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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

tief beleidigt, so rasch gingen sie aneinander vorbei, so flüchtig, fast unfreundlich kam der Morgen- und Abendgruß von ihren Lippen. Mit dem jungen Mann aber ging’s Tag und Nacht um: was bist du – was hast du – nichts – nichts! Wenn er nun doch in die Fremde ginge und sein Glück versuchte – aber wie lang’, wie lang’ würde es dauern, bis er als gemachter Mann zurückkehrte! – Er wurde zerstreut, gab gereizte Antworten und ließ den Kopf hängen.

„Was hat der Kerl?“ wandte sich Herr Schneider an Gustl, „habt Ihr Euch gezankt?“

Sie machte sich in ihrem Nähkorb zu schaffen. „Nein.“

„Aber es ist doch etwas mit ihm; steckt vielleicht die alte Feldern wieder dahinter – weißt Du nicht?“

„Nein.“

„Na, dann soll er mir Red’ stehen – verdrießliche Gesichter halt’ ich nicht aus –“

Gustl sah bald darauf von ihrem Fensterplatz aus die Beiden im Hof auf und ab gehen. Herr Schneider zappelte und schrie: „Was ist denn, was hast Du denn? Zum Teufel, Du bist ja unausstehlich –“ gab dem jungen Mann alle Augenblicke einen Rippenstoß oder schlug ihn auf die Schulter.

Gustl konnte nur ihren Vater verstehen, Eduard sprach leise, so unten vor wie einer, der nicht recht mit der Rede heraus will. Mit einem Male rannte Herr Schneider, als ob es brenne, über den Hof, direkt auf Gustls Fenster zu, in das er fast kopfüber hinein stürzte. „Du, Gustl, er will fort, der Teufelsbraten will fort und sagt nicht warum!“

Das junge Mädchen erschrak, wurde blutrot und brach in Thränen aus.

„Jetzt quälst Du mich auch noch!“ jammerte Herr Schneider. Mit einem Male schlug er sich auf die Knie. „Ihr Herrgottsakramenter – so steht’s!“

Gustl lief aus dem Eßstübchen fort und Herr Schneider ging, beide Hände in den Taschen, auf Eduard zu, der wie ein armer Sünder dastand.

„Ja, ja, kaum aus den Kinderschuhen, verliebt sich das Volk; noch nicht trocken hinter den Ohren, denkt man schon ans Heiraten. Lieber Eduard, ich kenn’ Dich, ich weiß, was ich von Dir zu erwarten hab’ – so weit wär’s schon recht – aber nun hat’s einen Haken: in mein Haus kommt kein „von“; ich bin ein freisinniger Mann, bei mir soll’s gut bürgerlich zugehen bis in meine fernsten Generationen. Und darum ist’s aus – der Eduard Feldern wär mir recht – den Eduard von Feldern kann ich nicht brauchen!“

„Aber, Herr Schneider –“ der junge Mann brachte vor Erregung fast nichts heraus, „mir liegt ja nicht das geringste an diesem ,von‘ – ich hab’ genug darunter gelitten – ich werde ihm doch nicht auch noch mein Lebensglück opfern – ich will nichts als ein bürgerlicher Kaufmann sein – wie Sie, Herr Schneider.“

Der nahm ihn unter den Arm und zog ihn auf die Bank unter der Linde. „Das ist ein stolzer Tag für mich, Eduard, ein stolzer Tag – das hätt’ ich mir nicht träumen lassen, daß ich’s dahin bring’, dem Adel einen braven Mann wegzukapern und einen guten Bürgerlichen daraus zu machen; ja, Eduard Feldern, jetzt gehörst Du zu uns! Heut’ abend, Junge, wird eine Flasche Champagner auf die Feldernsche Nachkommenschaft getrunken.“

„Aber die Gustl,“ wagte Eduard zu erinnern.

„Mit der redest Du nachher, die wird uns gewiß den Spaß nicht verderben.“

Als Eduard zugleich mit dem jungen Mädchen ins Eßstübchen trat, war er wie berauscht von der unerwarteten Wendung der Dinge. Herr Schneider ersparte ihm jede weitere Auseinandersetzung, indem er zur Thür hineinrief: „Du, Gustl, mach’ nur nicht lang’, er hat uns sein ‚von‘ geopfert – er hängt den ‚von-Herrn‘ an den Nagel – dafür laß ich ihm aber auch jetzt für den Abend ein Kalb schlachten!“ Er sah die Beiden an, die Thränen stürzten ihm aus den Augen, und er schlug schnell die Thür zu.

Gustl war blaß; sie warf einen kurzen Blick auf den sie erwartungsvoll und flehend ansehenden Eduard und schüttelte den Kopf. „So geht das nicht,“ sprach sie mit zitternder Stimme, „das darfst Du Deiner Mutter nicht anthun – sie muß erst damit einverstanden sein!“

„Das wird sie nie,“ sagte Eduard. Er hatte sich gefaßt.

„Gustl, ich werde es niemals Deinem Vater und meiner Mutter zugleich recht machen können, das liegt außer aller Möglichkeit; ich will gleich hingehen und ihr meinen Entschluß mitteilen, aber ich weiß ihre Antwort im voraus: sie wird nie nachgeben, bis dieser Name uns alle zu Grunde gerichtet hat.“

Er wollte gehen, Gustl eilte ihm nach. „Sei so gut gegen sie, als Du kannst – was Du dann auch für eine Nachricht bringst –“

Es wurde nicht ausgesprochen, sie lagen sich plötzlich in den Armen, und ihre Lippen fanden sich für einen kurzen Augenblick ...

Frau von Feldern hatte nicht nachgegeben, sondern ihrem ältesten Sohn erklärt, er möge heiraten, wen er wolle, sie, die Mutter, aber völlig aus dem Spiele lassen, denn eine Familie Feldern ohne Adel gehe sie nichts an.

Kurze Zeit darauf ging aus dem Schneiderschen Hause ein blutjunges Paar zur Kirche; unter der Linde fand das Hochzeitsmahl statt, und sie breitete segnend ihre frisch belaubten Zweige über dem heiteren Treiben aus.

Eines Tages – die junge Frau deckte den Tisch und der Herr Gemahl ließ dabei das Necken nicht bleiben, so daß die Sache nicht recht vorwärts ging – fuhr plötzlich der Herr Schneider in das junge Glück hinein, mit einer Zeitung in der Hand und einem Gesichtsausdruck, dem eine gewisse Schadenfreude nicht abzusprechen war. „Kinder,“ sagte er, „da steht ’was – schaut einmal her!“

Eduard bückte sich über das Blatt und las von einem Auftritt zwischen jungen Civilisten und einigen Fähnrichs im Restaurant; Fähnrich K. v. F. hatte bei der Gelegenheit eine Ohrfeige bekommen und war seines Säbels beraubt worden.

„Das ist natürlich Kuno,“ sagte Eduard. „Die arme Mutter!“

„Du mußt gleich hingehen,“ meinte die junge Frau und holte ihm den Hut.

Der junge Mann kam sehr bald wieder zurück; ein Nähmädchen hatte ihn abgewiesen, Frau von Feldern sei unwohl und wolle keinen Menschen sehen.

„Du mußt wieder hingehen,“ sagte Gustl, „ich laß nicht ab, bis es gut zwischen Euch ist.“

„Viperchen,“ brummte Herr Schneider, „mir so zu leid zu leben.“

„Geh’, bild’ Dir doch nicht ein, kein Herz zu haben,“ schalt ihn die Tochter.

Es war keine geringe Ueberraschung für Eduard, eines Tages seinen Bruder Kuno bei sich eintreten zu sehen; er hatte noch immer das zarte blasse regelmäßige Gesicht, das er als Kind gehabt, und sah in dem feinen Civilanzug höchst zierlich und elegant aus.

Kuno war sehr liebenswürdig und benahm sich, als befinde er sich nicht zum ersten-, sondern zum hundertstenmal in der Häuslichkeit seines Bruders. Er sagte, er sei recht froh, vom Militär weg zu sein. Nun, erzählte er weiter, stehe er auf dem Punkte, nach Berlin zu fahren; seiner Mama sei es nach unsäglichen Mühen und Schreibereien gelungen, ihm einen wundervollen Posten ausfindig zu machen, auf dem er nur zu repräsentieren hätte.

„Mama weiß nämlich nichts von meinem Besuch bei Dir,“ wandte er sich an den Bruder, „aber ich wollte doch die Stadt nicht verlassen, ohne Dich noch einmal gesehen zu haben. Gewiß hast Du die Güte, mir einen kleinen Posten von vierhundert Mark auszugleichen, ich möchte keine Schulden zurücklassen und schicke Dir das Geld, sobald ich meinen ersten Gehalt bezogen habe; er ist sehr groß und ermöglicht mir, Mama endlich einen angenehmen Lebensabend zu bereiten.“

Eduard zahlte dem Bruder das verlangte Geld aus und Gustl legte es ihm ans Herz, doch die Mutter ein wenig zu ihres Mannes Gunsten umzustimmen. Kuno versprach zu thun, was er könne, und fragte neckisch unter der Thür: „Wirst Du jetzt immer satt, Educhen?“

In Eduards Innern aber zehrte von dem Tage an ein Kummer; er hatte sich schon als Retter gesehen, als Helfer in der Not, nachdem Kuno es zu nichts gebracht und die Mutter mit ins Elend gezogen hatte. Nun war er doch neben draus, und Kuno war es, der ihr den Lebensabend verschönen sollte. –

Ein Kleines zappelte schon in der Wiege, und Herr Schneider war der lächerlichste Großvater, den es auf der Welt gab; etwas so Außergewöhnliches wie dieses kleine Geschöpf lebte nach seiner Meinung nicht mehr. Er saß vor der Wiege, und wenn es mit den Wimpern zuckte oder das Händchen bewegte, war ihm das zum Weinen rührend; schrie’s, so gebärdete er sich, als vermöge in der Welt kein anderes Kind zu schreien wie sein Enkel.

Hielt Eduard sein Kind im Arm, so konnte er nicht anders,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0094.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)