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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„Ganz meine Meinung!“ stimmte Reinhart bei. „Ich bin darin durchaus Ihrer Ansicht, Mylord. Ich sprach gerade vorhin über diesen Punkt mit Fräulein von Osmar.“

Er verharrte noch immer in seiner nachlässigen Stellung und spielte dabei herausfordernd mit der Rose. Das war zu viel für Francis Marwood, der schon diese Haltung als eine Beleidigung empfand und nur zu gut wußte, wohin die letzten Worte zielten; er richtete sich auf und mit dem ganzen verletzenden Hochmut, der ihm so meisterhaft zu Gebote stand, sagte er:

„Herr Ehrwald, ich mache Ihnen bemerklich, daß ich Ihre Anwesenheit in dem Hause des Herrn Osmar nicht für passend erachte.“

Reinhart blieb vollkommen ruhig und seine Stimme verriet nicht die mindeste Erregung, als er antwortete:

„Lord Marwood, ich mache Ihnen bemerklich, daß ich diese Aeußerung für eine Unverschämtheit erachte.“

„Mein Herr!“ fuhr Francis auf.

„Für eine Unverschämtheit oder Frechheit! – Sie können wählen zwischen den beiden Worten.“

Ein halb unterdrückter Ausruf der Wut entrang sich den Lippen Marwoods, er hob die geballte Fanst und machte eine Bewegung, als wollte er sich auf den Beleidiger stürzen. Da aber richtete sich dieser gleichfalls empor und stand drohend, mit blitzenden Augen vor ihm. „Wollen wir vielleicht eine Prügelscene hier aufführen? Das dürfte noch weniger passend sein für das Haus des Herrn von Osmar und ich bin es überhaupt nicht gewohnt, Streitigkeiten in solcher Weise auszufechten.“

Francis wurde dunkelrot bis an die Stirn, als sein Gegner ihn an die Pflichten des Anstandes erinnern mußte. Langsam ließ er den erhobenen Arm sinken. „Sie werden von mir hören!“ knirschte er, indem er ihm den Rücken wandte und die Terrasse verließ. Reinhart sah ihm nach und zuckte die Achseln. „Ein Duell so unmittelbar vor der Abreise — das giebt einen Sturm mit Herrn Sonneck! Pah, er braucht ja gar nichts davon zu erfahren, ich werde die Sache schon allein abmachen.“ Mit diesem Gedanken wandte er sich gleichfalls nach dem Saale, wo das Fest jetzt seinen Höhepunkt erreicht hatte. Das wogte, schimmerte und glänzte überall und der junge Mann schloß sich so unbekümmert der Gesellschaft wieder an, als sei die Begegnung, die er soeben gehabt hatte, nur ein ganz harmloser Wortwechsel gewesen. Er war bald hier, bald da, so daß Lieutenant Hartley, der ihn suchte, Mühe hatte, ihn aufzufinden. Der junge Offizier teilte durchaus nicht die Abneigung seines Freundes und pflegte heiter und unbefangen mit Ehrwald zu verkehren, jetzt aber näherte er sich ihm in sehr förmlicher Weise. „Ich werde mir erlauben, Sie morgen früh aufzusuchen, Herr Ehrwald,“ sagte er leise. „Es handelt sich um eine dringende Angelegenheit. Ich finde Sie doch zu Hause?“

Reinhart verneigte sich. „Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung. Was aber die fragliche Angelegenheit betrifft, so bitte ich sehr um möglichste Beschleunigung. Unser Dampfer geht übermorgen und ich möchte die Abfahrt nicht versäumen.“

Hartley sah ihn etwas verwundert an, diese sorglose Zuversicht im Angesicht eines Zweikampfes war ihm doch neu, aber er erwiderte ebenso artig und ebenso förmlich wie vorher: „Wir werden uns darin nach Ihren Wünschen richten. Auf morgen früh also!“

Sie tauschten noch einen Gruß aus und trennten sich dann. Ehrwald trat zu der Gruppe, deren Mittelpunkt Zenaide bildete, umschwärmt und gefeiert wie immer. Ihr Auge streifte ihn wie mit einer Frage. Sie fand es ja natürlich, daß er ihre Rose nicht offen vor aller Welt im Knopfloch trug, man hätte doch vielleicht erraten, woher sie stammte, denn diese leuchtenden Purpurblüten trug nur Eine heute abend, und sie war ihm dankbar für dies Zartgefühl. Er hatte die duftende Gabe wohl auf der Brust geborgen. Arme Zenaide! Wenn sie gewußt hätte, daß der Mann, den sie liebte, es gar nicht bemerkt hatte, als die Rose ihm vorhin bei dem Wortwechsel mit Lord Marwood entfiel. Sie welkte draußen auf dem Marmorboden der Terrasse. Reinhart hatte sie einfach – vergessen.




Die Morgendämmerung begann eben dem vollen Tageslichte zu weichen und die weißen Nebel, die über dem Nil lagerten, fingen an, unruhig zu wogen und zu wallen. Die sonst so belebte Straße, die von Kairo nach den Pyramiden hinausführte, war zu dieser frühen Stunde noch ziemlich einsam, nur einige Fellahweiber zeigten sich, die nach der Stadt wanderten, und jetzt wurde ein offener Wagen sichtbar, der von dort kam und in dem zwei Herren saßen. Er hatte etwa drei Viertel des Weges zurückgelegt, als die rasche Fahrt gehemmt wurde; die Herren stiegen aus, der jüngere gab dem Kutscher einige Weisungen, dann schritten beide querfeldein und nahmen die Richtung nach einem kleinen Palmengehölz, das eine Viertelstunde seitwärts von der großen Straße lag.

„Die Morgen sind vor Sonnenaufgang doch recht kalt hier im Orient,“ sagte der ältere, indem er sich fester in seinen Mantel hüllte. „Sie haben auch eine verwünscht frühe Stunde gewählt, Herr Ehrwald. Um acht Uhr wäre es auch noch Zeit gewesen.“

„Nein, dann sind wir nicht mehr sicher vor unliebsamen Störungen,“ versetzte Ehrwald, der nur ein leichtes Plaid über die Schultern geworfen hatte. „Dann pflegen die Touristen auszuschwärmen und die ganze Gegend unsicher zu machen. Ueberdies muß ich um neun Uhr wieder in Kairo sein, denn eine Stunde später reisen wir ab und ich möchte Herrn Sonneck und den Professor nicht warten lassen.“

Der andere, es war Doktor Bertram, sah ihn an und schüttelte den Kopf. „Sie scheinen mit aller Bestimmtheit einen glücklichen Ausgang anzunehmen. Sie haben wirklich eine beneidenswerte Zuversicht.“

„Soll ich die Sache etwa tragisch nehmen? Auf unserem Zuge in das Innere werden wir uns Tag für Tag mit der Gefahr herumschlagen müssen, da haben wir mit den Menschen, der Natur, den Elementen zu kämpfen – und hier handelt es sich um ein harmloses Duell.“

„Bei dem man sich gegenseitig als Scheibe dient. So harmlos finde ich das gerade nicht.“

„Nun derartige Annehmlichkeiten werden wir wohl noch öfter haben, wenn wir von feindlichen Stämmen angegriffen werden,“ lachte Reinhart. „Das ist eine kleine Vorübung. Lord Marwood will nun einmal schießen. Meinetwegen! Ich werde ihm das Vergnügen machen, er soll nur nicht verlangen, daß ich es ernsthaft nehme.“

„Der Lord schießt gut,“ sagte Bertram ernst. „Ich hörte es von seinem Sekundanten.“

„Möglich, aber ich schieße vermutlich noch besser und übrigens muß man sich in solchen Fällen auf das Glück verlassen. Mich hat es noch nie im Stich gelassen, ich bin so eine Art Sonntagskind. Wie oft schon ist es drunter und drüber gegangen in meinem Leben und schließlich blieb ich doch immer oben.“

„Aber wenn Lord Marwood fällt oder schwer verwundet wird, ist die Sache ebenso bedenklich für Sie,“ warf der junge Arzt ein. „Bei seiner Stellung in der Gesellschaft –“

„Er wird nicht fallen,“ unterbrach ihn Reinhart. „Das kostbare Leben Seiner Lordschaft wird der Welt und der Menschheit erhalten bleiben. Aber nun thun Sie mir den Gefallen, Herr Doktor, und legen Sie diese Leichenbittermiene ab, die so gar nicht zu Ihrem Gesicht paßt. Sie ist allerdings offiziell bei solchen Gelegenheiten, aber ich erlasse sie Ihnen, wenigstens solange bis Sie mich feierlichst zu Grabe geleiten.“

„Sie sind ein unverbesserlicher Spötter,“ sagte Bertram halb lachend. „Das hätte ich mir wirklich nicht träumen lassen, daß ich hier in Kairo noch Dienste als Sekundant leisten muß. Ich glaubte, Sie würden Herrn Sonneck darum ersuchen.“

„Ums Himmels willen nicht! Das hätte eine endlose Strafpredigt gegeben und schließlich wären noch Versöhnungsversuche gemacht worden. Herr Sonneck darf keine Silbe erfahren von dem ganzen Vorfall, aber Sie hat mir mein guter Stern zugeführt, Doktor. Ich wußte wirklich nicht, woher ich in aller Eile einen Sekundanten nehmen sollte. Die englischen Herren mochte ich nicht darum bitten und einen Deutschen fand ich nicht. In meiner Verzweiflung lief ich endlich zu Doktor Walter, obgleich ich auch da eine Moralpredigt und allerlei Schwierigkeiten voraussah. Da traf ich Sie dort und nahm Sie auf der Stelle in Beschlag!“

„Ja, es war eine merkwürdige Bekanntschaft. Wir waren kaum einander vorgestellt, da zogen Sie mich auf die Seite und machten mir die Eröffnung. Nun, ich war selbstverständlich gern bereit, einem Landsmanne beizustehen, aber ich hätte mir doch eine andere Gelegenheit dazu gewünscht.“

„Warum? Die Gelegenheit ist vortrefflich. Doch da sind wir am Platze, ich glaube, er ist gut gewählt.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0087.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)