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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)


Fata Morgana.

Roman von E. Werner.

     (2. Fortsetzung.)


Am Frühstückstische des Doktors entspann sich jetzt eine lebhafte Unterhaltung, bei der sich nur Sonneck schweigsam und zerstreut zeigte. Man sah es, wie schwer die Nachrichten über Bernried, die er von dem Arzte empfangen hatte, auf ihm lasteten. Ehrwald sprühte dagegen wie gewöhnlich von Uebermut und spielte den Liebenswürdigen bei Frau Doktor Walter, die sich so wenig wie ihr Mann dem Zauber seiner Persönlichkeit entziehen konnte. Endlich brachen die Herren auf, Sonneck verabredete noch mit dem Doktor die Stunde, wo sie im Hospital zusammentreffen wollten, und wandte sich dann wieder zu dem Kinde.

„Nun, Elsa, willst Du mir nicht Lebewohl sagen?“ fragte er freundlich.

Klein-Elsa besaß jedenfalls einen stark ausgesprochenen Eigenwillen. So entschieden sie sich von Ehrwald abgewandt hatte, so zutraulich zeigte sie sich seinem älteren Freunde gegenüber. Sie kam sofort herbei, bot ihm die Hand und ließ sich zum Abschied küssen.

„Nun, kleine Landsmännin, wollen wir nicht auch Frieden schließen?“ sagte Reinhart scherzend. „Du hast mich zwar sehr schlecht behandelt, aber ich will es Dir nicht nachtragen.“

Er machte Miene, sich gleichfalls zu nähern, aber es bedurfte nur dieser Bemühung, um sofort wieder die ganze Feindseligkeit des Kindes zu entfesseln. Es flüchtete hinter Sonneck und rief angstvoll und zornig zugleich:

„Er soll mich nicht wieder küssen! Nicht wahr, Du leidest es nicht?“

„Gewiß nicht,“ beschwichtigte Sonneck. „Laß das Kind in Ruhe, Reinhart, Du siehst ja, es fürchtet sich vor Dir!“

„Fürchten?“ wiederholte der junge Mann, halb ärgerlich, halb belustigt durch diesen Widerstand. „Da sind Sie doch im Irrtum. Sehen Sie nur, wie das kleine Ding dasteht, als wolle es sich auf Leben und Tod gegen mich verteidigen! Was habe ich Dir denn gethan, Du Trotzkopf? Ich habe Dich ja nur geküßt.“

Da flammte es wieder auf in den Augen des Kindes, ebenso seltsam wie vorhin, und mit der ganzen früheren Leidenschaftlichkeit rief es:

„Ich wollte, Du hättest mich lieber geschlagen!“

Reinhart trat unwillkürlich einen Schritt zurück, aber seine Stirn zog sich finster zusammen, er schien förmlich beleidigt zu sein.

„Nun, schmeichelhaft ist das gerade nicht für Dich,“ sagte Sonneck mit leisem Spott. „Du bist etwas verwöhnt in dieser Beziehung und nun findest Du auf einmal eine junge Dame, die lieber einen Schlag als einen Kuß von Dir hinnehmen will. Merke Dir das, Reinhart!“

Der junge Mann lachte laut auf, aber das Lachen klang etwas gezwungen und dabei fiel ein tiefgereizter Blick auf das Kind, das ihn unverwandt anschaute.

„Nun, ich werde mich wohl zu trösten wissen über meine Niederlage,“ entgegnete er achselzuckend und wandte sich zu dem Doktor und seiner Frau, um sich zu verabschieden.

„Was war denn das heute mit Elsa?“ sagte Frau Walter, als sie allein waren. „Das Kind ist sonst so liebenswürdig, so habe ich es ja noch niemals gesehen.“

Der Doktor blickte nachdenklich auf die Kleine, die ihr Spiel mit dem Hündchen wieder begonnen hatte, und entgegnete ernst:

„Ich fürchte, Sonneck hat recht, es ist das Blut des Vaters, das sich da verrät. Aber wir wollen Klein-Elsa nicht schelten, heute nicht – denn vielleicht wird sie schon heute abend eine Waise sein.“




Der überraschende Verlauf des Rennens bildete noch am nächsten Tage das Hauptgespräch in der Gesellschaft von Kairo. Man sprach überall von der „Faida“ des deutschen Generalkonsuls, von Reinhart Ehrwald und auch von dem vielbeklagten „Darling“, der infolge seiner Verletzung hatte getötet werden müssen, von seinem Herrn war nur sehr wenig die Rede. Man fand jenen ersten „rücksichtsvollen“ Ausspruch des englischen Arztes, daß der Sturz wohl keine schweren Folgen haben werde, sehr bequem, denn nun war man der Mühe überhoben, sich eingehend um den Gestürzten zu kümmern, und konnte in einigen Tagen wieder nachfragen. Es fiel niemand ein, sich näher zu erkundigen oder den Kranken aufzusuchen. Bernried hatte in der That keinen einzigen Freund in Kairo, nur Bekannte, die mit ihm verkehrten, weil er doch nun einmal ein deutscher Baron war und sich in der Sportswelt geltend zu machen wußte.

Seine Abkunft war allerdings zweifellos. Er war der jüngere Sohn einer alten, süddeutschen Adelsfamilie und schien in seiner Jugend ein echtes Kind des Glückes gewesen zu sein. Schön, reich begabt, mit allen möglichen blendenden Eigenschaften ausgestattet, gewann er sich alle Herzen. Er stand als junger Offizier mit seinem Regimente in der Universitätsstadt, wo Sonneck sich kürzlich als Docent niedergelassen hatte, und dort knüpfte sich die Freundschaft zwischen den beiden an.

Lothar Sonneck, der nur einige Jahre älter war, galt für ernst und verschlossen, aber er hatte schon damals den Kopf voll von all den Zukunftsplänen, die er später so glänzend verwirklichte. Er stammte von armen Eltern, hatte mit eisernem Fleiße seinen Studien obgelegen und gab sich nun mit demselben Eifer seinem Berufe hin. Kurz, er war in allen Stücken der Gegensatz zu dem jungen, lebenslustigen Offizier, dem die reichsten Mittel zu Gebote standen, und vielleicht war es gerade diese Verschiedenheit, die sie zu Freunden machte.

Professor Helmreich, der damalige Rektor der Universität, nahm an dieser wie in der Gesellschaft eine der ersten Stellen ein. Er war mit dem Vater Sonnecks befreundet gewesen und blieb auch dem Sohne ein väterlicher Freund. Lothar verkehrte oft und viel in seinem Hause, wo eine einzige Tochter aufwuchs, und vielleicht war es der geheime Wunsch des Professors, daß der junge hochbegabte Mann, für den er eine glänzende Zukunft voraussah, ihm einst noch näher treten möge. Vorläufig aber gab sich von beiden Seiten keine tiefere Neigung kund und es blieb bei einem fast geschwisterlichen Verhältnis zwischen den jungen Leuten.

Da brachte Sonneck seinen Freund in das Helmreichsche Haus und führte damit, ohne es zu ahnen, das Unheil über dessen Schwelle. Bernried, der leicht entflammt und hingerissen war, verliebte sich leidenschaftlich in das schöne Mädchen und gewann im Sturme dessen Herz, fand aber dann, vielleicht zum erstenmal in seinem Leben, eine unübersteigliche Schranke in dem Widerstande des Professors. Die Bernriedsche Familie war als hochmütig und adelsstolz bekannt und der jüngere Sohn war mit seiner Zukunft ganz auf den Vater angewiesen. Helmreich sah eine endlose Reihe von Kämpfen und Demütigungen für seine Tochter voraus und versagte mit aller Entschiedenheit seine Einwilligung so lange, bis der Bewerber die volle rückhaltlose Zustimmung seiner Eltern bringe.

Bernried wußte am besten, daß man ihm damit eine unmögliche Bedingung stellte, denn, ganz abgesehen davon, daß seine Eltern eine derartige Heirat niemals zugegeben hätten, standen hier noch ganz andere Familieninteressen auf dem Spiel. Da die Güter Majorat waren, das nur der ältere Sohn erbte, hatte man beizeiten Sorge getragen, auch dem jüngeren dasselbe glänzende Los zu sichern. Ihm war bereits die Hand einer entfernten Verwandten, einer reichen Erbtochter, zugesagt, die noch in sehr jugendlichem Alter stand und die er erst in einigen Jahren heimführen sollte. Von einer Preisgabe dieser Pläne von seiten seiner Eltern konnte nicht die Rede sein.

Lothar Sonneck war selbstverständlich der Vertraute des jungen Paares und that, was er nur konnte, um den Freund zum Abwarten, zum ruhigen Ausharren zu bestimmen, bis er wenigstens die Einwilligung des Professors erlangt haben werde; aber er predigte tauben Ohren. Der vom Glück verwöhnte junge Baron war gewohnt, alles im Sturme zu erreichen und zu erringen, und glaubte, das auch hier durchsetzen zu können. Als das erste schroffe Nein von seinem Vater eintraf, zugleich mit dem Befehl, sofort nach Hause zu kommen, damit den „tollen Streichen“ ein Ende gemacht werde, griff er ohne Besinnen zu einem Gewaltmittel.

Er bestürmte den Freund, ihm eine letzte Zusammenkunft mit der Geliebten zu ermöglichen, von der ihn das strenge Verbot ihres Vaters fernhielt. Sonneck entschloß sich nur widerstrebend dazu, und erst als Bernried ihm versprach, daß es nur ein Abschied sein sollte, vertraute er und gab nach. Das Vertrauen wurde getäuscht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0038.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2023)