Seite:Die Gartenlaube (1896) 0055.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

an den Kämpfen und Gefahren hoffentlich auch nicht. Wer weiß, vielleicht erobere ich mir dabei eine von den schönen Feen des Morgenlandes und mit ihr das Zauberreich der Fata Morgana!“

Die Sonne war gesunken und auch die rote Glut im Westen begann zu erblassen. Der Abendwind, der mit Sonnenuntergang aufgewacht war, machte sich fühlbar hier oben auf der luftigen Höhe. Er wehte scharf vom Nil herüber und ließ den Schleier am Hute der jungen Dame hoch aufflattern. Sonneck mahnte zum Aufbruch. „Wir müssen fort, es wird kühl und Sie sind sehr leicht gekleidet, Zenaide. Aber seien Sie vorsichtig beim Hinabsteigen, die Stufen sind uneben. Soll ich Sie führen?“

Die Frage war überflüssig, denn Ehrwald hatte der jungen Dame bereits die Hand geboten und leitete sie abwärts. Ihr Fuß glitt leicht genug über die zerbröckelnden Stufen und ihr Auge blickte schwindelfrei in die Tiefe, dennoch lehnte sie die angebotene Unterstützung nicht ab, ihre Hand lag fest in der Reinharts und ihre Wangen färbten sich höher dabei. Sonneck, der ihnen unmittelbar folgte, mochte seine eigenen Gedanken haben, denn es spielte ein leises Lächeln um seine Lippen, während sein Blick auf den beiden ruhte.

Jetzt hatten sie den Boden erreicht und schritten über den weiten öden Hof der Moschee, den kein Sonnenglanz mehr erfüllte, nur durch die Fensteröffnungen sah man noch den lichten Abendhimmel. In den Säulengängen lagerten schon tiefe Schatten und der Taubenschwarm hatte seine Schlupfwinkel aufgesucht.

Ueberall Abendruhe und Stille, aber als sich die Pforte vor ihnen öffnete, empfing die Hinaustretenden wieder das ganze brausende Leben Kairos und umwogte sie während der Fahrt, bis der Wagen vor dem Osmarschen Hause hielt. Hier verabschiedeten sich die beiden Herren von der jungen Dame und kehrten zu Fuß nach ihrem Hotel zurück. Es dunkelte bereits, als sie dort anlangten, aber es war noch eine volle Stunde bis zum Diner und Sonneck, der ungern in geschlossenen Räumen verweilte, suchte mit seinem Begleiter das flache Dach des Hauses auf, das man mit einzelnen Sitzen und Zierpflanzen zu einer Art hochgelegener Terrasse umgestaltet hatte. Es bot einen schönen Ausblick über die Stadt und wurde von den Gästen häufig aufgesucht. Jetzt freilich befand sich niemand mehr dort, und die beiden späten Besucher konnten ungestört plaudern.

Sie hatten sich niedergelassen und ihr Gespräch drehte sich, wie jetzt zumeist, um die bevorstehende Expedition. Reinhart ließ wieder seiner Ungeduld den Zügel schießen und erging sich in allen möglichen Plänen und Vorschlägen zur Beschleunigung der Sache, aber Sonneck schüttelte nur den Kopf dazu.

„Das ist alles nicht ausführbar,“ sagte er. „Hier heißt es warten und Geduld haben. Was stürmst und drängst Du denn so ungestüm vorwärts? Dich müßte Kairo doch jetzt mehr fesseln als jeden anderen und – wer weiß – wenn es endlich zur Abreise kommt, bist Du es vielleicht, der sie verzögert und hinausgeschoben zu sehen wünscht.“

„Ich? Niemals!“ rief der junge Mann hastig. „Was soll mich hier fesseln?“

„Eine seltsame Frage! Siehst Du wirklich nichts, oder willst Du nicht wissen, daß Du nur die Hand auszustrecken brauchst, um ein Glück zu gewinnen, um das Dich ganz Kairo beneiden würde.“

„Und wenn ich es wüßte! – Halten Sie es für ein Glück, der Mann einer reichen Frau zu sein?“

„Nein,“ sagte der Aeltere ernst, „aber der Gatte eines holden, liebenswerten Geschöpfes zu sein, das mit ganzer Seele an Dir hängen würde – das ist ein Glück, und der Glanz und Reichtum, der es hier umgiebt, würden es wohl nicht gerade beeinträchtigen.“

Es vergingen einige Sekunden, ehe Reinhart antwortete, endlich fragte er halblaut: „Und Herr von Osmar? Glauben Sie, daß ich ihm als Freier willkommen wäre? Daß Zenaide sich entschließen könnte, einem Manne anzugehören, den sein Beruf immer wieder von ihrer Seite reißt, der nur Monate bei ihr weilen kann und dann wieder hinauszieht in die Ferne?“

Sonneck zuckte mit vielsagendem Lächeln die Achseln.

„Das fragst Du mich? Du mußt eben die Probe machen, das Zagen und Bedenken ist doch sonst Deine Sache nicht! Uebrigens ist das ein Los, das die Frau jedes Schiffskapitäns auf sich nimmt, und wie Ihr beide nun einmal geartet seid, ist es das einzige, was Eurem Glücke Dauer verspricht. Die Gewohnheit, das Alltagsleben einer friedlichen Ehe ertragt Ihr vielleicht beide nicht, aber Trennung und Gefahr würden Eurer Liebe immer neuen Reiz geben und jedes Wiedersehen wäre eine neue Brautzeit. – Doch wozu all diese Erörterungen, hier handelt es sich nur um eins – liebst Du Zenaide?“

Reinhart hatte sich wieder niedergelassen und stützte den Kopf in die Hand. „Ich weiß nicht,“ sagte er langsam. „Ich habe mich bisher noch nie ernstlich gefragt.“

„So frage Dich und dann rede – oder schweige. Ich will Dich nicht beeinflussen, aber eine Natur wie die Deinige braucht einen Zügel, muß irgendwo Wurzel fassen, wenn sie sich nicht ins Schrankenlose verlieren soll. Da träumst Du von einem märchenhaften, unermeßlichen Glück, das da irgendwo in endloser Ferne liegt, und hast kein Auge dafür, daß die holde Wirklichkeit dicht neben Dir steht und Dir die Hand bietet. Entscheide Dich – noch hast Du die Wahl!“

Er stand auf und wandte sich zum Gehen. Reinhart gab keine Antwort und folgte ihm auch nicht, aber man sah es, die Mahnung war diesmal nicht wirkungslos geblieben; wohl zehn Minuten lang verharrte der junge Mann unbeweglich an seinem Platze, dann erhob er sich und trat an die Brüstung.

Tief unten brauste der Straßenlärm von Kairo, der gegen Abend nur zuzunehmen schien, und überall blinkten die Lichter auf. Dort, über dem Gebiet des Nils, lag jetzt Nacht und Dunkel, aber die Sternbilder leuchteten am Himmel in ihrer vollen Pracht, sie schienen so viel größer, so viel näher als in der fernen nordischen Heimat. Diese geheimnisvolle, sternfunkelnde Nacht des Orients, sie hatte auch etwas von dem lockenden gefährlichen Zauber, der Reinhart jetzt wieder mit Macht umfing. Das schöne Antlitz mit den dunklen sehnsüchtigen Augen, das eben noch so deutlich vor ihm stand, erblich mehr und mehr und sein Blick verlor sich in jene Sternenweiten.




In der Muski, der großen Verkehrs- und Geschäftsstraße Kairos, wogte das bunte, rastlose Treiben, das sich hier tagtäglich vom frühen Morgen bis zum späten Abend entfaltete. Vor den Kaufgewölben, die in ununterbrochener Reihe die beiden Seiten der Straße säumten, standen Händler und Käufer, anpreisend und feilschend, ganz unbekümmert um das Menschengewoge, das sich an ihnen vorüber drängte und schob. Ernste würdevoll dahinschreitende Gestalten mit lang herabwallenden Bärten, den Turban auf dem kahlgeschorenen Haupte, Frauen in schleppenden dunkelblauen Gewändern, Kopf und Antlitz so dicht verhüllt, daß nur die Augen allein sichtbar waren. Schwarze und braune Burschen, nur halb bekleidet, allerlei Waren ausrufend und anbietend. Dazwischen rollten die Wagen, deren Kutscher Mühe hatten, die schnaubenden, bäumenden Pferde in dem Gewühl vorwärts zu bringen, hochbeladene Kamele schritten langsam und feierlich dahin, Reitesel, deren Führer ihre mit bunten Ketten und Münzen aufgeputzten Tiere mit lautem Geschrei Fremden und Einheimischen anpriesen, drängten die Fußgänger beiseite. Ueberall Staub und Lärm, überall ein dichtes Gewühl von Menschen und Tieren, das in der engen Straße oft lebensgefährlich zu werden drohte, und dazu brannte die Mittagssonne mit einer wahren Sommerglut, obwohl man sich mitten im Winter befand. Der Anblick war sinnverwirrend und doch so malerisch und phantastisch, so reizvoll in seinem ewigen Wechsel, daß sich das Auge nicht satt daran sehen konnte.

Am Eingange zu den Bazaren, wo das Gedränge am ärgsten war, tauchte jetzt eine lange, hagere Gestalt auf, die sich mit Schultern und Ellbogen sehr energisch Platz machte. Dabei schwang sie einen ungeheuren Sonnenschirm wie ein Notzeichen über dem Kopfe und rief unaufhörlich mit lauter durchdringender Stimme: „Selma! Selma!“ Der Ruf ging völlig unter in dem Straßenlärm und wurde auch nicht beachtet, man rief und schrie ja hier alles mögliche aus, nur ein Herr in europäischer Kleidung, der gerade vorüberging, blieb stehen, sah sich um und grüßte dann flüchtig.

„Guten Tag, Fräulein Mallner.“

„Herr Doktor Walter!“ rief Ulrike, die nicht sobald den Doktor erblickt hatte, als sie sich schleunigst zu ihm durcharbeitete und ihn am Arm packte. „Gott sei Dank, daß ich Sie finde! Sie müssen mir helfen. Meine Schwägerin ist mir abhanden gekommen, sie ist verloren gegangen und ich kann sie nicht wiederfinden!“

„Ah!“ sagte Walter überrascht, aber Fräulein Mallner fuhr ihn mit gewohnter Rücksichtslosigkeit an:

„‚Ah‘! kann jeder sagen! Sie sollen mir suchen helfen!“

„Das kann auch jeder sagen,“ versetzte der Doktor trocken. „Wollen Sie mir nicht gefälligst erklären, wo und wie Sie von Ihrer Schwägerin getrennt worden sind?“

Ulrike deutete auf den Eingang zu den Bazaren.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0055.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)