Unternehmen. Wir werden mit den elementaren Gewalten ebenso zu kämpfen haben wie mit der Feindseligkeit der Eingeborenen und der Unzuverlässigkeit unserer eigenen Leute. Ein Weg, den man offen glaubt, verschließt sich oft durch irgend ein zufälliges Ereignis. Wo man vorwärts zu kommen hoffte, wird man tage- und wochenlang aufgehalten, und der Durchzug durch manche Gebiete muß erst erobert werden. Das alles ist unberechenbar, und es kann leicht noch ein Jahr länger dauern, bevor wir zurückkehren.“

Der junge Lord schien diese Auskunft ungemein befriedigend zu finden, mit beinahe heiterer Miene trat er zu der jungen Dame und versuchte eine Unterhaltung anzuknüpfen. Der Konsul aber sagte kopfschüttelnd: „Ein aufreibendes Leben, voll ewiger Kämpfe und Gefahren! Mich soll nur wundern, wie lange Sie es noch aushalten, Sonneck! Ich wäre nicht geschaffen dafür.“

„Man gewöhnt sich eben daran wie an alles, und der wilde Bursche da“ – Sonneck wies auf seinen jungen Gefährten – „der freut sich ja maßlos darauf. Er weiß sich gar nicht zu fassen vor Jubel darüber, daß es nun endlich fortgeht und er die Ferne mit ihren Wundern wie mit ihren Gefahren kennenlernen soll. Nun, sie wird ihm beides nicht schuldig bleiben.“

„Das hoffe ich!“ rief Reinhart aufflammend. „Ich habe es mir auch verdient durch das lange, endlose Warten. Jetzt geht es hinaus – Gott sei Dank!“

Die stürmische Freude, die in den Worten lag, entlockte sogar Herrn von Osmar ein flüchtiges Lächeln. Der junge Mann da mochte ja vielleicht einmal kecke Wünsche und Hoffnungen gehegt haben, aber er hatte wohl längst eingesehen, daß sie sich nicht verwirklichen ließen. Jetzt stand die alte Abenteurerlust wieder bei ihm im Vordergrunde, und die gönnte er ihm von Herzen.

„Ja, so ist die Jugend!“ sagte Professor Leutold ärgerlich. „An den ernsten wissenschaftlichen Zweck denkt sie gar nicht, sie hat nur die Abenteuer der Reise im Kopfe, und je toller es dabei zugeht, um so besser ist es.“

Lord Marwood hatte sich inzwischen Mühe gegeben, die Aufmerksamkeit der jungen Dame zu wecken, aber umsonst. Sie antwortete einsilbig und zerstreut und schien kaum zu hören, was er sagte. Sie war überhaupt heute abend auffallend bleich und still, und ihr Auge verlor sich immer wieder träumend in die Ferne, als sei sie mit ihren Gedanken ganz wo anders.

Da trat Reinhart Ehrwald heran und wandte sich mit einer ganz gleichgültigen Frage an sie. Zenaide schreckte leicht zusammen bei dem Klang seiner Stimme, aber ihr blasses Antlitz gewann einen rosigen Schein, der Blick belebte sich, fort waren Zerstreutheit und Träumerei und auf ihren Lippen erschien jenes Lächeln, das sie so reizend machte. Francis zog finster die Stirn zusammen, er kannte ja diese Zeichen, die er nicht zum erstenmal beobachtete, aber sie erfüllten ihn immer wieder von neuem mit eifersüchtiger Wut.

Eben ging drüben hinter den Palmen des jenseitigen Nilufers die Sonne unter und nun entfaltete sich jenes sinnberückende Farbenspiel, das hier stets den Sonnenuntergang zu begleiten pflegt. Himmel und Erde erglühten in feuriger Pracht, das leuchtete, flammte und blitzte überall und spiegelte sich wieder in den Fluten des Stromes. Es war ein Bild, wie mit Glutfarben gemalt, von fremdartiger, blendender Schönheit.

„Ein seltsames Weihnachtsfest!“ sagte Reinhart, der wie verloren schien in den Anblick. „Im vergangenen Jahre hätte ich es mir nicht träumen lassen, daß ich es hier am Nil verleben würde.“

„Und doch finden Sie auch hier einen Gruß aus der Heimat!“ warf Zenaide lächelnd hin. „Unsere Tanne stammt aus den deutschen Alpen.“

Ehrwald wandte sich um und blickte auf den strahlenden Christbaum.

„Die arme Tanne! Sie steht so fremd hier im heißen Afrika, unter Palmen und Tropenblüten. Es ist, als sehne sie sich nach Eis und Schnee.“

„Ja, das können wir ihr hier freilich nicht schaffen,“ scherzte die junge Dame. „Ich glaube beinahe, Sie sehnen sich auch danach, und wir feiern doch hier ein viel schöneres Weihnachtsfest als droben im kalten Norden, wo es stürmt und schneit. Mich friert schon bei dem bloßen Gedanken daran.“

„Weil Sie es nicht kennen! Das ist ja kein Weihnachten, was Sie hier feiern, unter diesem flammenden Himmel, das ist ein Fest wie jedes andere, eins von den Märchen aus ‚Tausend und eine Nacht‘. In unseren Bergen, da kommt das Christfest mit klingendem Frost, mit sternfunkelndem Himmel und leuchtendem Mondesglanz. Blendender Schnee ringsum, auf den Höhen, in den Thälern, auf den dunklen Tannen, die ganze Welt erstarrt in eisiger Pracht wie ein funkelndes Zauberreich. Aber um Mitternacht, da löst sich der Bann, da ziehen die Glockenklänge über Berg und Thal, das fernste Kirchlein, das kleinste Kapellchen

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