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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

begann laut und bitterlich an zu weinen, sein ganzer Körper bebte in krampfhaftem Schluchzen.

„Das ist die Erziehung, oder vielmehr der Mangel an Erziehung von seiten des Vaters,“ sagte Walter, aber Sonneck schüttelte leise den Kopf.

„Nein, Doktor, es ist das Blut des Vaters, das sich in dem Kinde verrät. Gerade so wild und maßlos bäumte sich Bernried auf, wenn ihm von Menschen oder Verhältnissen ein Zwang geschah, und seine Tochter hat diese unselige Charakteranlage geerbt, wie man sieht!“

„Wenn ich nur wüßte, was mit Elsa in der nächsten Woche geschehen soll,“ nahm Frau Walter wieder das Wort, während sie sich bemühte, das noch immer schluchzende Kind zu beruhigen. „Wir haben einen Besuch in Ramleh versprochen, wo in der Familie eines uns befreundeten Landsmannes eine Hochzeit gefeiert wird, und mein Mann hat sich mit Mühe für acht Tage frei gemacht. Mitnehmen können wir die Kleine nicht und ebensowenig sie allein unserer arabischen Dienerschaft überlassen. Ich weiß für den Augenblick wirklich niemand –“

„Ueberlassen Sie das mir,“ fiel Sonneck rasch ein. „Ich werde Fräulein von Osmar bitten, sich des Kindes anzunehmen, und bin überzeugt, sie thut es mit Freuden.“

„Das wäre freilich ein Ausweg. Aber der Konsul? Wird es ihm recht sein?“

„Gewiß, er läßt seiner Tochter volle Freiheit in solchen Dingen. Ich verbürge mich für seine Zustimmung.“

„Es wäre nur für acht Tage, dann hole ich mir meinen kleinen Liebling wieder. Am liebsten behielte ich ihn ganz, aber das wird wohl nicht möglich sein.“

„Nein, gnädige Frau, denn der Großvater, Professor Helmreich, wird das Kind jedenfalls beanspruchen. Das düstere Haus des alten, strengen Mannes wird freilich ein trauriger Aufenthalt sein für das sonnige kleine Wesen, aber er überläßt seine Enkelin schwerlich fremden Händen.“

Er hatte mit gedämpfter Stimme gesprochen, um von der Kleinen nicht gehört zu werden, aber diese achtete gar nicht auf das Gespräch. Sie hatte sich nach und nach beruhigt und tröstete sich jetzt mit einem Stück süßen Backwerks, das sie gewissenhaft mit dem bittenden Hündchen teilte.

(Fortsetzung folgt.)


Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit.

Straßenbahn mit Gasbetrieb.

Kampf auf der ganzen Linie! – Auf der einen Seite heißt die Losung „Gas“, auf der andern „Elektrizität“.

Zunächst entbrannte der Kampf auf dem Gebiete der Beleuchtung und es schien fast, als sollte die Elektrizität jeden Mitbewerb aus dem Felde schlagen; jedoch, dank der Einführung der Regenerativlampen und insbesondere des Auerschen Glühlichtes, hat das Gas sein bisheriges Ansehen gerettet und ist wieder zu Ehren gekommen.

Nunmehr warf sich der Kampf zwischen denselben Gegnern auf den Betrieb der für den Kleinverkehr von Tag zu Tage wichtiger werdenden Straßenbahnen. Die Vorzüge des elektrischen Betriebes waren so einleuchtend, daß diese Bahnen im Siegeszuge sich des ganzen Verkehrs bemächtigen zu wollen schienen.

Inzwischen hatten sich jedoch auch die Gasmotoren zu einer hohen Stufe der Vollkommenheit ausgebildet. Kein Wunder, daß man daran dachte, diese billige und bequeme Betriebskraft auch für den Straßenbahnbetrieb zu verwenden. Unterstützt wurde dies Bestreben dadurch, daß man schon früher gelernt hatte, das Gas zu komprimieren und dadurch in einem verhältnismäßig kleinen Raume aufzuspeichern. Mit Hilfe solcher Gasspeicher waren schon seit geraumer Zeit die Eisenbahnwagen mit Leuchtgas versehen worden. Eine Erfindung von Julius Pintsch in Berlin, dessen sog. Druckregulator, ermöglichte es, das Gas mit vollkommen gleichmäßigem Druck austreten zu lassen. Durch geschickte Vereinigung dieser bereits bekannten und bewährten technischen Einrichtungen gelang es nun – jedoch auch erst nach vielen mühsamen Versuchen – dem Ingenieur Lührig in Dresden, einen brauchbaren Gasmotorwagen zu erbauen. Leider erlebte er nicht mehr die Freude, sein Werk vollendet zu sehen – im Juli 1893 verschied er inmitten der Bestrebungen, seine Erfindung zu verwerten. Aber seine Arbeit war nicht vergebens gewesen.

Wagen der Dessauer Gasbahn.

Im März 1894, nachdem schon vorher in Dresden vielversprechende Versuche mit dem Gasmotorwagen gemacht worden waren, trat die „Dessauer Straßenbahn-Gesellschaft“ mit dem zur Ausführung genügenden Kapital zusammen. Mit der Anlage einer Strecke von 4,4 Kilometern wurde der Anfang gemacht und die Bahn bewährte sich so, daß schon bald eine Erweiterung derselben erforderlich wurde. Auch die schwere Probe, die ein strenger lange dauernder Winterfrost jeder Straßenbahn auferlegt, hat die Dessauer Bahn gut bestanden.

Die Wagen unterscheiden sich im Aeußern nur wenig von den gewöhnlichen Straßenbahnwagen, wie dies auch unsere Abbildung zeigt. Unterhalb des Wagens, und zwar neben und zwischen den Radachsen, liegen drei cylindrische Behälter, die den Gasvorrat aufzunehmen bestimmt sind. Das Gas wird auf einen Druck von 6 Atmosphären zusammengepreßt, so daß die Behälter die sechsfache Menge Gas aufnehmen können, als ohne Preßpumpe möglich wäre. Die Preßpumpen sind in einem besonderen, kleinen und unscheinbaren Gebäude untergebracht, wo sie durch einen Gasmotor betrieben werden. Dieser füllt einen oder mehrere Vorratsbehälter, aus dem das Gas mittels eines beweglichen Schlauches in die Gasbehälter des Wagens gefüllt wird. Die hierzu erforderliche Arbeit ist in einigen Minuten vollendet, alsdann ist der Wagen zur Fahrt bereit; er bedarf erst nach vollendeter Reise einer erneuten Füllung. Bis dahin ist er von der Gasleitung unabhängig.

Zu dem Betriebe werden reichlich stark – auf sieben Pferdekraft – bemessene Motoren verwendet. Ihre beiden Cylinderkolben wirken auf eine gemeinsame Kurbelwelle. Die Zündung des Gases geschieht auf elektrischem Wege, also in der sichersten Weise. Der Motor liegt völlig versteckt unter einer Sitzreihe und ist vom Innenraume des Wagens vollständig getrennt. Sein Schwungrad ist in der Abbildung durch die geöffnete und nur nach außen zu öffnende Wagenthür erkennbar. Aus Gründen der öffentlichen Sicherheit ist dem Wagen eine Geschwindigkeit von höchstens 12 Kilometern in der Stunde vorgeschrieben; es würde jedoch nicht schwer fallen, diese Geschwindigkeit aufs Doppelte zu steigern.

Die Wagen haben 12 Sitzplätze, 14 Stehplätze und 2 Plätze für die Bedienungsmannschaft, können also 28 Personen befördern. Die Kraft der Maschine gestattet jedoch, unbeschadet der Geschwindigkeit Anhängewagen zu benutzen.

Für die bevorstehende Erweiterung sind etwas größere Wagen in Aussicht genommen.

Der bisherige Betrieb der Dessauer Bahn ist durchaus günstig verlaufen; die unvermeidlichen Kinderkrankheiten, wie sie bei einer so vollständig neuen und allerersten Anlage stets vorkommen, sind glücklich überwunden. Die Anlage- und Betriebskosten stellen sich – bei vorhandenem Gaswerke, was jetzt wohl in einigermaßen verkehrsreichen Orten als vorhanden angenommen werden kann – erheblich billiger als bei allen andern Betrieben. Die vielen Klagen über Verunstaltung des Straßenbildes durch die elektrischen Leitungen fallen fort. Gasexplosionen, wie sie ängstlichen Gemütern vielleicht vorschweben, sind bei den Gasbahnen kaum denkbar. Ein Uebelstand, wenn er auch gering erscheint, ist das Rütteln des Wagens während des Haltens, wobei die Maschine langsam in Bewegung bleiben muß. Es ist jedoch nicht zu bezweifeln, daß dieser Uebelstand seine baldige Hebung finden wird. – Die in Dessau zum erstenmal vorgeführte, echt deutsche Erfindung hat in technischen Kreisen großes Interesse hervorgerufen und viele Nachfragen wegen Neuanlagen von Straßenbahnen mit Gasbetrieb, ja auch Bestellungen auf dieselben herbeigeführt.

Die böse Konkurrenz hat also hier – hoffen wir zu allseitigem Vorteil – einmal wieder gute Folgen gehabt: „besseres Licht“ und „billige Fahrgelegenheit“. A. Hollenberg.     


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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0027.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2023)