Seite:Die Gartenlaube (1896) 0059.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

entlassen worden und hatte aus Rache die Mühle angesteckt.

Der Wohlstand der Familie war erschüttert und Schindlers Vater war am schwersten betroffen, denn er litt an der Lunge. Ein Mann von lebhaftem, gebildetem Geist und voll Begeisterung für das Schöne, erinnerte er an seinen Bruder, den Parlamentarier und Rechtsgelehrten Julius Alexander, der als Dichter Julius von der Traun hieß. Nun, da der Kampf ums Dasein nochmals von ganz vorne beginnen sollte, fragte er den Arzt auf sein Gewissen, ob dies auch der Mühe wert sei. Er entriß ihm das Geständnis, daß in wenigen Monaten ohnehin alles vorüber sein werde. Der Vater faßte sich als Philosoph, aber wenigstens wollte er von dieser schönen Welt umständlich Abschied nehmen. Und er setzte sich mit seiner Frau in einen Fiaker und durchreiste mit der Gemächlichkeit des Feinschmeckers die ganze Schönheit der engeren und engsten Heimat, die mannigfaltige Herrlichkeit des Wienerwaldes in die Kreuz und Quere, und das „bucklige Land“ mit seinen lauschigen Waldwinkeln und weithin herrschenden Abteien, und all das lachende Donaugelände mit seinen vielerzählenden Burgruinen. Und jedem schönen Baumgreis drückte er noch einmal die Hand, und von jedem murmelnden Bächlein ließ er sich noch einen Auftrag geben für das Jenseits, und an jedem unvergeßlichen Punkte knallte der Pfropfen und er trank dem nachgerade abgethanen Diesseits den letzten Becher zu. Dieser Schwärmer für heimische Natur, der sich als Abkömmling eines Völkchens von leidenschaftlichen Landpartienmachern nicht verleugnen konnte, war der Vater unseres größten Landschaftsmalers.

Emil Jakob trat selbstverständlich in die Schule Albert Zimmermanns, der fast die ganze jetzige Wiener Landschafterei erzogen hat. Er war ihr Piloty. In der Ramsau, wo Zimmermann einem wilden König gleich hauste, zeichnete der Jüngling seine ersten Studien. Im nahen Salzburg, auf Schloß Leopoldskron wohnte sein dichtender Oheim, dessen frisches Töchterlein dem jungen Malbeflissenen leise ans Herz gerührt hatte. In dieser Stimmung traf ihn die Bestellung eines großen Cyklus zu Zedlitz’ „Waldfräulein“, der aber nicht fertig wurde, weil der Besteller unvermutet um sein Vermögen kam. Er war damals ein förmlicher Waldfanatiker und strömte diese Begeisterung auch noch weit später in seinen Tagebüchern aus, welche seitenlange Waldschilderungen enthalten. Die vierzehn ausführlichen Blätter, die ich von dieser Bilderfolge kenne, quellen über von knorriger Waldromantik im Schwindschen Stil, zwischendurch aber keimen schon die zarten Heimlichkeiten der erwachenden Schindlerlandschaft, eine schlankere, luftigere Welt der Stimmungen! Stimmung war das Wort der Zukunft. Er suchte sie zunächst dort, wo seine Wiege gestanden, in den Auen bei Fischamend und Kroatisch-Haslau und bei den Kaisermühlen an der alten Wiener Außen-Donan, wo ein braver Müller sein Herbergsvater wurde. Und dann folgte er dem munteren Donauweibchen stromaufwärts nach Weißkirchen bei Krems, wo er jene buntwuchernden Bauerngärtchen zu malen begann, in denen jede Brennnessel zur Zierpflanze wird, und die dann von tausend Malerinnen nachgepinselt wurden. Dann eroberte er den heimischen Prater, diese unerschöpfliche Welt feinster Motive. Im Prater fand er, was die französischen Impressionisten im Walde von Fontainebleau gefunden hatten: das lyrische Innenleben der Natur. Er malte den silbernen Flimmer der Aulandschaft, das säuselnde Schwanken des Rohres in den Tümpeln, das ewige Zittern der Silberpappel und Erle, eine vibrierende, von Schleiern umwallte Welt voll Morgenträumen und Nachmittagsschlummern. Und abends ging ihm der volle Mond über schauernden Wassertümpeln auf und gewann ihm die ersten Goldmedaillen. Er war damals durchaus Pratermensch und machte Schule, besonders weibliche. Die ahnungsvolle Sehnsucht des Vorfrühlings und die hingesprenkelte Märchenbuntheit des Spätherbstes waren seine Lieblingsmotive, deren lyrische Töne er anschlug wie keiner vor ihm.

Er wohnte dazumal im Prater, in einem der beiden Kunstpavillons, die von der Wiener Weltausstellung übrig geblieben sind. Manchen lauen Sommerabend haben wir damals zusammen verlebt, dort draußen im „dritten Kaffeehause“ oder im „Schweizerhause“; eine ganze Künstlergruppe war dort freundschaftlich zusammengewachsen, lauter junge Leute, denen der Himmel voll echter Stradivarigeigen hing! Es waren die Modernen von damals, „Secessionisten“ ohne Secession. Gegen Mitternacht brach Schindler auf und wanderte mit seiner gewaltigen mausgrauen Dogge, die er zum Schutz gegen die zu Zeiten berüchtigten Praterstrolche bei sich führte, durch die Schatten der Waldnacht seiner Werkstätte zu. Es war ein treues Tier, das sich im Gehen immer eng an ihn drückte und stets zwischen ihm und einem etwa Begegnenden zu finden war. Schindler hauste im Prater wie ein großer Herr. Sein Atelier war im persönlichsten Geschmacke ausgeschmückt, es schmeckte nach dem künstlerischen Saus und Braus jener Jahre, der prachtfrohen Makartzeit. Sogar ein Gärtchen hatte er sich vor seiner Thüre angelegt; Spuren davon finden sich noch heute. Das füllte er mit absonderlichem Pflanzenwuchs und auch Getier, kriechendem und fliegendem. Selbst ein prächtiger Widder war darunter, ein so malerisches Exemplar, daß Hans Makart ihm sein besonderes Wohlwollen widmete. Einst, als Makart sich mit dem Widder unterhielt, fragte er Schindler von ungefähr: „Du, wie heißt er denn eigeutlich?“ – „Hans,“ antwortete jener. Makart stutzte, ließ den Widder stehen und ging schweigend ins Haus. Nach geraumer Weile, als kein Mensch mehr an den Zwischenfall dachte, sagte Makart plötzlich: „Du, Schindler, ich muß Dich um etwas bitten.“ – „Was denn?“ – „Wenn Du Dir wieder einmal einen Widder anschaffst, so heiß’ ihn Emil.“ Die kleine Scene ist bezeichnend für die Art und Weise Makarts, in dessen großem Ariadnebild übrigens ein Widderpaar noch Zeugnis von seiner Vorliebe für jenen krummgehörnten Namensvetter giebt.

Schindler gehörte nämlich schon damals zu Makarts Kreise. Diese üppige, phantastische Lebewelt war ihm nicht zuträglich. Man lebte im Farbenrausche dahin und über seine Kräfte hinaus. Alle Philisterei war verbannt, auch das leidige Rechnen, welche Kunst Schindler überhaupt nie gelernt hatte. Dem Gelde gegenüber war er zeitlebens ein Kind, und auch Nein zu sagen, war seine Sache nicht. Er kaufte alles, was man ihm anbot, von einer alten Stickerei bis zu einem Keller voll Wein hinab. Er war eines der glänzendsten Ausbeutungsobjekte für gewissenlose Händler. Hatte er vollends Geld bei sich, so flog es ihm beim ersten Ausgang sicher davon. Eine tüchtige Frau wäre für ihn der größte Segen gewesen und er fand sie zu rechter Zeit. Auch dies war kein bürgerlicher Roman. Auf dem Faschingstheater der Künstlergenossenschaft pflegten burleske Operetten aufgeführt zu werden: „Friedrich der Heizbare“, „Das Wasserweib“ u. dergl. Franz Mögele hieß ihr lustiger Komponist. Schindler, ein leidenschaftlicher Musikfreund und geschmackvoller Tenorist, sang jahrelang die Liebhaber. Ein schönes Hamburger Fräulein aus dem Konservatorium war seine Partnerin. Manche Probe und Aufführung näherte die beiden jungen Herzen und eines Abends, in gehobener Theaterstimmung, warb er um sie. Das war 1878. Mit seiner jungen Frau hauste der Künstler wieder in der Stadt und malte zwei Jahre lang in Makarts kleinerem Atelier. Es war die letzte Frist jenes weltvergessenden, freien Künstlerstrebens, ohne Boden unter den Füßen. Makart malte eben sein Riesenbild „Einzug Karls V.“ Gar manchen Zug darin hat die junge Frau eigenhändig gekleckst, denn auf ihr tadelndes Dreinreden pflegte ihr Makart Pinsel und Palette in die Hände zu drücken mit den Worten: „Na, so machen Sie’s halt besser.“ In jenem Getümmel von Farben merkte man ihre Mitwirkung ohnehin nicht.

Aber schon stand Schindler an der Schwelle seiner schwersten Zeit. Das Gebäude seiner Schulden brach über ihm zusammen und begrub ihn unter Trümmern, welche die Wirtschaftskunst seiner Frau erst in vieljähriger planmäßiger Arbeit hinwegzuräumen vermochte. Erst kurz vor seinem Tode wurde sie damit fertig. Nun pochte einstweilen die bare Not an ihre Thüre. Bilder waren unverkäuflich, der Kredit Null. Im Hause fehlte das tägliche Brot, im Ofen der Brocken Steinkohle; kaum daß der Faden am Leibe noch hielt. Das scheint unglaublich, aber ein Tagebuch, in dem sich der schwer Bedrängte thränenlos auszuweinen pflegte, hat das Andenken dieses Elends bewahrt. „B. gab mir einen Gulden“, das ist noch einer der fröhlichsten Sätze darin. Schwere Krankheit kam hinzu; Diphtheritis, Blutvergiftung. Anderthalb Jahre lang schien er dem Tode verfallen. Die ziemlich kleine, aber früher zur Fülle neigende Gestalt ging ein, auf die schöne Wölbung seines Schädels lagerte sich der melancholische Frühschnee eines geprüften Lebens. Wo war die Zeit, da er noch in fast paradoxem Idealismus stundenlang von kühnen und tiefen Reden über seine Kunst und über Musik übersprudeln konnte! Auch die Pinsel ruhten, er war so gut wie tot. Borkum, die Nordsee machten ihn wieder lebendig.

In allen diesen Jahren hatte sich seine Kunst mit Natur vollgesogen und nach einander merkwürdige Gesichter angenommen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0059.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)