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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Nr. 7.   1896.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Fata Morgana.

Roman von E. Werner.

     (6. Fortsetzung.)

Heiße Sonnenglut lag über den gelbschimmernden Wogen des Nils, die Felder des Fruchtlandes drüben am jenseitigen Ufer leuchteten in hellem Grün und die kahlen, gelbgrauen Höhenzüge der lybischen Gebirge, die hier nahe an den Fluß traten, hoben sich in scharfen Linien ab von dem tiefblauen Himmel.

Auf der Terrasse des großen neuerbauten Hotels in Luksor saß eine kleine Gesellschaft, Fräulein Ulrike Mallner mit ihrer Schwägerin und einem Herrn im hellen Touristenanzuge. Sie sprachen deutsch, das heißt Ulrike sprach und die andern beiden hörten pflichtschuldigst zu; nur der Herr erlaubte sich bisweilen eine kurze Antwort oder eine Bemerkung, während Selma sich ganz schweigsam verhielt.

Sie war eben damit beschäftigt, auf ihrem Hut einen blauen Schleier zu befestigen, zum Schutz gegen das grelle Sonnenlicht, und man brauchte sie nur anzusehen, um dem Doktor Walter recht zu geben, wenn er von einem überraschenden Erfolge sprach. Das schmale blasse Gesichtchen war voller und rosig geworden, der müde Ausdruck der Augen hatte sich verloren, ebenso wie die matte gebeugte Haltung. Die junge Frau blühte sichtlich auf in diesem Klima, das für sie die beste Arznei war. Nur ihre Schüchternheit schien sich nicht gemindert zu haben, trotz des Reiselebens und all seiner wechselnden Eindrücke. War doch auch die gestrenge Schwägerin immer an ihrer Seite und zog einen förmlichen Bannkreis um sie, den nur wenige Auserwählte überschreiten durften. Der Herr, der den beiden Damen Gesellschaft leistete, gehörte offenbar zu diesen Auserwählten und er verdankte diesen Vorzug in erster Linie dem dringenden Bedürfnis des Fräulein Mallner, deutsch zu sprechen. Zu ihrer großen Entrüstung befanden sich auch hier im Hotel vorwiegend Engländer und Amerikaner, da wurde die sehr bescheidene Annäherung des Landsmannes, der sich ebenso vereinsamt fühlte, in Gnaden angenommen.

Es war ein Mann von einigen vierzig Jahren, eine kleine, ziemlich unbedeutende Erscheinung mit einem freundlichen, gutmütigen Gesichte und einem ungemein höflichen Wesen. Trotz der erst achttägigen Bekanntschaft stand er aber bereits vollständig unter dem Scepter seiner energischen Landsmännin, die ihn regelrecht kommandierte, ihm ihrer Gewohnheit nach die rücksichtslosesten Dinge ins Gesicht sagte und ihn bei Spaziergängen und sonstigen Gelegenheiten ohne weiteres ins Schlepptau nahm. Sie hatte eben einen längeren Vortrag gehalten und machte jetzt notgedrungen eine Pause, die er benutzte, um auch einmal zu Wort zu kommen.

„Unsere berühmten Landsleute gönnen sich heute einen Ruhetag,“ hob er an. „Die gestrigen Forschungen waren freilich sehr anstrengend, wir waren bis zum späten Abend in Theben.“

Photographie im Verlage der Photographischen Union in München.
Als Urgroßmütterchen.
Nach einem Gemälde von G. Zaak.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0101.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2023)