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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

geteilt zu sein, bis ein englischer Oberst, der soeben herangetreten war, mit voller Bestimmtheit erklärte: „Ich kann Ihnen den Ausgang vorhersagen, meine Herren. Bernried schlägt mit seinem ‚Darling‘ all die übrigen.“

„Wirklich?“ – „Das ist doch noch die Frage.“ – „Halten Sie das für so ausgemacht?“ klang es von verschiedenen Seiten.

„Gewiß. Ich kenne ‚Darling‘, er ist ein vorzüglicher Renner. Wenn ich nur wüßte, wie Bernried zu dem prächtigen Tiere gekommen ist! Ich hätte es gern gehabt, aber mir war der Preis zu hoch – er hat es vor acht Tagen gekauft.“

„Aber schwerlich bezahlt,“ warf ein junger Offizier ein, der gleichfalls englische Uniform trug. „Dieser deutsche Baron hat ein großartiges Talent, alles schuldig zu bleiben, obwohl man ihm nirgends mehr Kredit geben will.“

„Da sind Sie doch wohl im Irrtum, Hartley,“ sagte der Oberst. „In diesem Falle hat man es sicher gethan, denn Bernried ist bekannt als der beste Reiter, und wenn er nun vollends ‚Darling‘ reitet, so gilt sein Sieg als beinahe zweifellos. Die meisten Wetten stehen ja auf den Fuchs. Sie halten gleichfalls auf ihn, Lord Marwood?“

Er wandte sich an einen Herrn, der neben ihm stand und dem Gespräche zuhörte, ohne sich daran zu beteiligen. Auch jetzt fand er es nicht für nötig, eine Antwort zu geben, sondern bejahte nur mit einem leichten Kopfnicken.

„Ich glaubte, Du würdest auf die ‚Faida‘ des deutschen Generalkonsuls halten, Francis,“ sagte Hartley. „Wie steht es denn eigentlich damit? Du mußt es doch wissen, Du bist ja oft genug im Hause des Herrn von Osmar.“

„‚Faida‘ hat gar keine Aussichten,“ ließ sich Lord Marwood jetzt endlich vernehmen. „Sie hat noch kein Rennen mitgemacht und ist überhaupt noch nicht ordentlich trainiert. Aber Miß Zenaide wollte ihr Lieblingspferd durchaus auf der Rennbahn sehen.“

„Und Du hältst trotzdem nicht auf ‚Faida‘?“ neckte der junge Offizier. „Du würdest die Wette verloren haben, aber geschadet hätte Dir das durchaus nicht bei Deiner Dame, ganz im Gegenteil.“

Dem jungen Lord schien die Neckerei nicht angenehm zu sein, er erwiderte keine Silbe darauf.

Francis Marwood mochte am Ende der Zwanzig stehen. Groß und schlank, mit Zügen, die in ihrer strengen Regelmäßigkeit unbedingt Anspruch auf Schönheit machen konnten, mit den hellen, nur etwas matten Augen und dem vollen aschblonden Haar war er das echte Bild eines vornehmen Engländers. Haltung, Sprache, Bewegung, alles war kühl, förmlich und abgemessen, aber die Erscheinung des jungen Mannes wäre eine sehr angenehme gewesen ohne die kalte, hochmütige Zurückhaltung, die einen hervorstechenden Zug seiner Persönlichkeit bildete und selbst seinen Landsleuten und Standesgenossen gegenüber hervortrat.

„Nun gegen ‚Darling‘ hat jedes Pferd einen schweren Stand,“ nahm der Oberst wieder das Wort. „Wer reitet denn ‚Faida‘?“

Lord Marwood zuckte die Schultern und seine Lippen kräuselten sich verächtlich, als er im wegwerfenden Tone sagte: „Ein Fremder, ein ganz junger Bursche, den Sonneck eingeführt hat und der wahrscheinlich gar nichts vom Reiten versteht!“

„Ah, der junge Deutsche!“ rief Hartley. „Wie heißt er doch? Ich habe den Namen vergessen. Ein hübscher, kecker Bursche ist er jedenfalls und reiten wird er wohl auch können, sonst würde ihn Sonneck schwerlich auf seinem Zuge in das Innere mitnehmen. Der berühmte Afrikaforscher pflegt sonst sehr wählerisch zu sein mit seinen Gefährten.“

„Möglich, daß er für den Wüstenzug taugt, aber man führt den ersten besten Abenteurer nicht in ein Haus wie das Osmarsche ein, und etwas anderes ist dieser Mensch schwerlich. Niemand weiß, woher er kommt. Man kann da auf sehr unliebsame Enthüllungen gefaßt sein, aber Sonneck schlägt mit seinem Einfluß und seinen Verbindungen jeden Einwand nieder.“

Es lag ein unglaublicher verletzender Hochmut in den Worten des jungen Lords, der Oberst aber sagte leichthin: „Ja, Sonneck setzt so ziemlich alles durch, was er will, zumal bei Herrn von Osmar. – Ah, da giebt man das Zeichen! Jetzt gilt’s!“

Das Zeichen zum Beginn des Rennens war in der That soeben gegeben worden und die Reiter brausten in vollem Laufe dahin. Alle Gespräche verstummten und aller Augen richteten sich auf die Bahn, wo der Wettkampf seinen Anfang genommen hatte.

„Sehen Sie, meine Herren, ich behalte recht,“ rief der Oberst lebhaft. „Bernried führt, ‚Darling‘ ist allen voran!“

„Und ‚Faida‘ ist die letzte!“ ergänzte Marwood mit herbem Spott. „Ich dachte es mir. Freilich, bei einem solchen Reiter ist nichts anderes zu erwarten. Ich begreife den Konsul nicht, daß er das immerhin kostbare Pferd solchen Händen anvertraut hat.“

„Ja, der Reiter verspricht allerdings nicht viel,“ stimmte Hartley bei. „Wenn er das schöne Tier nur nicht zu Fall bringt bei einem der Hindernisse.“

Die Pferde wurden meist von den Besitzern selbst geritten und die edlen Tiere gehorchten dem leisesten Schenkeldruck. Die Herren waren sämtlich vortreffliche Reiter, aber sie jagten schon nicht mehr in geschlossener Reihe dahin. Gleich nach dem ersten Hindernis hatte sich das Feld gelockert, und die Zurückgebliebenen suchten das Verlorene mit leidenschaftlichem Eifer wieder einzubringen. Das Bild wurde mit jedem Augenblick stürmischer und bewegter. Die Führung hatte ein englischer Fuchs übernommen, ein prächtiges Tier, das sich seiner Ueberlegenheit bewußt zu sein schien. Er hatte, allen voran, das erste Hindernis genommen und jagte nun in langgestrecktem Galopp dahin, die anderen weit hinter sich zurücklassend. Auf ihn waren hauptsächlich von Anfang an die Augen der Zuschauer gerichtet, und der Reiter wurde mit lebhaftem Zuruf begrüßt. Es war ein Mann von einigen dreißig Jahren, mit scharf ausgeprägten Zügen, in denen etwas Herbes, Düsteres lag. Jetzt freilich spielte ein leises triumphierendes Lächeln um seine Lippen. Herr von Bernried schien im Vertrauen auf die Schnelligkeit seines Pferdes seines Sieges vollkommen sicher zu sein.

Da schoß von den Nachzüglern einer, der letzte von allen, plötzlich vorwärts, mit einer so jähen, blitzartigen Schnelligkeit, daß alles aufmerksam wurde. In kurzer Zeit hatte er seine Gefährten erreicht, bald überholte er sie, einen nach dem andern. Jetzt nahm er das Hindernis, leicht und sicher, ohne jede Anstrengung und jagte nun weiter, dem führenden Reiter nach, so daß der Raum zwischen ihnen kleiner und kleiner wurde.

Bernried hatte sich umgesehen und ein halb erstaunter, halb zorniger Blick traf den unerwarteten Gegner. Es war ein noch sehr junger Mann, den man bisher kaum bemerkt, jedenfalls nicht beachtet hatte; er saß wie festgewachsen im Sattel. Der Schimmel, den er ritt, erschien fast klein gegen den riesigen Fuchs, war aber unstreitig von edelster Rasse. Der schlanke Bau des schönen Tieres, der zierliche Kopf mit den großen klugen Augen verrieten das arabische Blut. Jetzt war er dicht hinter „Darling“, jetzt wieder jenes jähe, blitzartige Vorwärtsschießeu und beide Pferde waren auf gleicher Höhe.

Der Kampf wurde ernst. Bernried hatte nur eines Blickes bedurft, um zu erkennen, daß der so plötzlich aufgetauchte Gegner ihm ebenbürtig war, daß er absichtlich sein Roß geschont und zurückgehalten hatte, um jetzt erst die volle Kraft einzusetzen. Ein Zucken ging wie Wetterleuchten über sein Gesicht und seine Stirn faltete sich drohend, aber er war nicht der Mann, sich den Sieg so leicht streitig machen zu lassen. „Darling“ fühlte die Sporen und setzte seine ganze Kraft ein, aber umsonst. Der Araber blieb dicht an seiner Seite, und Seite an Seite nahmen sie das nächste Hindernis.

Das anfängliche Interesse der Zuschaner an diesem überraschenden Verlauf des Rennens hatte sich längst zur leidenschaftlichen Teilnahme gesteigert. Die anderen Reiter, die in größerer oder geringerer Entfernung nachjagten, wurden kaum mehr beachtet, man sah nur auf die beiden, die so hartnäckig um den Siegespreis rangen. Alles andere trat zurück vor diesem Wettkampfe zwischen dem anerkannt ersten Reiter in der Sportswelt von Kairo und dem jungen Fremden, den die wenigsten kannten. Aber gerade dies Unerwartete, Blitzähnliche seines Erscheinens gewann ihm die Sympathie der Menge, der vornehmen Zuschauer wie des Volkes da unten; wo er vorüber kam, wurde stürmischer Zuruf laut.

Herr von Bernried mochte es wohl fühlen, wem diese Rufe jetzt galten, und je zweifelloser sein Sieg im Anfang geschienen hatte, desto schwerer empfand er die Möglichkeit einer Niederlage. Sein Gesicht war flammendrot, jede Fiber an ihm bebte in wilder Erregung, aber diese Erregung drohte ihm verhängnisvoll zu werden. Er verlor mit der Herrschaft über sich selbst auch die über sein Roß. Wie im Sturmwind jagten die beiden Reiter vorwärts,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0002.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)