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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Nr. 6.   1896.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Fata Morgana.

Roman von E. Werner.

     (5. Fortsetzung.)

Zenaide von Osmar war eine liebreizende Erscheinung, und heute, im Festschmucke, mehr als je, aber auch bei ihr zeigte sich jene eigentümliche Vermischung des Europäischen mit dem Morgenländischen, die sich in der ganzen Umgebung ausprägte. Ueber dem weißen, golddurchwirkten Kleide von halb durchsichtigem Stoff trug sie das ärmellose, orientalische Jäckchen von dunklem Sammet mit reicher Goldstickerei. Im Haar leuchtete nur eine einzige Purpurrose, ein Strauß der gleichen Blumen schmückte die Brust, aber das kostbare Geschmeide, das an Hals und Armen funkelte, verriet, daß die junge Dame die Tochter eines der reichsten Männer Kairos war.

Sie schritt langsam durch den Saal und trat bald zu dieser bald zu jener Gruppe, hier ein paar Worte, dort einen Gruß oder ein Lächeln spendend. Das zwanzigjährige Mädchen war schon die vollendete Weltdame, die mit unbedingter Sicherheit alle Formen beherrschte. Nur die Augen redeten eine andere Sprache, diese dunklen feuchten Augen, in denen etwas lag wie Sehnsucht nach einer ganz anderen Welt, als dies bunte glänzende Gewühl sie ihr darbot. Der unvermeidliche Lord Marwood war natürlich dicht neben ihr und an der andern Seite ging Lieutenant Hartley, der in sehr beredten Worten seinem Kummer über die bevorstehende Abreise Ausdruck gab, von der er erst heute erfahren hatte.

„Also unwiderruflich in der nächsten Woche? Mein gnädiges Fräulein, können Sie es wirklich verantworten, Kairo so ganz verwaist zurückzulassen?“

„Ich glaube, Kairo wird sich zu trösten wissen,“ sagte Zenaide, die zerstreut zuhörte, mit einem flüchtigen Lächeln.

„Im Gegenteil, wir hüllen uns alle in die tiefste Trauer bis zu Ihrer Wiederkehr. Nicht wahr, Francis?“

„Ich wenigstens habe keine Veranlassung dazu,“ erklärte Marwood. „Herr von Osmar war so freundlich, mich nach Luksor einzuladen. Sie sind doch davon unterrichtet, mein gnädiges Fräulein?“

„Jawohl, Papa sagte es mir gestern bei meiner Rückkehr.“

Die Antwort klang sehr kühl und die väterliche Einladung wurde von der Tochter nicht wiederholt, wie es doch wohl die Artigkeit erfordert hätte. Der junge Lord schien das nicht zu bemerken,

Jagderlebnisse.
Nach dem Gemälde von A. Müller-Lingke.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0085.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2023)