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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Er betonte das „wir“ mit einem gewissen Selbstbewußtsein, aber das trug ihm nur ein Achselzucken von seiten des Fräulein Mallner ein, die in ihrer derben Weise sagte: „Jawohl, Herr Ellrich, Sie waren natürlich auch drüben. Sie sind ja so lange um die Herren herumscherwenzelt, bis Sie mitgenommen wurden.“

Herr Ellrich schien den Ausdruck „herumscherwenzeln“ übelzunehmen, er erwiderte in etwas empfindlichem Tone: „Ich glaube nicht, daß es Vorwurf verdient, wenn man große Männer bewundert und die Gelegenheit benutzt, sich ihnen anzuschließen. Dieser berühmte Sonneck, der seine verwegenen Züge in das Herz von Afrika so gemütsruhig unternimmt, wie wir eine Landpartie machen, dieser gelehrte Professor, der mit den jahrtausendalten Mumien sozusagen auf du und du steht –“

„Und dieser naseweise Ehrwald,“ fiel Ulrike ein, „der weder berühmt noch gelehrt ist und doch immer thut, als ob ihm die ganze Welt gehöre! Herrn Sonneck lasse ich gelten, allenfalls auch noch den Professor, obgleich er eine wahre Manie hat, in dem alten Heidengerümpel herumzustöbern.“

„Heidengerümpel?“ wiederholte Ellrich entsetzt. „Aber mein Fräulein, das sind Funde von unermeßlicher Wichtigkeit, Denkmäler einer mächtigen Vergangenheit, Zeugen einer untergegangenen Kulturepoche –“

„Jawohl, so steht es im Reisehandbuch, und da haben Sie es wahrscheinlich auswendig gelernt,“ fiel ihm Fräulein Mallner ins Wort. „Ich weiß auch Bescheid damit, wir haben uns in Kairo im Museum die ganze Herrlichkeit angesehen und nur heidnisches Gerümpel gefunden. Und was nun vollends die alten Mumien betrifft, so ist es geradezu eine Sünde, sie aus dem Wüstensande, wo sie schon ein paar tausend Jahre liegen, wieder herauszuwühlen.“

„Bitte, sie lagen in den Felsengräbern, drüben in Theben,“ schaltete der angehende Forscher mit großer Sachkenntnis ein.

„Meinetwegen! Ich krieche nicht hinein, und ich würde es mir überhaupt verbitten, wenn man mich nach meinem Tode wieder ausgraben und öffentlich ausstellen wollte, dergleichen Unverschämtheiten ließe ich mir ein für allemal nicht gefallen. Gott sei dank, bei uns in Martinsfelde kann dergleichen nicht passieren, da wird man wenigstens anständig begraben.“

„Guten Tag, meine Damen!“ klang es plötzlich in deutscher Sprache, aber der Gruß hatte eine eigentümliche Wirkung auf die beiden Damen. Die ältere richtete sich kerzengerade auf und starrte den Fremden an, der eben in die offene Thür des Speisesaales getreten war, als sähe sie ein Gespenst. Die jüngere dagegen wurde dunkelrot, der Hut, mit dem sie noch beschäftigt war, entglitt ihren Händen und fiel zu Boden – glücklicherweise, denn während sie sich bückte, um ihn aufzuheben, konnte sie ihre vollständige Fassungslosigkeit einigermaßen verbergen. Der neue Ankömmling schien aber doch etwas davon bemerkt zu haben, denn seine Augen leuchteten auf, als er rasch näher trat.

„Also glücklich angekommen, meine Damen? Das freut mich. Wie befinden Sie sich, gnädige Frau? Ich habe die Ehre, Fräulein Mallner, wir sind ja alte Bekannte.“

Er machte Miene, der „alten Bekannten“ freundschaftlich die Hand zu schütteln, aber sie wich mit einer sehr entschiedenen Bewegung aus und rief mit einer Entrüstung, die sie sich keine Mühe gab, zu verbergen: „Herr Doktor Bertram – sind Sie schon wieder da?“

Der Empfang war nicht gerade ermutigend, aber Doktor Bertram lächelte so verbindlich, als habe man ihn mit offenen Armen aufgenommen.

„Ja, ich bin wieder da. Ich bin gestern abend angekommen, es ist doch merkwürdig, daß wir immer wieder zusammentreffen, wirklich sehr merkwürdig!“

Er hätte diese Merkwürdigkeit damit erklären können, daß auf dem Dampfer, den die beiden Damen benutzten, kein einziger Platz mehr verfügbar gewesen war, daß er deshalb zu seinem großen Mißvergnügen auf das nächste Schiff hatte warten müssen, mit dem er nun schleunigst nachgefahren war, aber er verschwieg das weislich und wandte sich grüßend an Herrn Ellrich, der neben der jungen Frau saß.

„Ein Landsmann, wie ich vermute? Ich hörte, daß Sie deutsch sprachen, als ich heraustrat. Erlauben Sie, daß ich mich vorstelle – Doktor Bertram.“

„Mein Name ist Ellrich,“ versetzte dieser, indem er sich artig erhob, aber da hatte der Doktor schon einen leeren Stuhl an der Hand, schob ihn dem Höflichen zu und ergriff die Lehne des neben Selma freigewordenen, während er sagte:

„Bitte, bemühen Sie sich nicht. Sie wollen mir Ihren Platz abtreten? Das ist wirklich zu liebenswürdig –“ Damit saß er schon neben Selma und machte ein außerordentlich vergnügtes Gesicht.

Herr Ellrich sah etwas betroffen aus, als er sich auf den neuen Sitz niederließ. Inzwischen blickte Fräulein Mallner den Eindringling wütend von der Seite an und bemerkte in grollendem Tone: „Ich denke, Sie sind längst wieder auf Ihrem Schiffe. Das ist ja eine merkwürdige Stellung, die Ihnen erlaubt, wochenlang in Aegypten herumzureisen, während der ‚Neptun‘ regelmäßig seine Fahrten macht.“

Bertram seufzte und nahm eine melancholische Miene an.

„Ich habe leider Urlaub nehmen müssen, ganz gegen meinen Willen. Ich bin nämlich leidend.“

Selma hob erschrocken die gesenkten Augen empor; glücklicherweise war das Aussehen des Herrn Doktors so durchaus beruhigend, daß Ellrich verwundert äußerte: „Sie sehen ja aber aus wie die Gesundheit selbst.“

„Ja, es ist ein Herzleiden,“ erklärte der junge Arzt. „Das kann man dem Patienten nie ansehen, aber es ist sehr gefährlich, besonders wenn es so hochgradig auftritt wie bei mir. Doch Sie haben mir noch gar nicht auf die Frage nach Ihrem Befinden geantwortet, gnädige Frau. Erlauben Sie, daß ich von meinem ärztlichen Vorrechte Gebrauch mache,“ und damit ergriff er die Hand der jungen Frau und begann die Pulsschläge zu zählen.

„Doktor Walter ist unser Arzt!“ fuhr Ulrike mit voller Schärfe dazwischen, aber Bertram ließ sich in seiner ärztlichen Beobachtung durchaus nicht stören.

„Ich weiß, mein Fräulein, aber Kollege Walter hat mir seine Patientin ausdrücklich empfohlen, als er hörte, daß ich nach Luksor ginge. Ich habe versprochen, ihm genauen Bericht zu erstatten. Nicht wahr, Sie haben Vertrauen zu mir, gnädige Frau?“

Er zählte noch immer gewissenhaft die Pulsschläge und fand es dabei für nötig, seiner jungen Patientin angelegentlich in die Augen zu sehen. Selmas Gesicht war wieder wie in Glut getaucht, aber sie ließ sich dies Anschauen ganz ruhig gefallen und machte auch keinen Versuch, ihre Hand zurückzuziehen. Das trug ihr allerdings einen niederschmetternden Blick der Schwägerin ein, die höhnisch die Achseln zuckte.

„Vertrauen? Sie können ja nicht einmal Ihr eigenes Herzleiden kurieren und wollen anderen helfen? Aber so sind die Aerzte! Sie wissen und verstehen natürlich alles und werfen immer mit großen Worten um sich, aber gesund machen können sie niemand!“

Es half ihr aber nichts, daß sie ihre Zuflucht zur äußersten Grobheit nahm, der geschmähte Arzt nickte ihr freundlich zu und sagte im gemütlichsten Tone:

„Ja, so sind wir nun einmal! Aber die Menschheit braucht uns leider und muß uns hinnehmen, in unserer ganzen Erbärmlichkeit. Sie sind ein Original, Fräulein Mallner, und ich freue mich täglich mehr, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben! Es ist wirklich herzerfrischend, in unserer Zeit der Redensarten und der Heuchelei noch eine solche Offenheit und Aufrichtigkeit zu finden. Sind Sie nicht auch der Meinung, Herr Ellrich?“

Herrn Ellrich wurde es etwas unheimlich bei dem Gespräch, er begriff natürlich nicht den Zusammenhang, aber er sah es doch, daß die Stimmung seiner verehrten Landsmännin eine gewisse Aehnlichkeit mit einem Pulverfaß hatte, das eben explodieren will. Er suchte deshalb möglichst abzulenken und entgegnete: „Fräulein Mallner und ich sind nur leider ganz verschiedener Meinung über Aegypten. Ich bewundere die mächtige Vergangenheit des Pharaonenlandes, die großartige Einförmigkeit seiner Landschaften –“

„Großartig langweilig sind sie, weiter nichts!“ schnitt ihm Ulrike das Wort ab, die sich auf diesen neuen Gegenstand des Gespräches förmlich stürzte, um ihre mühsam zurückgehaltene Wut daran auszulassen. „Rechts die arabische und links die lybische Wüste, wo gar nichts wächst, und in der Mitte dieser Nil, von dem sie so viel Wesens machen und der ebenso langweilig ist. Sandbänke hat er, wir sind auf der Herfahrt zweimal sitzen geblieben, aber Brücken und sonstige Kultureinrichtungen hat er nicht. Mit der Kultur ist es hier überhaupt jämmerlich bestellt. Und nun sitzen wir hier, eines Hustens wegen, der gar nicht mehr da ist. Selma ist ganz gesund, und wenn Doktor Walter vernünftig gewesen wäre, hätte er uns längst nach Hause reisen lassen. Aber als ich auf der

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