Seite:Die Gartenlaube (1896) 0071.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Erschöpfung des ganzen Nervensystems. Die arme kleine Frau ist bei der jahrelangen Pflege des alten Mannes, den sie, wie es scheint, halb gezwungen nahm, in der unerhörtesten Weise angestrengt worden. Sie ist fast niemals aus dem Krankenzimmer hinausgekommen, hat die Nächte hindurch wachen müssen und der selige Martin und seine Schwester werden auch das möglichste gethan haben, ihr das Leben schwer zu machen. Als sie nach seinem Tode selbst erkrankte, wurde sie ebenso rücksichtslos behandelt: Fräulein Mallner mit ihrer Berserkernatur weiß ja gar nicht, was Schonung ist, und da kam es dann schließlich soweit, daß nur das energische Eingreifen des Geheimrats Felder einem wirklich unheilbaren Leiden vorbeugte.“

„Aber er hat doch von einem Lungenleiden gesprochen,“ warf Bertram ein, der mit atemloser Spannung zuhörte.

„Ja, er war gescheit genug, mit der Schwindsucht zu drohen, weil diese Reise eine Lebensfrage für die junge Frau war, und weil sich ihre Schwägerin sonst nun und nimmermehr dazu hätte bringen lassen. Unser berühmter Kollege wußte so genau wie ich, daß Brust und Lunge bei unserer Patientin vollkommen gesund sind, daß sie überhaupt gar keine Anlage zu einer solchen Krankheit hat. Das Nervenleiden ist zu beseitigen, die vier Wochen hier in Kairo haben schon überraschenden Erfolg gehabt, und wenn Frau Mallner den Winter hier bleibt, bürge ich für ihre Herstellung.“

„Hurra, dann wird geheiratet!“ rief der junge Arzt mit ausbrechendem Jubel. „Kollege, liebster, bester Kollege, nehmen Sie es mir nicht übel, aber für die Nachricht muß ich Ihnen um den Hals fallen, es geht nicht anders!“ Und damit überfiel er wirklich auf offener Straße den Kollegen mit einer herzhaften Umarmung.

„Nur nicht so zuversichtlich,“ warnte dieser lachend. „Die Sache ist noch keineswegs ausgemacht. Ich dächte, Sie hätten schon vorhin einen Vorgeschmack davon erhalten, was Ihnen bei Ihrer Werbung bevorsteht.“

„Sie meinen den Kampf mit dem Drachen, der meinen Schatz bewacht? Pah, den fürchte ich nicht!“

„Nehmen Sie die Sache nicht zu leicht. Die junge Frau ist grenzenlos verschüchtert und unselbständig. Sie wird es gar nicht wagen, sich der Bevormundung ihrer Schwägerin zu entziehen, und diese hat sie, wie es scheint, zu ewiger Witwentrauer verdammt.“

„Jawohl, sie führt das Gespenst des seligen Martin immer im Koffer mit sich und läßt es bei jeder Gelegenheit auftauchen, um die arme Selma zu schrecken. Mich schreckt sie nicht damit, ich schlage mich herum mit dem seligen Bruder und der lebendigen Schwester. Ich hatte nur eine Furcht und die haben Sie mir, Gott sei Dank, genommen. Alles andere schlage ich aus dem Felde!“

Das Gesicht des jungen Arztes strahlte in so glückseligem, siegesgewissem Uebermut, daß Walter ihm herzlich die Hand hinstreckte.

„Nun denn, Glückauf dazu! Aber Sie werden den Kriegsschauplatz verlegen müssen, denn ich schicke die beiden Damen schon in den nächsten Tagen nach Luksor. Jetzt aber kommen Sie mit zu meiner Frau, da wollen wir gemeinschaftlich den Angriffsplan überlegen. Ich wiederhole es Ihnen, leicht ist die Sache nicht. Gnade Gott der armen kleinen Frau, wenn die gestrenge Schwägerin erst dahinter kommt, was bei den medizinischen Studien auf Deck eigentlich passiert ist!“

Damit ergriff er den Arm seines jungen Kollegen und zog ihn mit sich fort.




Bei dem deutschen Generalkonsul fand eine größere Festlichkeit statt. Er versammelte vor seiner Abreise noch einmal den ganzen Freundes- und Bekanntenkreis, und dazu gehörte so ziemlich alles, was Kairo an hervorragenden Persönlichkeiten aufzuweisen hatte.

Die weiten, lichtstrahlenden Gesellschaftsräume des Osmarschen Hauses machten einen blendenden Eindruck; denn hier vereinigte sich der moderne Luxus mit echt orientalischer Pracht. Die schweren Goldstickereien der Stoffe, welche die Wände bis zur halben Höhe bedeckten, die kostbaren Teppiche, die auf dem Boden, auf den Diwans oder als Vorhänge an den Thüren ihre leuchtenden Farben zeigten, all die zierlichen oder prächtigen Werke arabischer Kunst aus alter und neuer Zeit, welche die Salons schmückten, gaben diesen etwas Phantastisches, und die Fächer der Palmen, die hier einen Ruhesitz überschatteten, dort eine kleine Fontäne umgaben, erinnerten vollends daran, daß man sich unter einem fremden Himmel befand.

Die Gesellschaft, welche sich in diesen Räumen bewegte, trug ein ähnliches Gepräge. Zwischen den Seiden- und Atlasroben der Damen, den Uniformen der Herren tauchte überall der orientalische Fez auf. Die deutsche Kolonie war natürlich in erster Reihe vertreten, aber auch viele der englischen Offiziere mit ihren Damen waren anwesend, einige hohe ägyptische Würdenträger und all die Fremden und Einheimischen, für die das glänzende gastfreie Haus einen Mittelpunkt bildete. Das alles wogte und flutete durcheinander. Was nur Anspruch darauf erhob, zur ersten Gesellschaft von Kairo zu gehören, das war hier erschienen.

Herr von Osmar, seine Tochter zur Seite, empfing und begrüßte die Gäste. Zenaide, die früh ihre Mutter verloren, hatte es auch schon früh gelernt, die Dame des Hauses zu spielen, und sie that das mit ebensoviel Anmut wie Sicherheit. Man konnte es dem Konsul nicht verdenken, wenn er keine Eile hatte, sie zu vermählen; er verlor zu viel, wenn sie aus seinem Hause schied.

Lord Marwood schien sich solchen Erwägungen allerdings nicht hinzugeben. Jetzt, wo er der Einwilligung des Vaters sicher war, wagte er es auch, den Anschein der Berechtigung in seine ganz offen dargebrachten Huldigungen zu legen, und die kühle Aufnahme derselben beirrte ihn durchaus nicht. Er war unausgesetzt an der Seite der jungen Dame; wo sie auch weilte, wohin sie sich wandte, überall tauchte die hohe Gestalt des Engländers neben ihr auf, und dabei gab er sich offenbar Mühe, so liebenswürdig wie nur möglich zu sein.

Sonneck und Ehrwald waren gleichfalls anwesend. Der Konsul hatte den jungen Mann, der wochenlang in seinem Hause verkehrt hatte, heute füglich nicht ausschließen können, und es war ja auch keine Gefahr mehr bei der Sache, da die Trennung unmittelbar bevorstand. Zu der ihm so dringend empfohlenen Beobachtung fand Herr von Osmar allerdings jetzt keine Zeit, er wurde als Wirt von allen Seiten in Anspruch genommen und mußte mit aller Welt sprechen, aber er sah zu seiner Beruhigung, daß Lord Marwood die Beobachtung übernommen hatte. Dieser würde es schon zu verhindern wissen, daß nicht etwa in letzter Stunde noch eine unliebsame Annäherung erfolgte.

Augenblicklich befand sich der Konsul im Gespräch mit einem alten Herrn, der soeben erst gekommen war und den er jetzt einigen Mitgliedern der deutschen Kolonie vorstellte: „Herr Professor Leutold, unser Landsmann, dessen Name Ihnen jedenfalls bekannt sein wird und der uns nach langer Zeit einmal wieder mit seinem Besuche erfreut.“

Die Herren verbeugten sich. Der Name des deutschen Gelehrten hatte wie der Sonnecks einen Klang, der weit über sein Vaterland hinaus reichte. Er selbst zeigte trotz seiner weißen Haare in Sprache und Bewegungen noch eine jugendliche Rüstigkeit. Das geistvolle, scharfgezeichnete Gesicht verriet freilich, daß er bereits an der Schwelle der Siebzig stand, aber die Augen leuchteten noch hell und ungetrübt hervor unter den weißen Brauen.

„Ja, es sind beinahe zehn Jahre her, daß ich in Kairo war,“ sagte er. „Wenn man auf einem deutschen Lehrstuhl sitzt, kann man sich selten genug Zeit nehmen zu solchen Ausflügen. Jetzt aber habe ich mich für einige Monate frei gemacht und denke, mich nun hier von all den Amtspflichten zu erholen. Sie wissen ja, die ägyptischen Studien sind von jeher mein Steckenpferd gewesen und ich gedenke die Königsgräber von Theben diesmal gründlich zu durchforschen.“

„Und das nennen Sie eine Erholung?“ rief Osmar lachend. „Ich gratuliere zu den Studien in Staub und Wüstensand! Da werden wir uns also baldigst wiedersehen, Sie nehmen doch wohl Ihren Aufenthalt in Luksor?“

„Das weiß ich wirklich noch nicht,“ versetzte der Professor. „Ich überlasse mich darin ganz der Führung Sonnecks, er weiß hier ja am besten Bescheid und wird uns das Hauptquartier aussuchen.“

Der Konsul stutzte, er wußte allerdings, daß die beiden Herren befreundet waren, aber die letzte Bemerkung befremdete ihn doch.

„Geht denn Sonneck gleichfalls nach Luksor?“ fragte er. „Ich weiß ja keine Silbe davon.“

„Es wurde auch erst gestern beschlossen. Ich habe ihn bestimmt, mitzugehen, er ist augenblicklich noch frei, allerdings zu seinem großen Mißvergnügen, aber es ist doch schließlich gleich, ob er es hier oder in Theben abwartet, daß die Herren am grünen Tisch ihm endlich die Möglichkeit geben, aufzubrechen. Er will ja ohnehin den Weg nilaufwärts nehmen, da muß er Luksor in jedem Fall passieren, und mir ist seine Führung und Begleitung von sehr großem Wert.“

„Allerdings – und Herr Ehrwald geht natürlich auch mit?“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0071.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)