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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Münsters, an welchem zweihundertfünfzig Jahre gebaut wurde. Bei Abbach an der Donau, wenige Meilen oberhalb von Regensburg, brach man den prächtigen grüngelben Sandstein für den Dom, einen der schönsten in ganz Deutschland (vgl. Abbildung S.72 u. 73). Die Regensburger Dombauhütte ward aber auch zu einer Meisterschule für das Zeitalter der Gotik. Die Außenseite des Baues ist überaus reich mit ihrem prachtvollen Hauptportal, ihrem fünfeckigen Chor und dem üppigen Schmuck von Skulpturen; einfach und edel wirkt das Innere mit dem Farbenzauber seiner Glasmalereien und seinen Denkmälern. Der Domschatz, obwohl während der Schwedenzeit durch Bernhard von Weimar geplündert, enthält noch manches wertvolle Stück. Wie das Ulmer Münster und der Kölner Dom ist auch dieses Bauwerk bis in die jüngste Zeit unvollendet geblieben; die beiden Pyramiden der Türme konnten erst in den Jahren 1859–69 ihren Ausbau erleben.

Wir setzen unsere Wanderung durch die Stadt fort. Aelter noch als die Kirchenbauten sind manche Privathäuser, die vordem alten Patriziergeschlechtern gehörten und burgartig mit ihren Mauern, Thoren und Türmen in den Gassen stehen.

Wir suchen uns aber gleich das älteste unter den Bauwerken Regensburgs: die Porta praetoria (Abbildung S. 72 u. 73), ein Thor mit einem nebenstehenden Türmchen, beide noch aus römischer Zeit. Es war wohl in den Tagen des Kaisers Domitian, als hier schon die Festung Reginum oder Castra regina stand, deren gewaltige Grundmauern an manchen Plätzen in den Kellern der Regensburger Häuser noch sichtbar sind, vielfach auch das Steinmaterial für spätere Bauten geliefert haben. Dieses Thor, durch welches einst der gleichmäßige Schritt römischer Kohorten tönte, hat eine zweitausendjährige Geschichte, die aus seiner dämmerig kühlen Wölbung weht. So stimmungsvoll ist dieses Bauwerk, daß man meint, jeden Augenblick müsse aus ihm ein Legionssoldat heraustreten, mit verwundertem Blick die Kinder eines späten Jahrhunderts betrachtend. Uebrigens finden sich nicht nur in der Stadt selbst die gigantischen Mauerreste der römischen Baumeister verbreitet; sondern auch in ihrer Umgebung, wo man unter anderm ein ansehnliches römisches Bad aus dem Schutte gegraben hat.

Wir setzen unsere Wanderung fort. Sie führt uns jetzt durch stille Gassen an die Ostseite der Stadt und hinaus an die Donau, wo hinter grauen Mauern und rauschenden Bäumen die Königliche Villa (Abbildung S. 72 u. 73) steht, ein eleganter gotischer Palast, 1853 erbaut. Am Ufer der Donau wandern wir wieder stromabwärts. Hier liegen hochgeschnäbelte schwarze Donauschiffe, an dicken Tauen festgebunden. Das erinnert an längstvergangene Jahrhunderte, in welchen Regensburg die erste deutsche Handelsstadt war, die ihre Verkehrsfäden bis ins Schwarze Meer, nach Kiew und nach Venedig spann; an jene Zeiten, da an diesen Ufern die Flotten sich sammelten, in welchen die Kreuzfahrer donauabwärts zogen. Auch Friedrich Barbarossas hohe Kaisergestalt tritt vor unser inneres Auge; war’s doch hier, wo er jenen unglücklichen Kreuzzug antrat, aus dem er nicht wiederkehrte. Und wieder zweihundert Jahre später klirrten hier die Waffen jener Scharen, die zum Kreuzzug gegen Sultan Bajazet sich vereinten. Siegfreudig wehten ihre Paniere, um vor den Mauern von Nikopolis in den Staub zu sinken!

Jeder Schritt in dieser Stadt gemahnt an großes Ereignis, an die Schatten gewaltiger Heldengestalten. So erreichen wir, stromabwärts schlendernd, die altersbranue, S. 77 abgebildete Steinerne Brücke. Es ist kein Brückenbau im deutschen Lande, der so wie dieser vom Volkslied und von der Sage mit goldnen Fäden umsponnen wäre. Schon Karl der Große hatte hier eine Schiffsbrücke erbauen lassen; der Bau der Steinbrücke dagegen ward 1135 während eines infolge des heißen Sommers außerordentlich niedrigen Wasserstandes begonnen und in 11 Jahren vollendet. Damals galt die nur 7 Meter breite und 318 Meter lange Brücke mit ihren 16 Bogen für ein wahres Weltwunder der Baukunst. Drei trotzige Türme bewachten die Zugänge zu der Brücke, heute steht nur noch einer von ihnen, der lange Zeit als Schuldturm diente. Einst war es hier dem gefangnen Schuldner gestattet, die Vorübergehenden aus seiner Zelle heraus um Geld zur Bezahluug seiner Schulden anzusprechen – eine nette und gemütliche Rechtsinstitution, die sich leider nicht erhalten konnte, weil heutzutage die Schuldner viel zu zahlreich und die Schulden viel zu groß geworden sind. Ueber die durch die Insel in zwei Arme geteilte Donau führt die Brücke nach der nördlichen Vorstadt Regensburgs, Stadtamhof genannt, hinüber. Unter dem mancherlei Bildwerk, das die Brücke ziert, ist das interessanteste das Brückenmännchen, ein nackter, auf einem Pfeilergiebel reitender Jüngling. Dies Männchen ist, so erzählt die Volkssage, der Baumeister der Brücke, welcher mit seinem Lehrer, dem Dombaumeister, gewettet hatte, sein Werk eher zu vollenden. Mit Hilfe des Teufels soll ihm dies auch gelungen sein, worauf sich der Dombaumeister von seinem Bau in die Tiefe stürzte. Daß die Brücke um hundertfünfzig Jahre früher begonnen ward als der Dom, verschweigt diese Sage. Uebrigens ist auch das alte Brückenmännchen, nachdem ihm der Sturm der Jahrhunderte Arme und Beine geraubt hatte, in ein Museum gebracht und durch sein jetziges Ebenbild ersetzt worden.

Unser Weg führt uns von der Brücke durch dämmerige Gassen wieder stadteinwärts zum Rathause (Abbildung S. 72 u. 73), das mit seinem reichverzierten Portal, seinem gotischen Erker und seinen hohen Zackengiebeln einen durchaus mittelalterlichen Eindruck macht, welcher noch verstärkt wird, wenn man sich vergegenwärtigt, daß der Bau bis in das Jahr 1330 zurückreicht. Das ganze Treiben reichsstädtischer Macht, ihrer Blüte und ihres Verfalls steigt wieder vor unseren Augen empor, wenn wir diesen Bau betrachten, wo in dem großen Reichssaale der „immerwährende Reichstag“ von 1663 bis 1806 tagte, um während dieser langen Zeit macht- und freudlos das langsame Hinsterben des alten Deutschen Reiches zu erleben.

Unfern vom Rathausplatze liegt der Haidplatz, rings von gediegenen alten Patrizierhäusern umgeben. Da steht, einer mittelalterlichen Burg vergleichbar, der ehrwürdige Gasthof „Zum goldenen Kreuz“, eine alte Kaiserherberge. Hier war’s, wo die schöne Regensburgerin Barbara Blombergh in Kaiser Karls des Fünften verdüsterte Seele noch einmal einen hellen Glanz von Liebesglück zu zaubern wußte; in einem Turmzimmer dieses Hauses gebar sie den herrlichen Seehelden Don Juan d’Austria, den Sieger von Lepanto. Drunten auf dem Haidplatze aber war’s, wo viele Jahrhunderte früher ein andrer Regensburger Held, Ritter Dollinger, in Gegenwart Kaiser Heinrichs des Finklers den riesenhaften Hunnen Krako beim Turnier vom Rosse stach, die Ehre deutscher Ritterschaft zu retten.

Durch alle Gassen Regensburgs flüstern alte Geschichten und Sagen. So auch um die „Neue Pfarre“ (Abbildung S. 72 u. 73), ehedem hieß sie die Kirche „Zur schönen Maria“, deren Grundmauern aus den alten Grabsteinen des ehemaligen Judenfriedhofs aufgeführt wurden, nachdem man im Jahre 1519 die Juden aus Regensburg vertrieben, ihre Häuser und ihre Synagoge zerstört hatte.

Von all den eigenartigen Bauwerken der Stadt, die noch ungenannt blieben, dürfen wir eines nicht vergessen, das ehrwürdige Stift St. Emmeram (Abbildung S. 72 u. 73). Schon unter dem sagenhaften Agilolfingerherzog Theodo war’s, daß der heilige Emmeram in den bayrischen Gauen das Christentum verkündete. Ihn erschlug ein Sohn des Herzogs bei Helfendorf, weil Verleumdung den frommen Mann eines bösen Vergehens gegen eine Herzogstochter bezichtigt hatte. Zur Sühne für die Blutthat erbaute der Herzog das Kloster im achten Jahrhundert. Immer reicher aufblühend, ward dasselbe unter Kaiser Adolf von Nassau zum fürstlichen Reichsstift erhoben. Nach fast zwölfhundertjähriger glänzender Geschichte ward das Kloster am Anfang unseres Jahrhunderts säkularisiert; seine ausgedehnten Bauten erwarb das fürstliche Haus von Thurn und Taxis und schuf sich daraus eine der stolzesten Residenzen, die das Deutsche Reich aufzuweisen hat (Abbildung S. 72 u. 73).

Zu dem aber, was die Geschichte vieler Jahrhunderte aus Regensburg gemacht hat, fügte ein kunstsinniger Fürst der jüngsten Vergangenheit, König Ludwig I. von Bayern, noch zwei Kleinodien hinzu, einzig in ihrer Art und von märchenhafter Schönheit.

Fährt man eine halbe Stunde mit dem Dampfer von Regensburg stromabwärts, so sieht man in der Höhe droben auf umbuschtem Hügel die Reste der Burg Stauf (Abbildung S. 76). Sie erinnern an jene Jahrhunderte, da hier trotziges Rittertum seine schwindende Macht gegen das aufblühende reichsstädtische Bürgertum zu wahren suchte, bis jenem der Streitkolben aus der geharnischten Faust gewunden und seine Zinnen und Verließe gebrochen wurden. Aber nicht diese Burgtrümmer sind’s, die unseren Blick hier gefangen nehmen, sondern ein leuchtendes Werk moderner Kunst und Gesittung, das von der Höhe eines prächtig bewaldeten Hügels schaut: die Walhalla. Wie eine rechte Heimat Unsterblicher

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0078.jpg&oldid=- (Version vom 13.6.2023)