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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)


gemacht hat, beginnt die Ernte. – So heiteren Sinnes und mit so ruhelosem, fröhlichen Fleiß, wie ihn der Juli und der August auf dem golden schimmernden Aehrenfelde sehen, läßt es sich auf dem Eise, bei Ostwind und bedecktem Himmel, nicht arbeiten, aber die Einbringung des Schilfes gewährt doch gerade zur schlimmsten Zeit des Jahres vielen Bewohnern der Havelniederung lohnende Beschäftigung. Es ist ein ernstes, mühevolles Thun, und trotz der Kälte, trotz der nahen Berührung mit dem „Parkett des Königs Winter“ kostet’s manchen Schweißtropfen. Man erntet das wertvolle Rohr gewiß seit Urväterzeiten, und just die Früheren, die es beim Bau ihrer Katen und in den Ställen gar nicht entbehren konnten, waren darauf angewiesen wie aufs liebe Brot – indes nirgendwo haben sich freundliche und neckische Bräuche, mit denen das märkische Volk sonst all sein Thun und Schaffen so gern umhängt, bei dieser Arbeit herausgebildet. Werkzeug und Art der Einbringung sind geblieben wie sie immer waren, sie erinnern in fesselndster Weise daran, wie die alte, wendische Bevölkerung zu ernten pflegte. Was im Kornfelde selbst lange schon deutscher Gewohnheit weichen mußte, hat sich auf dem unfruchtbaren Eise als praktisch bewährt und erhalten. Kurz über der „Erde“ mit der Slavensichel abgeschnitten, wird das Schilf in breiten Garben dem Hofe zugefahren und zum vollständigen Austrocknen ausgelegt. Gemeinhin gehört die gesamte Ernte eines größeren Bezirks dem Fabrikanten, der sich mit ihrer Verarbeitung befaßt; hier und da teilen sich kleine Pächter in sie und versuchen, die Konjunktur in ihrer Weise auszunutzen. Obwohl absolut sichere Zahlen nicht gegeben werden können, sei doch bemerkt, daß die Rohausbeute in günstigen Jahren etliche hunderttausend Mark erreicht und den mit ihrer Einbringung Beschäftigten eine recht angenehme Zubuße zum sonstigen Erwerbe gewährt.

Das Lagerhaus.

Ist das Schilf trocken und fest genug, um seiner endlichen Bestimmung entgegengeführt werden zu können, so gelangt es in ein Prokrustesbett, wo es von den Rispen und dem dünnen „Kopfe“ befreit wird. Der Abfall dient als Streu und gelangt auf nicht allzuweiten Umwegen zum Düngerhaufen; das eigentliche Produkt aber stellt sich nach der Sortierung als langes, vollkommen gleichmäßig starkes Rohr dar und kann ohne weiteres in fabrikmäßige Behandlung gelangen. Aus der freien Natur, wo es zum letztenmal die melancholischen Kiefern grüßt, mit denen es einen frohen Sommer über fleißig musizierte, aus den braunen Händen munterer Dorfdirnen kommt das Schilf in die staubige Webstube, in die geschickten Finger der Arbeiterinnen. Die Stühle verwandeln es hier in Matten und Decken von jeder gewünschten Länge; Phragmites hat seine letzte Form erhalten, und aus dem stolzen, freien Rohre, das wohl vier oder fünf Meter hoch aus dem plätschernden Wasser aufstieg, das um die Wette sang mit verliebten Fröschen und bunten Zwergvöglein, ist ein fühlloser, lebloser Sklave des Menschen geworden, der sich täglich ungezählte Fußtritte gefallen lassen muß. Im Lagerhause wartet das Havelkind den Ruf ab, der es endgültig seinem Geschicke überantwortet.

Ist das Schilf als Dachdeckmaterial einigermaßen aus der Mode gekommen, so findet es dafür beim Hausbau als Mauerrohr noch immer eifrige Verwendung. Den Decken und Wänden verleiht das an Wasseraufnahme gewöhnte Halt und Trockenheit, und während seine Halme das Gebäude tragen und erhalten helfen, prunken seine getrockneten, glänzenden Rispen in den Makartbouquets, die drinnen die Wohnung schmücken. Was die Sinne des Naturfreundes entzückt und nicht zuletzt das anmutige, eigenartige Bild märkischer Flur in seinem Gedächtnis festhält, das speist gleichzeitig mehrere, keineswegs unbedeutende Industrien, schafft fortdauernd Arbeit und Verdienst denen, die des Lebens Not nicht zum heiteren Genuß seiner reinsten Schönheiten und Freuden kommen läßt...



BLÄTTER UND BLÜTEN.


Wirtschaftliche Hochschulen für Mädchen. Es ist ein erfreuliches Zeichen für die Gesundheit der deutschen Frauenbewegung, daß sie eine bessere wirtschaftliche Vorbildung der Mehrzahl der Mädchen ebenso dringend verlangt wie die Freigebung der Studien für die Minderzahl. Das weibliche Geschlecht muß auf jedem Arbeitsfeld den Anforderungen unserer Zeit eine gesteigerte Tüchtigkeit entgegenbringen. Denn auch der Hausfrauenberuf ist heute durch Maschinenhilfe und technische Verbesserungen nur scheinbar erleichtert, in Wirklichkeit erfordert er auch in der Stadt ein bedeutendes Mehr an wirtschaftlicher Kopfarbeit, Einteilung und Verantwortung als der der „guten alten Zeit“. Kartoffeln und Brennmaterial eben so sicher auf Wert und Nutzen taxieren wie den Umgang der heranwachsenden Kinder, Sinn und Verständnis für das geistige Leben der Zeit behalten und zugleich allmorgendlich durch Aufsicht und Beispiel die hundert kleinen Räder der Haushaltsmaschine in Gang setzen, Gastlichkeit pflegen auch bei kleinen Mitteln und den vergnügten Erholungsabend durch ein paar angestrengte Schneidertage erkaufen – dies alles und wieviel mehr! setzt ein gehöriges Maß von Eigenschaften und Fähigkeiten voraus. Kein Zweifel, daß sie sämtlich unter der Leitung einer tüchtigen Mutter zu erwerben sind – aber die Mehrzahl der städtischen Mädchen entbehrt der konsequenten wirtschaftlichen Leitung und hat in der Enge der Großstadtwohnung auch zu wenig Gelegenheit zur vielseitigen Bethätigung dafür. Dieser Sachverhalt fängt an, als öffentlicher Uebelstand empfunden zu werden, und Vorschläge aller Art tauchen auf, um ihm zu steuern. Unter ihnen zeichnet sich durch praktischen Wert das zum Gedächtnis an die verstorbene Fürstin Johanna v. Bismarck benannte Projekt: Bismarckspende zu gunsten wirtschaftlicher Frauenhochschulen aus. Eine Reihe angesehener Persönlichkeiten in Hannover beabsichtigt, eine Anstalt auf dem Lande zu gründen, wo neben den eigentlichen Hausfrauenkenntnissen auch die Grundlagen für sonstige, landwirtschaftliche und gewerbliche Frauenberufe zu erwerben sind, in ein bis drei Jahreskursen. Das Nähere über diesen Plan ist nachzulesen in einer Broschüre von I. v. Kortzfleisch „Der freiwillige Dienst in der wirtschaftlichen Frauen-Hochschule“ (Hannover, C. Meyer). Die Verfasserin denkt sich als Leiterinnen der Anstalt zwei akademisch gebildete Frauen, welchen der geistige Lehrstoff (Geschichte, Deutsche Sprache, Kunstgeschichte, Elemente der Physik und Chemie) zufiele, unter ihnen stünde ein Stab von Lehrmeisterinnen für die praktischen Fächer (Kochen, Waschen, Weben, Färben, Hand-, Garten- und Feldarbeit, Milch- und Honigwirtschaft, Geflügelzucht u. dergl.). Daß derartige Anstalten auf dem Lande mit allen Möglichkeiten von Luftgenuß, Bad, Eislauf etc. für die jungen Stadtmädchen unendlich viel gesünder und vorteilhafter wären als die heute beliebten kurzen Aufenthalte in fremdländischen Instituten, darüber braucht man kein Wort zu verlieren. Und zugleich wären solche Anstalten ein natürlicher Wirkungskreis für die akademisch gebildeten Zukunftsfrauen. Eine Aerztin fände in jeder Beschäftigung, und ein paar Betten für Kranke aus der ländlichen Umgebung dienten der Ausbildung in der Krankenpflege. Ein gratis von Fräulein v. Kortzfleisch zu beziehendes

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0019.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2023)