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nur von dem Oberst und dem englischen Arzte erwidert wurde, und ging dann in Begleitung Bertrams. Als sie außer Hörweite waren, sagte der letztere mit einem Vorwurf, den er nicht zurückhalten konnte: „Das war ein merkwürdiger Ausgang! Uebrigens bin ich der Meinung des Lieutenant Hartley, ein Duell ist immer eine ernste Sache, und Sie machten eine Komödie daraus.“

„Es ist ja auch im Grunde nichts anderes,“ versetzte Reinhart wegwerfend. „Oder finden Sie es so besonders geistreich, wenn zwei Menschen sich gegenüberstehen und in Gegenwart von so und so viel Zeugen feierlichst aufeinander losknallen? Ich habe das stets sehr abgeschmackt gefunden.“

„Und doch haben Sie die Forderung angenommen?“

„Was blieb mir denn sonst übrig? Die Beleidigung war nun einmal gefallen, von beiden Seiten, prügeln konnten wir uns doch nicht und ich hatte keine Lust, mich von der gesamten Gesellschaft Kairos als Feigling in Acht und Bann thun zu lassen, wenn ich das Duell verweigerte. Aber ich habe diesem hochmütigen Burschen eine Lehre gegeben! Er wollte mir wirklich die Ehre erweisen, mich höchsteigenhändig niederzuschießen und ich – schonte ihn! Das vergiebt er mir natürlich niemals, aber er wird sich hüten, mir wieder mit einer Unverschämtheit nahe zu kommen, wenn wir uns in Luksor begegnen, ich habe ihn damit zahm gemacht.“

„Sie spielten aber ein gewagtes Spiel,“ warf der junge Arzt ein. „Marwood zielte mit voller Sicherheit; wenn ein glücklicher Zufall es nicht gefügt hätte, daß der Sperber gerade im letzten Augenblick niederstieß und ihn störte, so lägen Sie jetzt vermutlich sterbend am Boden.“

„Ja wenn – wenn!“ rief Reinhart lachend. „Der Zufall ist aber doch gekommen, und ich stehe in voller Lebendigkeit vor Ihnen. Die Worte ‚wenn‘ und ‚aber‘ habe ich längst aus meinem Leben gestrichen, und auf diese Weise wird man am besten fertig. Doch jetzt ist die Sache abgemacht und nun meinen Dank, Doktor, für den Freundschaftsdienst, den Sie mir geleistet haben! Wenn Sie einmal einen Gegendienst brauchen, ich stehe zur Verfügung.“

„Aber hoffentlich beanspruche ich ihn nicht in dieser Weise,“ sagte Bertram lachend, Ehrwalds Händedruck herzlich erwidernd. „Ich bin froh, daß ich Sie heil und gesund nach Kairo zurückbringe.“

Sie hatten inzwischen das Gehölz durchschritten und traten ins Freie. Die ganze weite Ebene des Nils lag jetzt im hellsten Sonnenschein, die Pyramiden mit ihren starren Linien standen wie ernste, dunkle Rätselbilder in der goldenen Lichtflut, schimmernd grüßte die Stadt aus der Ferne und hoch oben in der blauen Luft kreiste der Sperber und spähte nach neuer Beute. Reinhart blieb unwillkürlich stehen.

„Das Leben ist doch schön!“ sagte er mit einem tiefen Atemzuge, „und am schönsten dann, wenn man es einer Todesgefahr abgewonnen hat. Sie haben recht, ich danke es dem geflügelten Burschen da oben, aber einen Zufall nannten Sie das? Mein Glück war es, das da aus luftiger Wolkenhöhe zu mir niederstieß und mich rettete! Und da predigt mir Sonneck immer, daß es nur eine trügerische Fata Morgana ist, die zerfließt, sobald ich es versuche, ihr zu nahen. Ich habe auch heute wieder seinen Hauch und seine Nähe gespürt wie so oft schon. Und wenn es noch so hoch und noch so fern ist – ich erjage es doch!“

(Fortsetzung folgt.)




Die Schreckensherrschaft des Kalifa Abdullahi im Sudan.

Nach Aufzeichnungen von Slatin Pascha.

Nach langer heldenmütiger Vertheidiguug fiel Chartum am 25. Januar 1885 durch Verrat in die Gewalt des Mahdi. Der Prophet sollte sich indessen nicht lange der Früchte dieses Sieges erfreuen, durch den er zum unbeschränkten Herrn des Sudans wurde; schon im Juni desselben Jahres raffte ihn in Omderman, einer Vorstadt Chartums, der Typhus dahin. Neben dem noch nicht erkalteten Leichnam leisteten die Würdenträger des jungen Reiches dem Kalifa Abdullahi den Eid der Treue und dann, als der Prophet sang- und klanglos in seinem Hause begraben worden war, bestieg der Kalifa die Kanzel und in Tausenden strömten die gläubigen Scharen herbei, um dem neuen Herrscher das Gelöbnis der Treue entgegenzujauchzen.

Wunderbar waren die Schicksale dieses fanatischen Mannes, der nunmehr Millionen Menschen seine Unterthanen nannte. Vor wenigen Jahren noch war Abdullahi ein armer Araber aus dem Stamme der Taascha gewesen, der seine im westlichen Sudan gelegene Heimat verließ und nur im Besitz eines einzigen Esels gen Osten wanderte, um sein Glück zu versuchen. Bettelnd schlug er sich durch die Länder, bis er einem frommen Manne, Mohammed Achmed, begegnete, der gleichfalls arm war, aber neue Lehren verkündete. Abdullahi schloß sich dem Fakir an und brauchte diesen Schritt später nicht zu bereuen. Mohammed Achmed wurde ja bald zum Mahdi und Abdullahi zu seiner rechten Hand. Er hatte dem Mahdi den Rat gegeben, sich an die kriegerischen Stämme des Westens zu wenden, und dieser Rat wurde von Erfolg begleitet.

In Anerkennung seiner Verdienste wurde Abdullahi nach den ersten Siegen der Mahdisten zum vornehmsten der vier Kalifen des Mahdi ernannt – er, der weder lesen, noch schreiben konnte, der sich niemals mit Koranstudien abgegeben hatte, war zum Nachfolger des Propheten auserlesen und herrscht seit elf Jahren über jenes weite Reich, das ein blinder Fanatismus auf den Trümmern türkischer Mißwirtschaft und europäischer Civilisationsversuche geschaffen hat.

Ueber die Zustände, die im Lande der Mahdisten herrschen, drang von Zeit zu Zeit Kunde nach Europa; denn in der Sklaverei des Kalifa schmachtete eine Anzahl Christen, die von den Anhängern des Propheten während des Aufstandes gefangen genommen wurden. Einige derselben konnten sich durch Flucht retten und so manches berichten. Im vorigen Jahre gelang es nun aber auch einem Gefangenen von ganz besonderem Rang, aus der Sklaverei zu entfliehen. Slatin Pascha, ein ehemaliger österreichischer Offizier, der im Sudan als Gouverneur von Darfur wirkte, hatte sich dem Mahdi ergeben und, um sein Leben zu retten, sich scheinbar zu dessen Anhängern bekennen müssen. Zeitweilig genoß er das Vertrauen des Kalifa, kannte dessen Räte und Heerführer und gewann so die genauesten Einblicke in alle wichtigen Verhältnisse des neuen Reiches. Elf Jahre schmachtete Slatin in der Gefangenschaft. Inzwischen gelang es seinen Verwandten, sudanesische Händler für die Befreiung des Unglücklichen zu gewinnen. Sie boten ihm nach langem Zögern die Hand zu einem verwegenen Fluchtversuch, der in Wüstenritten auf Kamelen glücklich gelang. Slatin erreichte Assuan und dann Kairo; jetzt lebt er in seiner Heimat und hat seine wunderbaren Schicksale und reichen Erfahrungen in einem soeben erschienenen Werke „Feuer und Schwert im Sudan“ (Verlag von F. A. Brockhaus, Leipzig) beschrieben, das sicher zu den fesselndsten und spannendsten Erzeugnissen der jüngsten afrikanischen Litteratur gezählt werden darf.

Mit markigen, lebenstreuen Zügen ist in dem Buche auch das Leben und Treiben am Hofe des Kalifa geschildert, ein so eigenartiges, ungewohntes Bild menschlicher Herrschsucht und tiefsten Elends, daß wir es, den Angaben Slatins folgend, zur Kenntnis unserer Leser bringen möchten. Es bildet ja die Fortsetzung und Ergänzung der Geschichte der Wirren im ägyptischen Sudan, über die in früheren Jahrgängen so zahlreiche Artikel in der „Gartenlaube“ erschienen sind.[1]

In Omderman, das nach dem Falle Chartums rasch zu einer großen Stadt anwuchs, steht in der Nähe des Grabmals des Mahdi der Palast seines Nachfolgers, ein Gewirr von kleinen und großen durch Höfe und Mauern voneinander getrennten Häusern. Hier wohnt der Herrscher, der die zu den Audienzen bestimmten Räumlichkeiten mit der denkbar größten Einfachheit ausstatten ließ, seine Privatgemächer aber mit allem ihm erreichbaren Komfort versah. Die Plünderung Chartums ließ ja viele Luxusgegenstände in seine Hände fallen! Er selbst ist keine üble Erscheinung; von mittelgroßer Gestalt, breitschulterig und von lichtbrauner Farbe, hat er eine gerade Nase, große schwarze Augen, proportionierten Mund und regelmäßige Züge. Das Gesicht ist umrahmt von einem ursprünglich dunklen Vollbart, der um das Kinn etwas kräftiger entwickelt ist. Früher elastisch, ist er in den letzten Jahren wohlbeleibt und schwerfällig geworden; obwohl er erst 49 Jahre zählt, ist sein Gesicht vorzeitig gealtert und sein Bart schon beinahe weiß.

  1. Vergl. u. a. „Gartenlaube“ Jahrg. 1884, S. 181, 216, 272. Jahrg. 1885, S. 154 und 480.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0090.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2023)