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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

nahm das Angebot dankbar an; so wie die Sachen zu Haus standen, schien es ihm das Wichtigste, so bald als möglich auf eigenen Füßen zu stehen und Geld verdienen zu können. Der Vater machte ihm einen kränklichen, müden Eindruck, und die Mutter kam ihm zuweilen vor wie eine Person, die im Fieber spricht und handelt. Eduard glaubte nicht an die große Zukunft des Bruders; er sah mit Sorgen den Tag kommen, an dem die rastlos schaffende Frau unter ihrer schwersten Enttäuschung zusammenbrechen würde, und dann war’s an ihm, dem Aeltesten, einzuspringen.

Aber es war keine leichte Aufgabe, die Mutter in die Pläne einzuweihen, die er und sein Gönner miteinander geschmiedet. Er hatte seine Militärdienstzeit beendet und ein gutes Führungszeugnis davongetragen.

Herr Schneider ließ eine Flasche Wein kommen, um das Ereignis zu feiern. Auch sollte sich Eduard Mut trinken zu dem schweren Unternehmen, endlich mit der Mutter zu sprechen.

„Bleib’ fest!“ empfahl ihm Herr Schneider, „und laß Dir nicht zu viel gefallen, sag’s ihr, ein wohlhabender Bürger steht anders da als ein armer adeliger Schlucker – kurz, sei ein Mann und bedenke, daß Deine Mutter ein aufgeregtes Weib ist.“

Eduard nickte und schritt mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck zur Thüre. Aber auf der Schwelle stand die Gustl, und als Eduard an ihr vorbeischreiten wollte, hielt sie ihn am Arm fest.

„Vergiß nicht, Eduard, was Du Deiner Mutter zu danken hast. Ich mein’, auch Dein gutes Führungszeugnis verdankst Du eigentlich ihr.“

„Ja,“ sagte er, „das ist wahr.“

Und als er bei den Seinen eintrat, sah er freundlich und versöhnlich aus.

Frau von Feldern arbeitete wie immer, und Herr von Feldern, der sich seit einigen Tagen unwohl fühlte, saß in seinem Lehnstuhl und fror.

Eduard legte sein Führungszeugnis mit dem Prädikat „sehr gut“ vor die Mutter hin, die es las und dann nickte. Auch Herr von Feldern sagte nichts, nachdem er das Zeugnis gelesen, aber die Thränen liefen ihm über die Wangen, und er hatte Mühe und Not, ein Schluchzen zu unterdrücken.

Eduard hatte der Mutter gegenüber Platz genommen; sie saßen eine ganze Weile, ohne ein Wort miteinander zu reden.

Frau von Feldern war jetzt eine Frau von fünfzig Jahren; ihre Gesichtsfarbe spielte ins Gelbliche, aber in ihrem reichen schwarzen Haar zeigte sich noch kein Silberfaden; dagegen hatte ihr früher so selbstbewußter Blick etwas unruhig Flackerndes bekommen und ihr Mund ein nervöses Zucken. Der Sohn hatte viel Aehnlichkeit mit ihr, nur war der Blick seiner Augen gesund und fest und sein Gesicht rund statt länglich; das Dienen hatte seinen Körper gestreckt, ihm den kurzen Hals aus den Schultern gehoben; er war alles in allem ein Mensch, der sich sehen lassen durfte. Aber Frau von Feldern dachte, während ihr Blick ihn streifte: „Wie ein Bauer neben Kunochen –“ und hatte keine Ahnung von den bewundernden, völlig verliebten Blicken, mit denen der Gatte seinen Aeltesten verschlang. Ja, das war einer, das war einer! Ein Eroberer und Schlachtengewinner war nichts gegen einen Eduard, der seiner Mutter stand zu halten wagte!

„Es thut mir leid, liebe Mama,“ begann der junge Mann nach kurzem Getrommel auf dem Nähtisch, „aber ins Ausland kann ich nicht gehen, da ich sobald als möglich selbständig werden und Geld verdienen möchte. Ich würde gerne fremde Länder und Städte sehen, aber unsere Verhältnisse gestatten es nicht, ich kann nicht von Nichts leben und Du darfst Dich nicht tot arbeiten –“

„Was willst Du denn also thun?“ unterbrach sie ihn, den Blick von ihrer Näharbeit aufhebend.

Eduard lehnte sich in seinen Stuhl zurück.

„Ich werde in das Geschäft des Herrn Schneider eintreten; er giebt mir vom ersten Tag ab den Gehalt –“

„Pfui!“ stieß Frau von Feldern hervor, „also einen kleinen Krämer habe ich auferzogen, all’ meine Mühe und Sorgfalt an einen Menschen gewandt, der sein Leben zwischen Oel und Heringen zubringen wird – jedes Wort reut mich, das ich an Dich verloren!“

„Es wird nichts verloren sein,“ fiel ihr der Sohn in die Rede, „es schadet nichts, wenn es auch wohlerzogene Kaufleute giebt.“

„Ja, im großen Stil, das lasse ich mir gefallen, aber Dich zwischen den schmutzigen Tonnen dieses Kaufmanns Schneider herumhantieren zu sehen – abscheulich! Der intrigante Mensch, er hat mir den Sohn abspenstig gemacht, sein niedriger Einfluß hat Dich verdorben, irre geleitet –!“

„Das sehe ich anders an,“ unterbrach sie Eduard, „ich weiß gar nicht, was aus mir geworden wäre ohne ihn; ich glaube, ich hätte mich zu einem ganz giftigen Unkraut ausgewachsen, wenn er mir den hungrigen Magen nicht gestopft hätte.“

„Eben das ist das Gemeine,“ unterbrach sie ihn, mit fieberhafter Schnelligkeit drauflosnähend, „und wenn Du glaubst, daß ich nachgebe und Dich seinesgleichen werden lasse –“

„O ja, Mama “ Eduard beugte sich ein wenig vor und heftete den Blick auf die dünnen, rastlosen Finger seiner Mutter, „es wird wohl so werden: es ist durchaus notwendig, daß Papa das Bureausitzen läßt und des Abends ein warmes Stück Fleisch –“

„Was unterstehst Du Dich,“ fuhr Frau von Feldern auf, „in meinem Haushalt –“

„In Deinem Hanshalt, liebe Mama, ist alles für den Schein berechnet und nichts für den Magen; Papas ganzes Unwohlsein ist jedenfalls nichts anderes als mangelhafte Ernährung, und Kuno hat gewiß nicht eine Unze Mark in den Knochen –“

„Und Du bist ein brutaler, roher Meusch,“ fiel ihm seine Mutter in die Rede, „das ist’s, was in den nur ans Essen und Trinken denkenden Bürgerhäusern gezüchtet wird – das habe ich den Braten und den Bierkrügen dieses Herrn Schneider zu danken – einen Sohn, der alle wohlmeinenden und edlen Einflüsse seiner Mutter zurückweist, der den Namen seiner Familie in den Staub zieht, den Namen einer Familie –“

„Ich bitte, Mama, wer waren denn Deine Eltern? – Bürgersleute hier und dort, nichts andres, und wenn meine Ahnenväter mich Heringe verkaufen sähen, so würden sie das ganz in Ordnung finden und sich nicht ein einziges Mal im Grab umdrehen!“

Damit hatte er freilich den Vogel abgeschossen, aber auch der Mutter Stolz an seiner empfindlichsten Stelle getroffen. Frau von Feldern wurde nicht gern an ihren Vater erinnert, von dem sie doch das beste, was sie besaß, ihr Talent hatte.

Ihr Gesicht ward aschfahl, ihre Worte wurden so scharf und hart, daß Eduard schließlich seine Vorsätze vergaß und Mutter und Sohn in Feindschaft schieden.

Ein paar Wochen nach dieser Scene starb Herr von Feldern; er hatte eines Abends ganz unverhältnismäßig viel gesprochen; seine Frau konnte sich nicht genug wundern, wo er auf einmal den Mut hernahm, ihr lauter Dinge zu sagen, die sie ärgerten; allein, er sah so gebrechlich und krank aus, daß sie es nicht über sich gewann, ihn schweigen zu heißen. Er aber redete wie einer, der gesonnen ist, allerlei Versäumtes nachzuholen: „Der Eduard wird seinen Weg machen, er wird ihn machen, denk’ an mich; so einer mit so einem Mut, der macht seinen Weg; es war nicht recht von Dir, ihm die Thüre zu weisen und mich nicht zu fragen, aber ich hole ihn nicht. Was tragen die alle Abend schönes Bier da vorbei, das soll er nur trinken, das gönn’ ich ihm, das ist ’was andres als der ewige Schwitzthee, der einem die Kraft aus dem Körper preßt! Ich weiß nicht, warum ich in letzter Zeit so viel an meine Eltern denken muß: wir hatten immer ein gutes Stück Fleisch auf dem Tisch und es thut mir leid, daß ich ihnen nicht mehr Freude gemacht habe; aber ich war nicht zum Fähnrich geboren. Ich habe so viel mehr Geschick in den Händen gehabt als im Kopf, aber ich wollte die Eltern nicht kränken, und so habe ich nie meinen richtigen Beruf gehabt –“

„Lieber Feldern, ich bitte Dich,“ unterbrach ihn die Gattin. „Ich habe mehr als zwanzig Jahre gekocht und war auch nicht zur Köchin geboren –“

„Das weiß Gott, das weiß Gott,“ fiel er ihr in die Rede. „Sammethöschen für die Buben, das war wichtiger als die Suppe; Kunochen hat sogar noch Spitzen dran, ja, Spitzen dran –“ wiederholte er und klopfte in die Hände.

Frau von Feldern sah ihren Gatten nicht ohne Besorgnis an. „Er ist doch längst erwachsen, redest Du im Schlaf?“

„Ich hab’s gestern noch bemerkt,“ behauptete Herr von Feldern, „ich habe überhaupt viel bemerkt, nur geschwiegen, aber ich habe mir immer gesagt, der Teufel hat uns das ‚von‘ eingebrockt; dem Kunochen wird’s mit dem Fähnrich gehen wie mir, aber gottlob, daß der Eduard das lecke Schiff verlassen hat! Du wirst ihn schon noch schätzen lernen – denk’ an mich, Du wirst ihn schätzen lernen; ich werde morgen dem Herrn Schneider meine Visite machen; es liegt mir schon lange auf der Seele, ihm zu danken –“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0082.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)